Artikel22. Januar 2020

«1917»: So viel Aufwand steckt im One-Shot-Kriegsdrama von Sam Mendes

«1917»: So viel Aufwand steckt im One-Shot-Kriegsdrama von Sam Mendes
© Universal Pictures Switzerland

In «1917» entführt Sam Mendes in die Schützengräben des Ersten Weltkriegs – ein intensives und einzigartiges Kinoerlebnis. Das ist auch seiner Machart zu verdanken: Das Kriegsdrama lässt unmittelbar an den Erlebnissen der Soldaten teilhaben, weil es wie ein One-Shot-Film gedreht wurde. Eine Technik, die enorm viel Arbeit mit sich bringt.

Die Herangehensweise an einen One-Shot-Film

One-Shot-Filme sind Filme, die mit nur einem einzigen Take gedreht wurden oder aber den Eindruck erwecken, als wären sie mit nur einer Einstellung gefilmt worden. Während zum Beispiel das deutsche Drama «Victoria» von 2015 tatsächlich in nur einer 140-minütigen Aufnahme entstanden ist, ist «Birdman» ein Streifen, der im Nachhinein so geschnitten wurde, als wären keinerlei Cuts vorhanden.

«1917» reiht sich ebenfalls in die Reihe von letzterer Kategorie ein: Der rund 2 Stunden lange Film hat immer wieder unsichtbare Schnitte, erweckt also den Anschein, als sei er in einem Anlauf gedreht worden. So begleitet man als Zuschauer zwei Soldaten in Echtzeit bei ihrer Mission durch Schützengräben, kahle Landschaften und zerstörte Ortschaften, um eine Nachricht zu überbringen, die ein Massaker verhindern kann und so über Leben und Tod von 1600 Soldaten entscheidet.

«1917» Featurette: Ein Blick hinter die Kulissen© Universal Pictures Switzerland

Gedreht wurden dabei immer möglichst lange Sequenzen von mehreren Minuten, die dann so zusammengeschnitten wurden, dass man die Arbeit des Cutters im Kino nicht bemerkt. Und in «1917» ist das äusserst clever gemacht: Bis auf einen – ziemlich offensichtlichen – Schnitt in der Mitte des Films hat man den Eindruck, als wäre der Film wie im Theater in einem langen Take aufgenommen worden.

Eine akribische Vorbereitung ist das A und O

Um dies zu ermöglichen, bedarf es viel Detailarbeit – und das nicht nur während des Drehs, sondern auch schon in den Monaten der Vorbereitung. So musste das Set für «1917» zum Beispiel immer genau so lange sein, wie die Schauspieler in der jeweiligen Sequenz laufen würden – damit man immer genau dort wieder für die neue Szene zu drehen beginnen konnte, wo man mit der letzten Szene aufgehört hat.

Auch mussten die einzelnen Abteilungen eng zusammenarbeiten, um für die nötige Stringenz zu sorgen. Denn um zwei Szenen übereinandergelegt wie eine aussehen zu lassen, mussten beim Timing, dem Wetter, beim Cast und am Set auf die kleinsten Details geachtet werden. Denn wo man sonst bei Filmen mit dem Schnitt zuletzt kleine Fehler beheben kann, ist dies bei einem One-Shot-Film in der Postproduktion nicht mehr möglich.

Häufig hiess es: proben

Schon Monate vor Drehstart begannen die Schauspieler mit Regisseur Sam Mendes mit den Proben für den Film – zum einen in den Shepperton Studios in England, zum anderen direkt an den verschiedenen Drehorten wie Glasgow, Nordengland oder Oxfordshire. Eine akribische Vorbereitung war deshalb notwendig, damit bei den Dreharbeiten nicht eine der durchschnittlich etwa 6 bis 8-minütigen Sequenzen durch eine Unsicherheit bei der Besetzung ruiniert würde. Mendes selbst bezeichnete in einem Interview deshalb "jeden Take als kleines Theaterstück".

