Kritik24. Februar 2024 Maria Engler
Berlinale 2024: «Seven Veils»: Eine Arie der Befreiung
Der Regisseur Atom Egoyan kehrt zur Berlinale zurück und arbeitet erneut mit Amanda Seyfried zusammen. Mit «Seven Veils» erschaffen sie gemeinsam einen intensiven und meisterhaft geschriebenen Film, der unweigerlich in seinen Bann zieht.
«Seven Veils»: Eine Arie der Befreiung
Atom Egoyan | Kanada | 109 Min.
Die Theaterregisseurin Jeanine soll nach dem Tod ihres ehemaligen Mentors und Liebhabers seine berühmteste Inszenierung wieder aufführen: die Oper «Salome». Während sie sich mit Eheproblemen und den Vorstellungen der Intendant:innen herumschlägt, zieht sie die Arbeit an dem Stück in einen Strudel der Vergangenheit, der sie zu verschlingen droht.
Es ist nach «Chloe» (2009) bereits das zweite Mal, dass der Regisseur Atom Egoyan und Amanda Seyfried zusammenarbeiten. In «Seven Veils» verwebt Egoyan, der auch das Drehbuch verfasste, die Oper «Salome» von Richard Strauss mit einer intensiven Charakterstudie und einem gewagten Blick hinter die Kulissen des Kulturbetriebs.
Für alle Zuschauer:innen, die im Bereich Oper nicht sattelfest sind, bietet «Seven Veils» zu Beginn einen inhaltlichen Einstieg in das Stück, das für den gesamten Film im Mittelpunkt stehen wird. Vielleicht nicht absolut elegant gelöst, aber zweckmässig erläutert die Requisiteurin Clea (Rebecca Liddiard) die Geschichte der schönen Königstochter Salome, die sich unsterblich in Johannes den Täufer verliebt und von ihm abgelehnt wird. Nachdem sie für ihren lüsternen Stiefvater den titelgebenden Tanz der sieben Schleier getanzt hat, erfüllt er ihr ihren sehnlichsten Wunsch und schenkt ihr den abgeschlagenen Kopf von Johannes, damit sie ihn endlich küssen kann.
Spannend und hypnotisierend verknüpft «Seven Veils» die dramatische und brutale Oper mit der ebenso traumatisierenden Handlung des Films. Geschickt werden Szenen aus den Proben und dem fertigen Stück mit Videoaufnahmen aus Jeanines (Amanda Seyfried) Kindheit und der steigenden Verzweiflung in ihrer Gegenwart miteinander verflochten und entfalten eine unvergleichliche Sogwirkung. Selten hat die filmische Adaption einer anderen Kunstform so gut funktioniert!
Passend zur Dramatik der Oper entwickelt sich auch die Geschichte der Hauptfigur. Die sich steigernde emotionale Wucht der Handlung überschreitet zum Glück niemals die Grenze zum Übertriebenen, schrammt aber mitunter eng daran entlang. Amanda Seyfried überzeugt vollends mit ihrem facettenreichen und mitunter hochdramatischen Schauspiel und trägt den Film im Alleingang – die etwas mühsam eingeflochtene Nebenhandlung rund um die Requisiteurin Clea hätte es nicht gebraucht.
«Seven Veils» bietet vielseitige, niemals schnöde vorgetragene Interpretationen der Oper an, die wiederum zum Schlüssel für die Filmhandlung werden. Im Laufe der Handlung findet Jeanine einen feministischen und befreienden Zugang zum Stück und sprengt damit gleichzeitig die Ketten ihrer eigenen Gefangenschaft durch die Männer in ihrem Leben. Insgesamt bietet «Seven Veils» ein sehr intensives, aufwühlendes und grossartig inszeniertes Filmerlebnis, das zu den besten der diesjährigen Berlinale gehört.
4.5 von 5 ★
Eine Zusammenstellung aller Texte der 74. Berlinale findest du hier.
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