Artikel30. Dezember 2022 Cineman Redaktion
10 japanische und koreanische Serien-Tipps: Zwischen Romantik und Verbrecherjagd
Spätestens seit dem riesigen Erfolg von «Squid Game» erfreuen sich Serien aus Südkorea grosser Beliebtheit. Netflix legt fleissig neue Produktionen wie «Hellbound», «Little Women» oder «Business Proposal» nach, einige Serien haben neue Staffeln bekommen wie «Stranger» oder «The Good Detective». Der Streaming-Anbieter ist eine Fundgrube für aktuelle wie aber auch ältere Serien «Made in Korea». Es lohnt sich zudem einen Blick auf die Serien aus dem Nachbarland Japan zu werfen. Dort lauern ein paar skurrile Stoffe. Der grosse Vorzug von Netflix ist es, dass die Serien mit deutschen – und anderen – Untertiteln versehen sind.
Ein Artikel von Teresa Vena
1. «Midnight Diner – Tokyo Stories»
Der «Meister» besitzt einen kleinen Imbiss in einem zentralen Bezirk Tokios. Die Besonderheit des Lokals ist, dass es immer nur zwischen Mitternacht und sieben Uhr morgens geöffnet ist. Die Kunden sind vorwiegend Geschäftsleute, die Überstunden machen und so spät noch essen gehen wollen. Manchmal sind die Kunden etwas zwielichtig, Mitglieder der Unterwelt. Viele von ihnen sind Einzelgänger, die meisten suchen Anschluss. Allen liest der Ladenbesitzer ihre Lieblingsspeisen von den Augen ab und schafft es, indem er für ihr leibliches Wohl sorgt, sie auch mit dem Leben und miteinander zu versöhnen.
Der Tonfall der Serie ist harmonistisch, dennoch nicht kitschig. Die Figur des Ladenbesitzers wird fast zu einer mythischen. Sie hat etwas Geheimnisvolles, über sie wird man am wenigsten erfahren. Der «Meister» lenkt durch die Zubereitung der Speisen die Geschicke der Welt, ohne dabei aufdringlich zu sein. Erzählt werden ungewöhnliche Geschichten, die repräsentativ für die japanische Gesellschaft und ihre Werte sind. Gleichzeitig erfährt man auch Genaueres über bestimmte traditionelle Speisen und bekommt einen Eindruck davon, welche Stellung die Gastronomie in Japan einnimmt.
2. «Pflicht und Schande» (japanisch «Giri/Haji»)
Kenzo Mori (Takehiro Hira) ist ein Kriminalpolizist aus Tokio. Er reist nach London, weil dort sein totgeglaubter Bruder angeblich ein mächtiges Mitglied der Yakuza ermordet haben soll. Kenzo will den Fall klären, der grossen Einfluss auf das Gleichgewicht innerhalb der Tokioter Unterwelt hat. Dafür taucht er in die Londoner Unterwelt ein, die nicht weniger zimperlich zu sein scheint. Dabei trifft er auf eine örtliche Ermittlerin (Kelly Macdonald), der er sich nur schwer mitteilen kann – wegen der Sprachbarriere, die sie trennt, aber auch wegen ihrer kulturellen Unterschiede. Nach und nach kommen sie sich dennoch näher – was für Kenzo zum moralischen Dilemma wird, hat er doch in Japan eine Familie, die er ebenfalls liebt.
Die Serie ist eine englische Produktion, die englische Kriminalfilmtradition mit japanischem Yakuza-Thriller mischt und dabei britischen Humor einbaut. Diese Kombination an sich ist nicht sehr häufig, auch wenn der in der Serie verarbeitete Stoff eher einem klassischen Erzählmuster folgt. Spannende Momente gibt es trotzdem einige und ansprechend sind vor allem die kulturellen Aspekte, die in «Pflicht und Schande» verarbeitet werden. Eine besondere Figur ist zum Beispiel ein junger Stricher, halb englischer, halb japanischer Abstammung, der von Will Sharpe eindrücklich gespielt wird. Durch ihn thematisiert die Serie den gesellschaftlichen Stand von Menschen, die aus verschiedenen Kulturen stammen. Über japanische Werte lernt man ebenfalls einiges.
