Kritik23. Mai 2023 Cineman Redaktion
Cannes 2023: «Merle Merle Mûre»: Spätes Aufblühen
Nach «Wet Sand» präsentiert Elene Naveriani erneut eine intime Charakterstudie, eines Menschen, der seine persönliche Freiheit findet, obwohl seine physische Umgebung diese gerne beschneiden würde. Auch dieses Drama um eine alleinstehende Frau mittleren Alters spielt in Georgien.
«Merle Merle Mûre»: Spätes Aufblühen
Elene Naveriani | 110 Min.
Ein Text von Teresa Vena
Etero (Eka Chavleishvili) lebt in einem georgischen Dorf und führt dort einen kleinen Laden. Alle kennen sich hier. Ausser zu einer einzigen guten Freundin hat Etero ein angespanntes Verhältnis zu den Frauen im Ort. Als alleinstehende Kinderlose fällt sie aus dem Rahmen und das bekommt sie auch zu spüren. Bisher hat sie sich zwar damit abgefunden, doch dann ändert sich plötzlich alles, als sie ihren Waschmittellieferant Murman (Teimuraz Chinchinadze) verführt und mit 48 ihre erste sexuelle Erfahrung macht. Diese Affäre lässt sie aufblühen.
Elene Naveriani verortet auch «Merle Merle Mûre» nach «Wet Sand» in der Heimat Georgien. Wieder spielt die Geschichte auf dem Land. Daran interessiert die Naveriani, dass hier eine strengere soziale Kontrolle herrscht, die Mentalität besonders konservativ ist. Naveriani nutzt diesen Mikrokosmos um mit dem Brennglas auf menschliche Interaktionen zu schauen. Das ist eine der Stärken des Films, da durch die Konzentration des Schauplatzes die intime Stimmung des Dramas unterstrichen wird.
Drama alleine ist eigentlich keine präzise Beschreibung des Films, der auch Element schwarzen Humors hat und in der kontrollierten, aber dennoch sinnlichen Bildsprache an Werke des poetischen Realismus erinnert. Naveriani nutzt zudem auch noch leicht fantastische Elemente, um ihre Geschichte, deren Hauptmotiv Sexualität ist, zu erzählen. Das Besondere an ihrer Auseinandersetzung damit ist die Perspektive einer mittelaltrigen Frau in den Vordergrund zu stellen. Damit wird der Film zu einem ganz dringlichen für unsere Zeit, da er klassische Geschlechterrollen hinterfragt.
Die Schauspielerin Eka Chavleishvilis trägt «Merle Merle Mûre» mit ihrer beeindruckenden Ausstrahlungskraft. Es gelingt ihr, Etero sowohl als starke als auch leicht naive und verletzliche Frau zu spielen. Naveriani hätte diesem eindringlichen Blick, ruhig noch mehr vertrauen und dafür die eine oder andere, recht explizite Sexszene auslassen können, die dem Film einen etwas reisserischen Charakter geben.
3.5 von 5 ★
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