Artikel7. Februar 2022

57. Solothurner Filmtage

57. Solothurner Filmtage
© Filmcoopi | JMH Distribution | Ascot Elite | Sister Distribution

Nach einer Online-Ausgabe 2021 kehrten die Solothurner Filmtage vom 19. bis 26. Januar 2022 alternativlos physisch in die Kinos zurück. Angesichts des beachtlichen Publikumsansturms der vollbesetzten Säle ohne Abstandseinhaltung hätte man meinen können, Corona gäbe es gar nicht. Impfausweis und Maske sollten als Schutz vor Infektion reichen – die Stimmung war zumindest ausgelassen.

Artikel von Teresa Vena

Neben der Hommage an den Regisseur und Kameramann Jürg Hassler, die Einblick in fast vierzig Jahre Schweizer Film bot, präsentierte das Festival aktuelle Werke Schweizer Filmemacherinnen und Filmemacher sowie Produktionen, an denen sich die Schweiz finanziell beteiligt hat. Durch die vielfältige Entstehungsgeschichte der gezeigten Filme kam ein entsprechend vielseitiges Themen- und Genrespektrum zusammen, das sich auf zahlreiche Dokumentar- und einige Spielfilme verteilte.

1. «Wet Sand» – Gewinner des Prix de Soleure

© Sister Distribution

Die georgische Regisseurin, die ihre Filmausbildung unter anderem in Genf absolvierte, hat eine anrührende und politisch aufklärerische Mischung aus Gesellschaftsdrama und Liebesgeschichte geschaffen. Anhand von gleich zwei Generationen bespricht sie das Thema Homosexualität, die damit verbundenen Vorurteile und mögliche Ausgrenzung der Betroffenen, die hier im Film im ländlichen Georgien zu beobachten sind.

Über eine bestimmte Zeit und einen präzisen Ort hinweg plädiert das Drama mit seinen genau komponierten Bildern, eine etwas im Retrostil gehaltene Ästhetik, die sich beispielsweise in den dominierenden satten Farben und der Ausleuchtung zeigt, für mehr gegenseitiges Verständnis. Eine Straffung des Stoffes hätte dem Film mit der Dauer von knapp zwei Stunden zu einer dynamischeren Inszenierung verholfen und auch ein paar Ungeschicklichkeiten im Spiel der Laiendarsteller in den Nebenrollen weniger auffällig gemacht.

2. «Pas de deux» – Gewinner in der Kategorie Opera Prima

Um die unterschiedlichen Lebensentwürfe zweier Brüder einzufangen, hat Elie Aufseesser in seinem ersten langen Dokumentarfilm mit harten Schnitten gearbeitet und die Energie seiner Protagonisten in verschiedenen Erzählrhythmen wiedergegeben. Das formale Konzept des Films nutzt einfache, aber effektive Mittel, um die Entfremdung der beiden Brüder visuell aufzuzeigen. Was als Stärke des Werkes gelten kann, ist ein weitgehender Verzicht auf übermässigen Pathos und ein ausgesprochener Mut für Lakonik. Die Kamera folgt den Gesichtern und Gesten, Worte bedarf es nicht vieler.

3. «Presque» – Gewinner des Prix du Public

Bernard Campan und Alexandre Jollien gelingt eine anrührende und originelle Komödie, die sich bekannter erzählerischer Mittel bedient, wie etwa das Motiv des klassischen Roadtrips, aber sich diese geschickt zunutze macht, um Themen wie Tod, Vorurteile, Schuld und Freundschaft zu besprechen. Die beiden Regisseure, die den Film gemeinsam geschrieben haben, übernehmen auch gleich die beiden Hauptrollen. Ihre persönliche Verbundenheit lässt sich von Anfang an im Film nachspüren.