3. «The Journalist»
Die Journalistin Anna Matsuda (Ryoko Yonekura) arbeitet bei einer grossen japanischen Tageszeitung. Sie stösst auf einen Skandal, in dem es um Korruption beim Staat und staatsnahen Unternehmen geht. Zeugen gäbe es viele, doch wurden sie alle zur Verschwiegenheit gezwungen – vor allem durch die Erinnerung daran, dass sie in erster Linie dem Wohl der Allgemeinheit schuldig sind. Ein Aufrütteln dieser seit Generationen funktionierenden Ordnung, die auf einer strengen gesellschaftlichen Hierarchie beruht, bringt nur Probleme mit sich. Deswegen sind Matsudas Ermittlungen allen ein Dorn im Auge.
Die Serie ist von dem Spielfilm (2019) mit dem gleichen Titel des japanischen Regisseurs Michihito Fujii abgeleitet. In der Serie kommen ähnliche Figuren vor, die Geschichten sind abgewandelt. Beides basiert auf dem Roman der Journalistin Isoko Mochizuki. Die Geschichte ist fiktiv, fusst aber auf realen Wertvorstellungen und Mentalität. Die Pressefreiheit, oder allgemein die Meinungsfreiheit, ist in Japan vielleicht nicht offen unterdrückt, aber kulturelle Eigenheiten sowie eine gewisse Unterwürfigkeit und eine Politik der oberflächlichen Harmonie festigen bestehende Machtverhältnisse, die einen Einfluss darauf haben.
4. «Kantaro – Das süsse Leben eines Angestellten»
Kantaro (Onoe Matsuya) hat seine Stelle als Ingenieur aufgegeben, um als Vertriebsmitarbeiter bei einem Verlag anzufangen. Vom Wechsel verspricht er sich vor allem eines: Indem er seine Geschäftsbesuche so effizient und kurz wie möglich hält, kann er mit der ersparten Zeit, in den jeweiligen Bezirken der Stadt die besten Süssspeisen-Lokale aufsuchen und ihre Spezialitäten versuchen. Bei seinem alten Beruf bliebe ihm nur das Wochenende für seine Leidenschaft und das ist ihm definitiv zu kurz.
Eigentlich ist die Serie in Bezug auf die schauspielerische Form kaum erträglich. Die offensive Komik, der Klamauk, der durch die Faxen entsteht, die die Darsteller machen und von der groben Maske unterstützt werden, kann man nicht ernst nehmen – soll man auch nicht. Dennoch ist diese Art des Humors durchaus repräsentativ für Japan, insbesondere wenn es um Fernsehproduktionen geht. Ungewöhnlich bleibt er für uns. Was die Serie allerdings sehenswert macht, ist ihr informativer Gehalt. Durch den Protagonisten Kantaro erfährt man viel über die Geschichte der jeweiligen Bezirke, die er besucht und noch viel mehr über die Süssspeisen, die er probiert. Dass die japanische Küche besonders ist, ist kein Geheimnis, aber die Vielfalt ihrer Dessert dürfte weniger bekannt sein.
5. «Misaeng»
Geu-rae (Im Si-wan) ist ein Profi-Go-Spieler. Als sein Vater stirbt, muss er aber damit aufhören, weil seine Mutter nicht genug verdient. Dank der Gunst des Geschäftsführers eines Grossunternehmens, der Go-Liebhaber ist, bekommt er in der Firma ein Praktikum. Da er nicht wie die anderen Kollegen Hochschuldiplome oder Fremdsprachenkenntnisse vorweisen kann, gibt ihm im Betrieb niemand eine Chance. Im Gegenteil, er wird gemobbt und ausgegrenzt. Auch der Teamleiter, dem er unterstellt ist, ist nicht begeistert. Doch nach und nach zeigt Geu-rae, dass schulische Leistung nicht das Einzige ist, was zählt. Denn er lernt sehr schnell und zeichnet sich vor allem durch eine hohe Loyalität aus.
