In der neuen Netflix-Veröffentlichung «Clark» dreht sich alles um Clark Olofsson, einen der wohl schillerndsten Verbrecher Schwedens, auf den das wissenschaftlich nicht fundierte Phänomen namens Stockholm-Syndrom zurückgeht. Gemeint ist damit, dass Geiselopfer oder Entführte ein positives emotionales Verhältnis zu ihrem Täter aufbauen.
Filmkritik von Christopher Diekhaus
Auch wenn die sechsteilige Miniserie nach Sichtung der ersten drei Episoden manchmal etwas zu selbstverliebt und überzeichnet wirkt, befeuert sie das Interesse an der unglaublichen Geschichte Olofssons. 5 gute Gründe, warum sich das Streamen lohnen kann, wollen wir euch daher vorstellen.
Hinweis: Der folgende Text verrät Plotdetails aus der Serie «Clark».
1. Hauptdarsteller: Bill Skarsgård
Ohne Wenn und Aber, «Clark» schreit nach einem starken Hauptdarsteller, der die eigenartige Ausstrahlung und die Verführungskunst des Berufsverbrechers und Playboys Olofsson vermitteln kann. Mit Bill Skarsgård, der den bösen Clown Pennywise in den «It»-Verfilmungen nach Stephen King verkörperte, hat Serienschöpfer und Regisseur Jonas Åkerlund («Polar») genau den richtigen Mann gefunden. Der Sohn von Stellan Skarsgård sieht gut aus, bringt genügend Charme mit, kann aber auch fröstelnd selbstherrlich spielen und legt eine fiebrig-energiegeladene Performance hin.
Sein Clark ist ein Hasardeur, ein Poser, ein Sexverrückter, der kriminelle Coups für ehrliche Arbeit hält, sich zu Dingen äussert, von denen er offenkundig keine Ahnung hat, und seinen Werdegang ständig mit spöttischem Unterton kommentiert. Er selbst sieht sich, zumindest in dieser fiktionalisierten Aufarbeitung, als Celebrity. Und genauso überlebensgross interpretiert ihn Skarsgård, dessen Präsenz man sich nur schwer entziehen kann. Auch wenn nicht alle Ideen Åkerlunds überzeugen – sein Hauptdarsteller hält die Miniserie zusammen.
Wie stellt man das Leben eines Menschen dar, der offenbar ständig auf der Überholspur ist, der Blenden, Täuschen und Stehlen zu seinem Beruf macht?
2. Verrückte Geschichte
Sechs Folgen sind eigentlich bei weitem nicht genug, um die verrückte Geschichte des heute 75-jährigen Clark Olofsson auch nur annähernd zu erfassen. Showrunner Åkerlund, der sich übrigens viele kreative Freiheiten nimmt, nicht selten Dinge und Personen hinzuerfindet («Nach Wahrheiten und Lügen» heisst es vor jeder Folge vielsagend), serviert uns einen Schnelldurchlauf, zeigt die kriminellen Anfänge der Hauptfigur, beschreibt einige Gefängnisausbrüche und kommt am Ende der dritten Episode zum berühmten Überfall im Jahr 1973.
Olofsson, der zu diesem Zeitpunkt noch im Knast sitzt, wird auf Drängen des Bankräubers Jan-Erik Olsson zu einem Geldinstitut in Stockholm gebracht und verbringt dort mehrere Tage mit den von Olsson festgehaltenen Geiseln. Als Einstieg in Clark Olofssons Biografie und seine zweifelhafte Karriere taugt die Serie auf jeden Fall und animiert zu weiteren Recherchen. Schon der englische Wikipedia-Eintrag liefert einige weitere irre Details über seinen Werdegang.
3. Verrückter Inhalt | Verrückte Form
Wie stellt man das Leben eines Menschen dar, der offenbar ständig auf der Überholspur ist, der Blenden, Täuschen und Stehlen zu seinem Beruf macht? Ganz einfach: Jonas Åkerlund passt sich seinem Titelantihelden an und entführt uns auf einen wilden Ritt, der in der Zeit vor- und zurückspringt und sich diverser Filmtechniken bedient.
Wechsel zwischen Schwarz-Weiss-Ansichten und satten Farben, zackige Montagen, Spiele mit dem Bildformat und dem Bildmaterial, die das Geschehen manchmal wie ein Homevideo erscheinen lassen, Passagen im Comic-Stil, Archivaufnahmen und ein dynamischer Inszenierungsstil – formal zieht «Clark» alle nur erdenklichen Register, um die wahnsinnige Geschichte Olofssons angemessen schwungvoll einzufangen und den Zuschauer mitzureissen. Hier und da übertreibt es die Serie und scheint sich für ihre furios-lässige Aufmachung selbst zu sehr abzufeiern. Leerlauf gibt es aber nie.
Das Stockholm-Syndrom müsste eigentlich nach ihm benannt sein.
4. Kritische Zwischentöne
«Clark» überschreitet nicht selten die Grenze zur Verherrlichung, erliegt der Titelfigur jedoch keineswegs die ganze Zeit. Blicke in die finstere, von einem alkoholsüchtigen, gewalttätigen Vater geprägte Kindheit brechen den poppig-ironischen Tonfall mehrfach auf. Und wiederholt rückt die Miniserie Olofssons unangenehme narzisstische Ader in den Blick. Die ganze Welt soll sich nur um ihn drehen. Allen möglichen Leuten prophezeit er schon als junger Mann, dass sie noch von ihm hören würden.
Das Stockholm-Syndrom müsste eigentlich nach ihm benannt sein, sagt er an einer Stelle. Frauen, die sich auf ihn einlassen, stösst er ohne Skrupel vor den Kopf. Und sitzt er im Gefängnis, suhlt er sich auch mal in Selbstmitleid. Nach dem Motto: Die Gesellschaft will mir keine Chance geben. Dass hinter der dynamisch-charmanten Fassade ein Psychopath lauert, wie es ein tollpatschiger Polizist (Vilhelm Blomgren) in einer Szene anmerkt, lässt die Miniserie sehr wohl durchblicken.
5. Zeitkolorit
Auch wenn Jonas Åkerlund oft wild zwischen unterschiedlichen Jahrzehnten hin- und herwechselt, bemüht er sich darum, ein bisschen Zeitkolorit zu vermitteln. Vieles läuft hier natürlich über die Maske, die Frisuren und die Kostüme. Mehr als einmal trägt Bill Skarsgård zum Beispiel schnittig-knappe Shorts, wie sie damals modisch waren. Parallel greift «Clark» inhaltlich das allgemeine Lebensgefühl und besondere Entwicklungen innerhalb der Gesellschaft auf.
In Folge zwei entdeckt der Protagonist seine politische Ader und wird vom Geist der 68er-Bewegung erfasst, was zu einigen denkwürdigen Szenen führt. Etwa, wenn er im Besucherraum des Gefängnisses mit der vom experimentellen Theater kommenden Maria (Hanna Björn) beim Sex in allen möglichen Stellungen über Philosophie und revolutionäre Forderungen diskutiert.
Wer Lust bekommen hat, sich die Serie anzuschauen, findet nachfolgend den Trailer und die Verlinkung zu Netflix.
«Clark» (6 Folgen, je ca. 60 min) ist ab sofort auf Netflix verfügbar.
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