Insgesamt wurden fast 8 Wochen darauf verwendet, mit den beiden Hauptdarstellern George MacKay und Dean-Charles Chapman alle Stellen des Drehbuchs wieder und wieder durchzugehen, wobei auch immer nach einer geeigneten Position für die Kamera gesucht wurde. Dass trotz viel Übung auch der Cast von «1917» nicht vor Fehlern gefeit war, verriet MacKay in einem Interview mit Jimmy Fallon: In der Szene, in der er gegen Ende des Films quer durch eine angreifende Truppe von Soldaten rennt, war es ursprünglich nicht geplant, dass er mit einigen Soldaten zusammenstossen würde. Dass er im Film fällt und sich trotz allem nochmals aufrappelt und weiterrennt verleiht der Sequenz aber ohne Frage zusätzliche Dramatik.

Clevere Abläufe und neuartige Technik machen's möglich

Da für «1917» mehrheitlich im Freien, auf unterschiedlichem Terrain und in Bewegung gedreht wurde, mussten die Kameras für die Dreharbeiten möglichst leicht und klein sein. Der Kameramann Roger Deakins nutzte deshalb die neuartige HD-Kamera Alexa Mini LF, die von der Firma Arri mit Sitz in München eigens für den Dreh des Films im Frühling 2019 früher als geplant fertiggestellt wurde.

© Universal Pictures Switzerland

Um die Reise der zwei Soldaten in den mehrminütigen Aufnahmen festzuhalten, wurde die Kamera dabei teilweise vom sich in Bewegung befindlichen Kamerateam getragen, danach an einen Kran-Arm gehängt und wieder vom Kamerateam übernommen, der dann zum Ende einer Szene noch auf einen fahrenden Jeep aufsprang. Die Szene, in der Lance Corporal Schofield den Fluss hinuntertreibt, wurde zum Beispiel mit einem Kran-Arm aufgenommen, für die Sequenz direkt beim Wasserfall hingegen wurde eine Drohne genutzt.

Am Set war das Wetter bestimmend

Mit der Besonderheit, dass der grosse Teil des Films in der freien Natur gefilmt wurde, die Platzverhältnisse in den Schützengräben begrenzt waren und die Kamera häufig 360°-Schwenke macht, mussten die Macher praktisch ohne Lichttechnik auskommen. Zwar gibt es in der Szene im zerstörten französischen Dorf einen Lichtturm, der in der nächtlichen Szene die Illusion von Bränden erzeugen soll, ansonsten wurde jedoch komplett ohne Beleuchtung gedreht.

Man entschied sich, bei bewölktem Himmel zu filmen, da somit das Problem des Schattenwurfs umgangen werden könnte. Folglich konnten die Dreharbeiten der Konsiszenz wegen nur immer dann durchgeführt werden, wenn der Himmel bewölkt war. Glücklicherweise war es während den 65 Drehtagen überwiegend trocken und bewölkt – denn sobald die Sonne sich zeigte, musste das Team eine Pause einlegen. Nur nicht die Darsteller: Für sie war es dann wieder Zeit, weitere Szenen zu proben.

© Universal Pictures Switzerland

Teamwork im wahrsten Sinne des Wortes

Natürlich ist auch die Arbeit des Cutters entscheidend, damit ein One-Shot-Film wie «1917» funktioniert. Viele Übergänge sind nahtlos in die Kameraführung eingebaut: So sind die Schnitte dann angesetzt, wenn sich die Kamera durch Wände oder Vorhänge bewegt, wenn die Figuren einen Bunker betreten, oder wenn die Kamera einen 360°-Schwenker macht.

Dass für den Film alle Abteilungen eng kooperieren musste, zeigt auch der Nachbearbeitungsprozess des Films: Der für den Schnitt verantwortliche Lee Smith war ständig am Set anwesend, um das Material direkt vor Ort zu sichten und zu schneiden – und Regisseur Sam Mendes Feedback zu geben, sollte eine Szene nicht wie gewünscht passen.

Vieles hat bei «1917» aber funktioniert. Kein Wunder, wird das Kriegsdrama vor allem auch wegen seiner einzigartigen Machart von Kritikern und Kinogängern gleichwegs gelobt – und darf bei den diesjährigen Oscar-Verleihungen nicht nur in der Kategorie "Bester Film", sondern vor allem in den technischen Kategorien darauf hoffen, einige Goldmännchen mit nach Hause zu nehmen.

«1917» ist seit dem 16. Januar in den Deutschschweizer Kinos zu sehen.

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