Sira - Wenn der Halbmond spricht Schweiz 2011 – 80min.
Filmkritik
Aus einer tausend Jahre alten Männerwelt
Der Erstling von Sandra Gysi und Ahmed Abdel Mohsen folgt minutiös den Spuren der Sira, einem monumentalen arabischen Epos, und begleitet den letzten noch lebenden Interpreten auf seiner Tournee durch den Süden Ägyptens.
Nicht weniger als fünf Millionen Verse umfasst die "Sira", ein im 11. Jahrhundert entstandenes Heldengedicht, das die Wanderung des "Volkes des Halbmonds" von der arabischen Halbinsel nach Nordafrika und Spanien besingt. Im Zentrum dieses über die Jahrhunderte nur mündlich überlieferten Epos steht der dunkelhäutige Abu Zaid, um dessen Geburt sich zahlreiche Legenden ranken. Von der Unesco ist die "Sira" als "immaterielles Weltkulturerbe" anerkannt, und Ägypten ist das einzige Land, wo diese Tradition noch gepflegt wird.
Der 80-jährige Sayyed el-Dawwy aus dem Städtchen Qus in Oberägypten ist der letzte Meister dieser Dicht- und Gesangskunst, er wird auf Tourneen durch die Dörfer und Kleinstädte begleitet von seinem Enkel und einer Handvoll Musiker. Wo immer sie auftreten, ist ihr Erscheinen ein Grossereignis in einem eng begrenzten Universum, wo es keine Vergnügungsmöglichkeiten gibt und man spürt, wie das Publikum förmlich aufsaugt, was ihm geboten wird, in diesen Momenten entwickelt der Film einen Sog, den er in den oft etwas ausufernden Betrachtungen und Statements zur Bedeutung der "Sira" schnell wieder verliert.
Neben Sayyed ist es der 27 jährige Ramadan el-Dawwy, Sayyeds enkel, der im Zentrum des Films steht. Der junge Mann wird von Sayyed auf seine Rolle als Nachfolger und künftiger "Sira"-Interpret vorbereitet, dabei ist er zwar stolz auf diese Rolle, eigentlich aber möchte er lieber Hochzeitslieder interpretieren, denn davon liesse sich besser leben als mit der Bürde einer tausendjährigen Tradition. Es gibt einige Diskussionen mit seinem Grossvater, doch richtig zu widersprechen wagt der Enkel nicht. Wenn der Patriarch gerade nicht da ist, macht Ramadan sich allerdings schon seine eigenen Gedanken , doch man merkt, dass er im Zweifelsfall doch stets unbedingt loyal zu den Werten seines Grossvaters steht.
Sira - Wenn der Halbmond spricht ist ein eigentliches Liebhaberprojekt, die Zürcherin Sandra Gysi und ihr ägyptischer Lebenspartner Ahmad Abdel Mohsen haben vor zehn Jahren ihre Faszination für diese Musik- und Dichtkunst entdeckt. Sie sind ganz eingetaucht in diese Welt, haben dabei aber stets eine Distanz gewahrt zu ihren Protagonisten, treten ihnen nie zu nahe mit Fragen, sondern beobachten mit grosser Genauigkeit. Man spürt hier die Handschrift von Peter Liechti, der neben Gysi und Mohsen als Kameramann tätig ist - und der in seinen Filmen stets die Kunst der vornehmen Zurückhaltung zu seinen Figuren (sofern es sich nicht um ihn selber handelt) zum obersten Prinzip erhoben hat. Man hätte sich in diesem Fall aber gewünscht, aus dieser archaischen Männerwelt, die eine tausendjährige Vergangenheit evoziert, etwas mehr darüber erfahren wie sich ihre Mitglieder zu einer Gegenwart verhalten, die sich im vollen Umbruch befindet.
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