Dicht und sparsam inszeniert, konzentriert sich der Film auf die genaue Zeichnung seiner liebevoll angelegten Figuren. Auffällig ist die würdevolle Darstellung menschlicher Schwäche, der erwachsene und befreiende Umgang mit Behinderung sowie die kompromisslose Positionierung gegen Hass und für ein versöhnliches Miteinander. Dabei verzichtet der Film weitgehend auf Sentimentalität und zeigt sich vielmehr erfrischend selbstironisch.

4. «Lüzzas Walkman»

Christian Schocher hat mit «Reisender Krieger» ein Meisterwerk des elegischen, essayistischen Autorenfilms geschaffen. Sein Film, der 1981 rauskam und als Kultfilm des Schweizer Filmschaffens gilt, für den Clemens Klopfenstein die Kamera führte, vermischt suggestiv dokumentarischen Stil mit Fiktion. Den gleichen Charakter und die melancholische Perspektive führt Schocher in «Lüzzas Walkman» von 1989 fort.

Dieses Mal übernimmt Jürg Hassler die Kameraarbeit und wieder prägt diese wesentlich die Atmosphäre der in der Nacht stattfindenden Handlung. Abgesehen von gewissen vermeidbaren Längen liegt die Stärke des Films im Einfangen eines Zürichs abseits des Glitzers der Bahnhofstrasse und stattdessen seiner einsamen, teils gebrochenen Einwohner.

5. «The Tiger Mafia»

Das mulmige Gefühl in der Magengrube, das sich bereits einstellt, wenn man die Inhaltsangabe zu diesem Dokumentarfilm von Karl Ammann und Laurin Merz liest, wächst zu einem bleischweren Knoten an. Es ist beeindruckend, mit welcher Seriosität und welcher analytischen Herangehensweise der Film über den illegalen Schmuggel und Handel mit Derivaten gefährdeter Tierarten erzählt.

Die Ruhe, die in Karl Ammanns Berichten liegt, ist dringend notwendig angesichts der entwürdigenden, brutalen und schmerzhaften Bilder, die zu sehen sind und abwechselnd wütend und traurig machen. Es handelt sich um einen wichtigen Film zu einem Thema, das in diesem Ausmass nicht bekannt sein dürfte, es aber dringend werden muss.

6. «Die schwarze Spinne»

Vieles hätte bei der Verfilmung der Jeremias Gotthelf-Novelle durch Regisseur Markus Fischer schief gehen können. Handwerklich, formal, klappt alles – mit wenigen Mitteln, ohne auf spektakuläre Spezialeffekte zu setzen, ist die Zeit Mitte des 13. Jahrhunderts gut rekonstruiert. Auf Einzelheiten achtet die Produktion genau, wie sich beispielsweise im Thema der Sprache zeigt, so dass reines Berndeutsch, auch bei der Berlinerin Lilith Stangenberg, die die Hauptrolle übernimmt, verwendet wird.

Doch was dem Film fehlt ist Zug. Zu genau werden gewisse Szenen ausformuliert, was zu Längen führt, die mit einer Straffung und Kürzung hätten vermieden werden können. Die Dynamiken zwischen den verschiedenen Figuren wirken nicht immer motiviert und ihre Psychologie klischiert, verkürzt. Über die Herausforderung einen historischen Stoff glaubwürdig zu inszenieren hinaus, ist die künstlerische Originalität und das magische Kinoerlebnis weggeblieben.

7. «Wer hat die Konfitüre geklaut?»

Nach ihrer verrückten Horrorsatire «Das Höllentor von Zürich» kehren Cyrill Oberholzer und Laura Stoll mit einem genauso verspielten, experimentellen Filmprojekt zurück. Farbenfroh, voller anrührend-komischer Ideen und dem gleichen Hang zu absurdem Humor inszenieren sie mit einem geringen, fast inexistenten Budget eine dichte Kriminalfilmparodie. Sie mokieren sich über zahlreiche gesellschaftliche Klischees, ohne jemals die Grenze zum Geschmacklosen zu überschreiten. Vor die Kamera tritt in der Hauptrolle Patrick Frey, der erstaunlich viel Selbstironie beweist.

