Kritik20. Februar 2024 Maria Engler
Berlinale 2024: «Der unsichtbare Zoo»: Das Paradox der artgerechten Haltung
Ein Ausflug in einen der renommiertesten Zoos Europas nach Zürich wirft Fragen auf. Nach dem Verhältnis von Natürlichkeit und Künstlichkeit, den Strukturen menschlicher Kultur und was Einrichtungen wie diese bedeuten. Genug Platz für diese Gedanken bleibt in diesem stillen Film, der auch zu schockieren weiss.
«Der unsichtbare Zoo»: Das Paradox der artgerechten Haltung
Romuald Karmakar | Deutschland | 178 Min.
Gehege, Tiere, Besucher:innen, Zoopersonal: «Der unsichtbare Zoo» bietet vielfältige Blicke vor und hinter die Kulissen des Zürcher Zoos und begleitet den Alltag des Unternehmens im Laufe der Jahreszeiten. Ob der Neubau eines riesigen Geheges, Team-Meetings und Beratungen der Mitarbeitenden, Leben und Sterben der Tiere oder lehrreiche Führungen für die Gäste – das facettenreiche Porträt des Zoobetriebes begleitet Entwicklungen, Siege und Niederlagen.
Eine wild bewachsene Landschaft, Palmen, Farne, im Hintergrund felsig Wirkendes, dann setzt Regen ein – merkwürdig langsam wird erst der hintere Teil der Szene benetzt, bevor sich die Blätter vorne unter der Wasserlast neigen. Bald wird klar: Wir beobachten ein Zoogehege, das Wasser kommt aus einer Bewässerungsanlage, nichts in dieser Szenerie ist natürlich gewachsen. Das spannungsvolle Verhältnis zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit, das Verschleiern menschlicher Einflüsse und Schaffen eines natürlich wirkenden Lebensraumes – bereits in dieser ersten Szene eröffnet «Der unsichtbare Zoo» das Themenfeld, das der Dokumentarfilm in den kommenden drei Stunden beackern wird.
«Der unsichtbare Zoo» ist ein Filmprojekt des deutschen Regisseurs und Filmkünstlers Romuald Karmakar, der sowohl Dokumentar-, als auch Spielfilme (z.B. «Der Totmacher») dreht. Der Filmemacher ist international bekannt und lenkt in seinem Schaffen die Aufmerksamkeit auf die harte Realität, Probleme in der Gesellschaft und fehlgeleitete Figuren und Entscheidungen der Geschichte.
Es scheint deshalb, als würde «Der unsichtbare Zoo» aus dem Werk des Regisseurs, der sich sonst vor allem mit politischen Themen beschäftigt, aus dem Gesamtwerk herausfallen. Doch Karmakar gelingt es, dem Mikrokosmos Zoo auf spannungsvolle Weise zu begegnen und nachhaltig zum Nachdenken anzuregen – und das, obwohl es keinen Kommentar gibt, keinen gesprochenen Text, der über die Intention oder die Richtung des Films Auskunft gibt. Karmakar lässt stattdessen andere sprechen: Zoopersonal, Leitung und Gäste kommen immer wieder zu Wort, wenn sie in ihrem alltäglichen Umfeld mit ihrer Umgebung interagieren, denn auch Interviews sucht man hier vergebens.
Diese Zurückhaltung und Stille, die nur vom Brüllen von Tigern oder dem Kreischen der Vögel durchbrochen wird, bietet umso mehr Platz für die Gedanken des Publikums, das innerhalb der ruhigen Einstellungen das Für und Wider von Zoos im Allgemeinen abwägen kann. Doch mit Auswahl und Dauer seiner Szenen setzt «Der unsichtbare Zoo» natürlich auch Schwerpunkte, zum Beispiel mit der ausführlichen und überaus furchtlosen Darstellung der Tötung, Transportes und Zerlegung eines Zebras. Warum es sterben musste? Einsamkeit. Das Urteil liegt beim Zuschauenden.
3.5 von 5 ★
Eine Zusammenstellung aller Texte der 74. Berlinale findest du hier.
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