Artikel11. Oktober 2024

Wahrheit oder Fiktion? 5 Gründe, die Apple TV+-Serie «Disclaimer» zu schauen

Wahrheit oder Fiktion? 5 Gründe, die Apple TV+-Serie «Disclaimer» zu schauen
© Apple TV+

Welche Macht haben Erzählungen? Wie manipulieren sie uns? Und warum sollten wir stets auf der Hut sein? Darauf achten, aus wessen Perspektive berichtet wird? Diesen Fragen spürt Alfonso Cuarón in seiner Miniserie «Disclaimer» nach, die auf Renée Knights gleichnamigem Roman basiert. Wir haben 5 Gründe, weshalb sich ein Blick in die stargespickte Adaption lohnen könnte.

Die Journalistin und Dokumentarfilmerin Catherine Ravenscroft (Cate Blanchett) erhält für ihre Enthüllungsgeschichten einen begehrten Preis und wird in der Laudatio überschwänglich gelobt. Doch ausgerechnet im Moment dieses Triumphes verwandelt sich ihr Leben in einen Albtraum. Der Grund ist ein ihr anonym zugeschicktes Buch, in dem sie sich als Protagonistin wiederfindet. Der Autor, den sie schnell als Stephen Brigstocke (Kevin Kline) identifiziert, enthüllt in seinen Schilderungen ein dunkles Geheimnis aus Catherines Vergangenheit, das nun ihre Ehe mit Robert (Sacha Baron Cohen), ihren Sohn Nicholas (Kodi Smit-McPhee) und ihre Reputation bedroht.

1. Cate Blanchett und die Angst vorm tiefen Fall

Cate Blanchett und Sacha Baron Cohen in «Disclaimer» © Apple TV+

Grazile, irgendwie über den Dingen schwebende Figuren kann Cate Blanchett mit schlafwandlerischer Sicherheit verkörpern. Beeindruckend ist sie allerdings auch dann, wenn sie starke Frauen geben darf, denen plötzlich der Boden unter den Füssen wegbricht. Wie im Fall des von #MeToo beeinflussten Dramas «Tár» (2022) oder eben in «Disclaimer». Das Bild der knallharten, der Wahrheit verpflichteten Enthüllerin bekommt schnell Risse.

Blanchett versieht Catherines etwas hilfloses Ringen um neue Kontrolle mit viel Intensität – wobei man sich manchmal schon fragt, ob eine derart über den Klee gelobte Journalistin nicht etwas strategischer agieren würde. Andererseits scheint Brigstockes Buch an einer erfolgreich verdrängten Schuld zu rütteln. Einer Schuld, die alles, wofür Catherine steht und was sie sich aufgebaut hat, verschlingen könnte. Wer würde da nicht die Nerven verlieren?

2. Kevin Kline als ungewöhnlicher Rächer

Kevin Kline in «Disclaimer» © Apple TV+

Filme und Serien, die um Vergeltungspläne kreisen, neigen oft dazu, die Rächer:innen stark zu überzeichnen. Oscar-Preisträger Kevin Kline darf hier dagegen einen desillusionierten Mann spielen, der sein Vorhaben zuweilen mit einer gewissen Nüchternheit angeht. Gleichwohl spürt man in seiner wunderbar nuancierten Darbietung die aus jahrelanger Trauer und Verzweiflung entstandene Entschlossenheit.

In Rückblenden kann man Brigstocke dabei zusehen, wie er still leidet, wie er immer weniger Sinn in seinem Leben erkennt. Einen Kontrast dazu bilden, sobald der Racheplot in der Gegenwart läuft, kurze Momente fast kindischer Freude. Augenblicke, in denen es ihm sichtbar Genugtuung bereitet, dass er Catherines Leben aus den Angeln hebt.

3. Sacha Baron Cohen in ungewohnt ernster Rolle

Sacha Baron Cohen in «Disclaimer» © Apple TV+

Als Ali G. und Borat feierte der Brite Sacha Baron Cohen grosse Erfolge auf dem Feld der Comedy. Ernste Rollen verbindet man mit ihm eher nicht. Serienschöpfer Alfonso Cuarón besetzt ihn in «Disclaimer» nun völlig gegen den Strich – und landet damit einen Treffer.

Als Catherines im Kern etwas unsicherer, über sein privilegiertes Leben aber auch stolzer Ehemann, der auf die Buchenthüllungen mit Fassungslosigkeit reagiert, macht Cohen eine gute Figur. Auch, weil er die abgründigen Seiten Roberts, nicht selten in unscheinbaren Nebensätzen, überzeugend herausarbeitet. Keine Frage, hier kann einer viel mehr als nur lustig sein und provozieren.

4. Präziser Blick für familiäre Dynamiken

Kodi Smit-McPhee, Cate Blanchett und Sacha Baron Cohen in «Disclaimer» © Apple TV+

Thriller-Spannung entfaltet die Miniserie trotz eines Bedrohungsszenarios in den ersten vier Episoden nur selten. Langweilig wird es deshalb aber nicht. Dafür sorgt schon das Schritt für Schritt entblätterte Geheimnis, über das Catherine stolpern könnte. Interesse weckt die Apple-Produktion vor allem durch ihren präzisen Blick auf die familiären Beziehungen.

Wünsche, Sehnsüchte, Ängste und Vorwürfe spielen eine wichtige Rolle. Und immer wieder kommt es zu aufschlussreichen Spiegelungen. Beispielsweise hat nicht nur die Starjournalistin das Gefühl, keinen richtigen Draht zu ihrem Sohn zu haben. Stephen Brigstocke ergeht es ähnlich mit seinem Kind.

5. Erzählerische Unzuverlässigkeit

Louis Partridge und Leila George in «Disclaimer» © Apple TV+

Filme oder Serien, in denen Geschichten selbst von zentraler Bedeutung sind, muss man mit Vorsicht geniessen. Nicht alles, was wir sehen und hören, ist zwangsläufig wahr. Alfonso Cuarón treibt ein munteres Spiel mit uns und setzt dabei viele verschiedene Stilmittel ein. Szenen aus einem verhängnisvollen Italienurlaub beginnen und enden mit einer sogenannten Kreisblende, einer Technik, die vor allem während der Stummfilmzeit Verwendung fand.

Handelt es sich um visualisierte Auszüge aus dem Buch, das Stephen Catherine zukommen lässt? Warum sind die Bilder in diesen Passagen oft fast schon übertrieben lichtdurchflutet? Und nicht zuletzt: Wem gehört eigentlich die Stimme der auktorialen Erzählerin, die in (etwas zu präsenten) Voice-Over-Kommentaren Einblick in Catherines und Roberts Innenleben gibt? In Sicherheit wiegen sollte man sich jedenfalls nicht. Zu viele Interessen und Perspektiven fliessen in «Disclaimer» ineinander.

4 von 5 ★

«Disclaimer» ist seit dem 11. Oktober auf Apple TV+ zu sehen.

Hinweis: Diese Kritik basiert auf der Sichtung der ersten vier von insgesamt sieben Folgen.

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