Kritik27. Februar 2023

Berlinale 2023: «Der vermessene Mensch»: Die übermächtigen Weissen

Berlinale 2023: «Der vermessene Mensch»: Die übermächtigen Weissen
© Willem Vrey / Studiocanal GmbH

Lars Kraume behandelt mit seinem neuen, bildgewaltigen Epos einen Teil der deutschen Geschichte, der bisher kaum Einzug ins Kino gefunden hat: die Kolonialzeit in Afrika.

«Der vermessene Mensch»: Die übermächtigen Weissen

Lars Kraume | 116 Min.

Ein Text von Teresa Vena

Berlin 1896: Alexander Hoffmann (Leonard Schleicher) ist Student der Ethnologie. Er möchte in die Fussstapfen seines Vaters treten, auch Alexander von Humboldt ist eines seiner grossen Vorbilder. Vorerst muss er aber seinem Professor (Peter Simonischek) bei dessen Forschung assistieren. Dabei geht es um das Volk der Nama und Herero, das einheimisch im damaligen «Deutschland-Westafrika», einer deutsche Kolonie unter Kaiser Wilhelm II, ist. Im Rahmen der internationalen Völkerschau, bei der Menschen verschiedener Regionen der Welt in Berlin «zur Schau gestellt» wurden, kommt auch eine Delegation der Nama und Herero, die die Studenten untersuchen.

Sie vermessen sie. Sie zählen ihre Zähne, messen die Breite der Nase, die Grösse der Ohren, die Länge der Stirn. Diese Daten sollen vor allem eins: bestätigen, dass die weisse Rasse den restlichen überlegen ist. Durch die unterschiedlichen Physiognomien lasse sich eine höhere Intelligenz der Weissen erklären, so die Überzeugung. Alexander steht mit seiner gegenteiligen Meinung, dass die Rassen alle gleich sind und die Intelligenz des Menschen von den sozialen Entwicklungsmöglichkeiten abhängt, alleine. Er lernt die Dolmetscherin der Delegation, Kezia Kambazembi (Girley Charlene Jazama), kennen, was ihn in seiner Haltung nur bestärkt. Dann kehrt diese nach Hause zurück. Alexander bekommt die Gelegenheit, Jahre später mit einer eigenen Delegation nach Westafrika zu fahren. Was er dort sieht, wird ihn für immer brechen.

Regisseur Lars Kraume interessiert sich für historische Stoffe. Zuletzt hat er sich mit «Das schweigende Klassenzimmer» in die 1950er Jahre in die DDR begeben. Jetzt reist er ans Ende des 19. Jahrhundert zurück und thematisiert wieder eine Episode der deutschen Geschichte, die bisher eher marginal in filmischen Stoffen behandelt wurde. Zum Hauptthema des Films macht Kraume die Rassentheorien, die man zu der Zeit verbreitete, um kolonialistische Überzeugungen und damit verbundene Schandtaten, die auf die militärische Vernichtung ganzer Völker hinausliefen, zu rechtfertigen.

Es ist etwas schade, dass «Der vermessene Mensch» zu sehr die Sensation gegenüber dem tiefgehenden Diskurs bevorzugt. Der Film, der eine nicht immer sehr sympathische didaktische Art hat, zerfällt nämlich in zwei Teile. In der zweiten Hälfte findet die Handlung in Afrika statt, gedreht wurde in Namibia, und ist von der Darstellung von Gewalt geprägt: geschändete Leichen soweit der sandige Horizont reicht. Die Auswirkungen dieser Ereignisse auf unsere Gegenwart werden nur noch im Vorbeigehen erwähnt, hätten dem Werk aber mehr Relevanz gebracht.

3 von 5 ★

Eine Zusammenstellung aller Texte der 73. Berlinale findest du hier.

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