Artikel12. Juni 2024 Cineman Redaktion
Filmwissen: Schlaglichter auf 25 Jahre Schweizer Filmkultur
Was waren die Film-Trends der letzten 25 Jahre? Welche Filme konnten die Schweizer:innen ins Kino locken, welche liessen sie kalt und welche Schweizer Filmperlen erlangten internationalen Ruhm? Zum 25. Geburtstag von Cineman halten wir Rückschau, betrachten die Schweizer Filmkultur und verraten dir, was sich im letzten Vierteljahrhundert im Bereich Kino getan hat.
von Irene Genhart, in Zusammenarbeit mit der Cineman-Redaktion
Was schauen sich die Schweizer:innen im Kino an? Die Kino-Kassenschlager 1999-2024
Welche Filme konnten in den vergangenen 25 Jahren besonders viele Zuschauer:innen ins Kino locken? Ein Blick in die Kino-Statistiken hilft bei der Spurensuche! Sie geben Auskunft, welche 10 Filme in Schweizer Kinos von 1999-2024 die meisten Zuschauer:innen in die Kinos ziehen konnten. Laut Dachverband der Schweizer Kino- und Filmverleihunternehmen Procinema sind dies:
- «Ziemlich beste Freunde»
- «Skyfall»
- «Avatar - Aufbruch nach Pandora»
- «Findet Nemo»
- «Ice Age 2»
- «Ice Age 3: Die Dinosaurier Sind Los»
- «Harry Potter und der Stein der Weisen»
- «Avatar: The Way of Water»
- «Spectre»
- «Der Herr der Ringe 3: Die Rückkehr des Königs»
Diese Liste zeigt, was sich aufgrund der Medienaufmerksamkeit und des grossen Werbebudgets internationaler Blockbuster erahnen lässt: Viel und gross Besprochenes und Beworbenes zieht in der Regel das Publikum ins Kino. Obige Liste setzt sich dementsprechend wenig erstaunlich fort mit weiteren James Bond-, SciFi- und Animationsfilmen. «Barbie» als Spitzenreiter von 2023 folgt erst auf Rang 22 und Christopher Nolans siebenfacher Oscar-Gewinner «Oppenheimer» taucht abgeschlagen auf Platz 56 auf.
Die beiden Überraschungen der Liste sind: Eric Toledanos und Olivier Nakaches «Ziemlich beste Freunde» auf Rang 1 und «Willkommen Bei Den Sch'tis» von und mit Dany Boon auf Rang 19: Wenn es um Komödien geht, haben die Kinobesucher:innen der Schweiz offensichtlich ein Faible für den Charme und verschmitzten Humor der Nachbarn im Westen.
Die erfolgreichsten Schweizer Filme…
Die aufgrund der nationalen Kinoeintritte zehn erfolgreichsten Schweizer Produktionen der letzten 25 Jahre sind:
- «Die Herbstzeitlosen»
- «Mein Name ist Eugen»
- «Achtung, Fertig, Charlie!»
- «Heidi»
- «Schellen-Ursli»
- «Grounding»
- «Die göttliche Ordnung»
- «Bon Schuur Ticino»
- «Platzspitzbaby»
- «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse»
Dass auf den vorderen Rängen Produktionen aus der deutschsprachigen Schweiz dominieren, erklärt sich zum Teil aus den unterschiedlichen Grössen der Schweizer Sprachregionen, aber auch mit verschiedenen Kinostarts und Vorlieben der Regionen. Der erste Beitrag aus der französischsprachigen Schweiz, der auch eine Schweizer Regie aufweist, ist «Ma vie de Courgette - Mein Leben als Zucchini» von Claude Barras (Rang 23), die erste italienisch gesprochene Co-Produktion mit Schweizer Regie «Pane e tulipani» von Silvio Soldini (Rang 13).
Ausserdem finden sich auf der nationalen Top-Ten-Liste mit «Mein Name ist Eugen», «Heidi» und «Schellen-Ursli» drei Kinderfilme. Bei den restlichen Filmen – abgesehen von «Grounding» und «Platzspitzbaby» – handelt es sich um Komödien.
…versus die besten Schweizer Filme
Doch sind die erfolgreichsten Schweizer Filme auch die besten? Über Qualität lässt sich streiten, doch eine gute Orientierung bieten die Filme, die von 1999 bis 2024 den Schweizer Filmpreis «Quartz» für den Besten Spielfilm gewannen. Nur drei dieser Filme – «Dr Goalie bin ig» von Sabine Boss, «Ma vie de Courgette - Mein Leben als Zucchini» und «Mein Name ist Eugen» – tauchen auf beiden Listen auf.
Der Schweizer Filmpreis gibt es seit 1998, seit 2009 werden dessen Gewinner:innen von den Mitgliedern der Schweizer Filmakademie bestimmt. Die Liste der Gewinner:innen in der Kategorie Bester Spielfilm zeigt über 25 Jahre ein erstaunlich ausgewogenes Bild. 11 Werken von Regisseurinnen und ein Film einer non-binary Person stehen 14 Regiearbeiten von Männern gegenüber, ebenso ausgewogen ist das Verhältnis von Produktionen aus der Deutschschweiz zu solchen aus der restlichen Schweiz.
Doch es gibt auch Ausreisser in der Statistik – wie das Jahr 2024 eindrucksvoll bewiesen hat. Da waren in der Kategorie Bester Spielfilm mit «Blackbird Blackbird Blackberry», «Bisons», «L’Amour du Monde», «La voie royale» und «Laissez-moi» fünf Westschweizer Produktionen, aber keine aus der deutschsprachigen Schweiz nominiert. Was Michael Steiner laut Tagesanzeiger prompt dazu brachte vom «Prix Romandie» zu sprechen, dessen Abschaffung zu fordern und aus der Filmakademie auszutreten.