Die Serie basiert auf einem Webtoon, einem Comic, das fürs Internet gedacht ist, das bereits in dieser Form grossen Erfolg in Korea hatte. Die Serie selbst wurde ebenfalls zu einer der meistgesehenen des Landes und darüber hinaus. Ihr Erfolg lässt sich unter anderem dadurch erklären, dass sie im Wesentlichen ein realistisches Bild des Arbeitsalltags gibt, der weit in die Privatsphäre der Arbeitnehmer eindringt. Entsprechend können sich in Südkorea viele mit den Protagonisten der Serie identifizieren. Sie ist zwar intrigenreich erzählt, verzichtet aber auf zu grelle Wendungen. Sie greift auch exemplarisch das Umfeld einer der vielen realen Grossunternehmen Koreas wie Samsung oder Lotte auf. Das Drehbuch zeigt, wie hierarchisiert die koreanische Gesellschaft ist und wie schwer soziale Unterschiede wiegen. Hervorragend sind die Darsteller wie vor allem der Abteilungsleiter, der von Lee Sung-min gespielt wird.
6. «Graceful Friends»
Eine Gruppe von Freunden, die alle zwischen 40 und 50 Jahre alt sind, gerät unter Druck als ein Mord passiert und einer von ihnen unter Verdacht kommt. Die Freunde kennen sich schon seit ihren Jugendtagen. Eigentlich glauben sie, eine verschworene Gemeinschaft zu sein, auch wenn das Leben sie alle ein wenig in andere Richtungen geführt hat. Dennoch sind sie alle eines gewissen sozialen Standes. Parallel zu den Ermittlungen im Kriminalfall kommen auch Geheimnisse und alte Abneigungen zwischen den Freunden zum Vorschein, die zeigen, dass ihre Verbindung gar nicht so stabil ist, wie sie glauben.
Abgesehen von einer spannenden Thrillergeschichte, stellt die Serie Protagonisten einer Altersgruppe in den Vordergrund, die so konzentriert kaum gezeigt wird. Der Stoff verhandelt das Thema Liebe und zeigt den Unterschied oder vielmehr die dünne Linie, die zwischen dem (westlichen) Konzept der romantischen Liebe und der Bedeutung der Partnerschaft und Ehe als Zweckgemeinschaft, die Rang und Status innerhalb der Gesellschaft der Einzelnen bewahrt oder verbessert, besteht.
7. «Itaewon Class»
Sein erstes Café in Itaewon soll nur der Anfang einer grossen Kette werden. Sae-ro-yi (Park Seo-joon) hat vor, dem bisher in diesem Bereich führenden Konzern Konkurrenz zu machen. Kann er auf dessen Niveau aufsteigen, wird er sich für den vom Sohn des Konzernchefs provozierten und vertuschten Unfalltod an seinen Vater rächen können. Gemeinsam mit einer wild zusammengewürfelten Truppe führt er den Laden, der immer wieder vielen Intrigen zum Opfer fällt, sich aber langfristig durchsetzt.
Itaewon ist spätestens seit dem diesjährigen Halloween-Unglück ins internationale Bewusstsein gerückt. Doch schon seit ein paar Jahrzehnten ist das Quartier in Seoul für seine grosse Dichte an Bars und Lokalen bekannt. Hier geht man abends aus, hier kommen internationale Gäste zusammen. Die Serie vermischt verschiedene Themen. Zum einen eines der beliebtesten in koreanischen Serien und Filmen, nämlich die Korruption, die auf höchster Ebene besteht. Grossunternehmen schmuggeln sich auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung durch, gestützt von der Politik. Ihnen gilt es, das Handwerk zu legen. Zum anderen entspinnt die Serie eine klassische Liebesgeschichte, die auch typisch für Südkorea äusserst züchtig dargestellt wird. Ein drittes Thema, das eher ungewöhnlich ist, betrifft die Transsexualität einer der Figuren. Es ist sehr unüblich, in koreanischen Stoffen darüber zu sprechen. Und der Umgang damit in der Serie wirkt, weiss man von der gesellschaftlichen Haltung zum Thema, entsprechend sehr authentisch.
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8. «Something in the Rain»
Jin-ah (Son Ye-jin) ist Ende dreissig, Joon-hee (Jung Hae-in) Anfang dreissig, sie verlieben sich und sorgen dadurch aus einer Reihe von Gründen für einen Skandal. Es ist in Korea undenkbar, dass eine ältere Frau mit einem jüngeren Mann zusammen ist. Der Mann kann noch so viel Geld verdienen und erfolgreich sein, ist er ein Waisenkind oder stammt er von Eltern, die kriminell sind oder nur einen bescheidenen Beruf haben, kann er nicht mit einer ihm sozial höhergestellten Frau zusammen sein. Jin-ahs Familie wehrt sich also gegen die Verbindung der beiden. Jin-ah ist zwar längst über dreissig, doch wohnt sie noch bei ihren Eltern, die selbstverständlich Kontrolle über sie ausüben.