Der Film zeigt sich in vielen Aspekten bewusst kindlich, wenn es um die Faszination für die Variation von Furzgeräuschen, die man mit verschiedenen Körperteilen erzeugen kann, geht aber auch in Bezug auf die gesamte Ausstattung. Herausragend ist die Idee, dass die gremlinshafte Spielfigur über Texte aus Michael Jackson-Lieder kommuniziert. Eine gewisse Verwandtschaft mit Pipilotti Rists «Pepperminta» lässt sich nicht von der Hand weisen.

8. «Lost in Paradise»

© Frenetic Films

Das Spielfilmdebüt der jungen Regisseurin Fiona Ziegler will zu viel auf einmal: Liebes- und Emanzipationsgeschichte sowie kulturelle Studie zugleich. Was herausgekommen ist, ist leider keines von allem glaubwürdig. Der Stoff ist zu dünn, was die verschiedenen Rückblenden, die nur wenig Mehrwert bieten, auch nicht kaschieren können. Es gehe schneller, die Klischees aufzuzählen, die der Film nicht bedient, meinte ein Zuschauer nach der Vorstellung. Tatsächlich kommen die Trinkfestigkeit der Tschechen, der (übertriebene) Ehrgeiz von Einwanderer oder der Generationenkonflikt wenig gefiltert, kaum differenziert darin vor.

Auffällig ist zudem das Frauenbild, das der Film vermittelt. Die vier weiblichen Figuren, die nur Staffage der Handlung sind, stellen entweder die naive, sanftmütige Schönheit, die hysterische Helikoptermutter, die sitzen gelassene Ex, die sich auf ihre Mutterrolle mit dem besten Freund der Hauptfigur freut oder die Geschäftsfrau, die als etwas peinlichen Hausdrachen ihrem Mann jedes Vergnügen verwehrt, dar.

9. «Yaban»

Was man dem Film des Genfer Regisseurs und Fotografen mit afghanischen Wurzeln Tareq Daoud zu gute halten kann, ist, dass er einen mit dem Ende positiv überrascht. Geradezu mutig ist die Auflösung des Dramas, das sich allerdings sonst über weite Teile zäh anfühlt. Um die Isolation, die seine Hauptfigur erfährt, und die damit verbundene Ungewissheit über das Verstreichen der Zeit bis zur Befreiung, hätte er formal zurückhaltender vorgehen müssen.

Die bewegte Handkamera hat ihren Sinn zu Beginn, wenn die Mutter mit ihrer Tochter versucht, illegal über die Grenze zu kommen und die Gefahr laufen, erwischt zu werden. Doch danach hätten ruhige Einstellungen, längere Sequenzen, im Kontrast zur Gefühlswelt der Protagonisten einen stärkeren Eindruck gemacht. Es wirkt fast so, als hätte der Regisseur seiner Geschichte nicht genug getraut.

10. «3/19»

Zu lang und zu pathetisch ist der neue Film von Silvio Soldini, in dem die Protagonistin, eine erfolgreiche Wirtschaftsanwältin, durch die Verwicklung in einen Verkehrsunfall und den Tod eines der beteiligten jungen Männer, ihr eigenes Kindheitstrauma verarbeitet. Es tun sich zu viele Nebenschauplätze auf, die von der emotionalen Entwicklung der Hauptfigur ablenken.

Genauso wie die gewählte Luxuswohnung oder das moderne Büro, die als Kulisse für die Handlung dienen, wirkt der Film insgesamt etwas steril. Die Liebesverwicklungen sind voraussehbar, genauso wie der beschriebene Generationenkonflikt. Gegen Ende dominiert ein sentimentaler Tonfall und bleibt das Gefühl zurück, dass es der Geschichte grundsätzlich an Substanz mangelt.

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