… and the Oscar goes to: wieder nicht an einen Schweizer Film
1999 durfte der Schweizer Filmproduzent Arthur Cohn für den in Co-Produktion realisierten Film «Ein Tag im September» den Oscar für den besten Dokumentarfilm in Empfang nehmen. Die Schweiz hat in den folgenden Jahren immer wieder Filme zur Nominierung eingereicht. Zu einem weiteren goldenen Männchen hat es bisher allerdings nicht gereicht. Einzig der Schweizer Visual-Effects-Künstler Thabo Beeler wurde 2019 für das gemeinsam mit Derek Bradley, Bernd Bickel und Markus Gross entwickelte «Medusa Performance Capture System» mit einem Academy Technical Achievement Award ausgezeichnet.
Das bedeutet nun aber nicht, dass Schweizer Filme in den letzten 25 Jahren international nicht erfolgreich waren. Manche im Kino, andere auf Festivals, einige beiderorts. Nachschauen lassen sich diese Erfolge in den online einsehbaren Jahresberichten von Swiss Films, wo sich nicht nur Daten zu Kinorelease und Box-Office-Erfolg von Schweizer Filmen im Ausland finden, sondern auch zu ihrer Präsenz auf Streaming-Plattformen im europäischen Raum.
Zu den international erfolgreichen Überfliegern was Preise an Festivals betrifft, gehören Filme wie «Die göttliche Ordnung», «Pane e tulipani», der Dokumentarfilm «More than Honey» von Markus Imhoof, «Ma vie de Courgette - Mein Leben als Zucchini» sowie «Sister» und «Home» von Ursula Meier.
Schweizer Festivals
Das 1946 gegründete Locarno Film Festival ist zusammen mit den Filmfestivals von Venedig, Cannes, Karlovy War und Moskau eines der ältesten Filmfestivals der Welt. Bereits seit der Gründung setzt man in Locarno auf Freiluft-Vorführungen. Locarno ist noch heute das wichtigste Filmfestival der Schweiz und die Piazza Grande die grösste Open-Air-Kino-Arena der Schweiz. Doch in den letzten 25 Jahren hat Locarno starke Konkurrenz bekommen.
Die grösste Konkurrenz für Locarno ist zweifelsohne das 2005 gegründete Zurich Film Festival (ZFF). Das Festival wächst kontinuierlich, verzeichnete 2018 erstmals über 100‘000 Besuche und ist nach Covid mit 137‘000 bzw. 130‘000 Besuchen und 2022 und 2023 wieder voll auf dem Vormarsch. Zu den weiteren wichtigen neuen Festivals gehört das Neuchâtel International Fantastic Film Festival (NIFFF, Gründung 2000). Die drei Festivals, welche die Schweizer Filmlandschaft nebst Locarno noch heute am nachhaltigsten prägen, sind das Dokumentarfilmfestival Visions du réel, die 1996 gegründeten Internationalen Kurzfilmtage Winterthur und die Solothurner Filmtage.
Die digitale Wende: Schweizer Kinolandschaft im Wandel
Doch nicht nur die Schweizer Filmfestival- und Freiluftkino-Landschaft hat sich in den letzten Jahren gewandelt, sondern auch die Kino-Situation. Von 1999 bis 2023 hat sich die Zahl der Kinos (Einzelkinos und Multiplexe) zwar von 329 auf 265 reduziert. Die Anzahl der Leinwände (und damit auch der Säle) ist aber von 471 auf 623 gestiegen. Das lässt darauf schliessen, dass in den letzten 25 Jahren diverse neue Multiplex-Kinos entstanden und viele kleinere Kinos verschwunden sind.
Im Schwinden begriffen sind – das ist unter anderem Aufkommen von Streaming-Plattformen und gestiegenen Eintrittspreisen zu verdanken – die Anzahl der Kinoeintritte. Verzeichnete man 1999 schweizweit 15‘427‘961 Besuche, so waren es 2023 noch 10‘881‘937. Neue Ideen fürs Kino sind gefragt: Um den Ort Kino attraktiver zu machen, werden heute Filme in Kombination mit Diskussionsrunden, in der Anwesenheit von Cast und Crew präsentiert, oder Filme im Rahmen eines speziell anberaumten Themas ankündigt.
Es rette den (analogen) Schweizer Film wer kann
Die digitale Wende hat viele Neuerungen und Optimierungen gebracht, aber es gibt auch Verlierer. Das sind alle Filme, die analog entstanden und nicht oder noch nicht in digitale Formate überführt worden sind und in Vergessenheit geraten könnten. Es gibt verschiedene Initiativen und Institutionen, die diese zu retten versuchen.
Etwa die 1948 gegründete Schweizerische Cinémathèque, die offiziell den Auftrag hat, das Schweizerische Filmerbe zu sammeln, archivieren, restaurieren und präsentieren. Oder der 1995 gegründete Verein Memoriav, der sich der Wahrung des audiovisuellen Kulturgutes verschrieben hat. Heute gehören Memoriav Gedächtnisinstitutionen aus allen Landesteilen der Schweiz an, auch betreibt Memoriav mit Memobase ein online Portal, das Zugang auf AV-Materialien aus 133 Schweizer Institutionen vermittelt. Auf Initiative der Solothurner Filmtage wurde vor einigen Jahren das Projekt Filmo gestartet, in welchem von Schweizer Filmexperten ausgewählte Schweizer Filme als Online-Edition aufbereitet werden.
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