Die Serie erzählt eine zärtliche Liebesgeschichte, die vom Umfeld der Protagonisten nicht akzeptiert wird. Für unsere westlichen Vorstellungen wirken viele der aufgezeigten Konflikte übertrieben, unverständlich. Doch der Stoff ist sehr nahe an der Realität gehalten. Partnerschaften werden in Korea selten über die eigene soziale Klasse noch über die eigene Altersgruppe hinweg eingegangen. Die Gesellschaft ist sehr hierarchisch aufgebaut, selbst Personen, die nur ein Jahr älter sind als man selbst, spricht man weitgehend ein Leben lang formell an.
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9. «My Mister»
Drei Brüder mittleren Alters kämpfen mit wirtschaftlichem Misserfolg. Nur Dong-hun (Lee Sun-kyun) hat eine feste Stelle. Er arbeitet als Statiker in einem Bauunternehmen. Durch seine ruhige, aber unbeugsame Art ist er nicht sehr beliebt bei seinen Vorgesetzten, die auch mal erwarten, dass er das eine oder andere Auge zuhält, wenn es um die Bauvorschriften zahlungskräftiger Partner geht. Insbesondere einem der Geschäftsführer der Firma ist er ein Dorn im Auge. Dieser hat nämlich ein Verhältnis mit Dong-huns Frau und will Dong-hun loswerden. Dafür engagiert er die junge Teilzeitmitarbeiterin Ji-an (IU). Sie soll Dong-hun Korruption anhängen und ihn verführen. Selbst in schweren Geldnöten lässt sich Ji-an darauf ein. Doch nach und nach verbindet sie mehr mit Dong-hung und ihre Motivation verschiebt sich.
Die Serie hatte grossen Erfolg in Korea und wurde auch zur besten Serie des Jahres gekürt. Sie beschreibt eindrücklich den Arbeitsalltag und setzt Figuren in den Mittelpunkt, die an ihrer beruflichen Erfolglosigkeit und wie diese von der Gesellschaft bewertet wird, leiden. Von besonderem Interesse sind die Protagonisten, die trotz aller Härte ihres Umfelds versuchen, ihre Würde zu behalten. Herausragend ist dabei die schauspielerische Leistung von Lee Sun-kyun, dessen aussergewöhnlich tiefe Stimme durch die Dunkelheit vibriert. Nicht zu vernachlässigen ist auch die begleitende traurige, melodische Musik der Serie.
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10. «Black»
Ha-ra (Go Ara) hat eine besondere Gabe – sie kann den Tod sehen. Wenn neben einer Person ein schwarzer Schatten auftaucht, wird diese in Kürze sterben. Ein Leben lang hat sie sich gegen diese Eigenschaft gewehrt und eine Sonnenbrille getragen. Doch dann kommt Joon (Song Seung-heon) und überzeugt sie, diese Fähigkeit zu nutzen, um die Menschen vor dem Tod zu bewahren. Ha-ra weiss aber nicht, dass Joon in Wirklichkeit nicht ihre erste Liebe aus der Kindheit ist, der mittlerweile zum Kriminalermittler wurde, sondern der Todesengel Nr. 444, der nach Joons Tod in dessen Körper eingestiegen ist. In Wahrheit möchte nämlich Nr. 444 mit Ha-ras Hilfe einen anderen abtrünnigen Todesengel finden. Das Schicksal der Menschen ist ihm egal. Je mehr Zeit er aber mit Ha-ra verbringt, desto mehr verändert sich seine Haltung.
Die Serie ist vieles gleichzeitig. Eine spannende Thrillergeschichte um Korruption in den höchsten Rängen der koreanischen Gesellschaft und Politik (ja, schon wieder), eine originelle Fantasy-Geschichte und eine eindrückliche Parabel über die Liebe. Zu all dem kommt noch das humoristische Element, das die sonst ernste Handlung immer wieder bricht. Der Protagonist, dieser Todesengel, muss sich nämlich erstmal im Körper eines Menschen zurechtfinden, was für viele lustige Szenen sorgt. Im übrigen wird Nr. 444 von einem grossartigen Song Seung-heon gespielt, der diese Nuance zwischen Ernst und Komik hervorragend beherrscht.
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