Artikel15. Mai 2019 Irina Blum
Cannes 2019: «Okja»-Regisseur Bong Joon-ho holt sich mit «Parasite» die Goldene Palme
Die 72. Internationalen Filmfestspiele in Cannes sind seit den Preisverleihungen vergangenen Samstag Geschichte. In einem starken Jahrgang gehen Namen wie Quentin Tarantino oder Terrence Malick leider leer aus – während sich «Bacurau» und «Les Misérables» den Preis der Jury sichern konnten, darf sich der südkoreanische Regisseur Bong Joon-ho über die Goldene Palme für die Tragikomödie «Parasite» freuen, die auch unseren Kritiker restlos zu überzeugen wusste.
«Parasite» | Wettbewerb
Filmkritik von Patrick Heidmann aus Cannes
Immer wenn man denkt, man ahne den Verlauf des neuen Films von Bong Joon-ho, schlägt dieser neue Volten, und wie der Koreaner dabei stets die zahllosen, ihr innewohnenden Bedeutungsebenen in Balance hält, meisterlich Spannung und Spass jongliert und ein ums andere Mal zu verblüffen weiss, ist schlicht meisterlich. Besser als seine virtuose, anspielungsreiche und höchst komplexe Mischung aus bitterböser Betrüger-Satire, packendem Eindringlings-Thriller und verzweifeltem Drama über Klassenunterschiede und gesellschaftliche Missstände war im diesjährigen Cannes-Wettbewerb noch kein Film.
Roubaix, une lumière (Oh, Mercy) | Wettbewerb
Kritik von Patrick Heidmann aus Cannes
Von all den Fällen, die Regisseur Arnaud Desplechin im eigentlich sehr ergiebigen Setting seiner Heimatstadt Roubaix anreisst, konzentriert sich sein Film leider recht schnell auf den uninteressantesten. Und inszeniert diesen dann vor allem als lange Abfolge mühsamer Verhöre. Über die Details der Polizeiarbeit erfährt man dabei durchaus einiges, über die an Armut zerbrechende Ex-Industriestadt, die französische Gesellschaft oder auch nur das Leben der beiden möglichen Täterinnen allerdings sehr wenig. So wirkt «Roubaix, une lumière» letztlich bloss wie eine überlange Episode einer zweitklassigen Krimiserie.
«Once Upon a Time... in Hollywood» | Wettbewerb
Filmkritik von Patrick Heidmann aus Cannes
Es ist nicht so, dass «Once Upon a Time... in Hollywood» nicht einiges zu bieten hätte: tolle Schauspieler bis in die kleinsten Rollen und allerlei clevere, vielleicht sogar unvergessliche Momente. Auch als nostalgisch-coole Hommage an das Los Angeles der Sechzigerjahre und die von Quentin Tarantino so verehrten Western-Serien und –Filme funktioniert er bestens. Doch die mehr als zweieinhalb Stunden bis zum blutig-märchenhaften Finale, das die der Geschichte innewohnenden realen Ereignisse aussen vor lässt, vergehen trotzdem hin und wieder etwas zäh, weil die Geschichte im Ganzen ein wenig flach bleibt.
«Sorry We Missed You» | Wettbewerb
Kritik von Patrick Heidmann aus Cannes
Einmal mehr widmet sich Ken Loach, dem in Sachen Sozialrealismus im europäischen Kino niemand das Wasser reicht, in «Sorry We Missed You» der bitteren Alltagsrealität seiner Arbeiterklasse-Protagonisten. Unerwartet oder subtil geht er in seiner Gesellschafts- und Kapitalismuskritik dabei nicht vor, doch nicht zuletzt dank starker Schauspielerleistungen entwickelt seine Geschichte einmal mehr eine bemerkenswerte Dringlichkeit.
«Rocketman» | Ausser Konkurenz
Filmkritik von Patrick Heidmann aus Cannes
Nach dem vom Publikum zwar sehr, von der Kritik eher wenig geliebten «Bohemian Rhapsody» waren die Erwartungen an «Rocketman» nicht allzu gross. Doch die Weltpremiere beim Festival in Cannes (wo der Film von Dexter Fletcher ausser Konkurrenz lief) erwies sich als voller Erfolg. Schlüssel zum Erfolg ist dabei nicht nur ein enorm überzeugender Taron Egerton in der Hauptrolle, sondern vor allem die Tatsache, dass die Lebensgeschichte von Elton John nicht als konventionelles, bierernstes Biopic daherkommt, sondern sich als waschechtes Musical entpuppt, in dem die Hits des Briten elementarer Bestandteil der Handlung sind.
«Dolor y Gloria» | Wettbewerb
Filmkritik von Irina Blum
Pedro Almodóvar verarbeitet in seinem 21. Film sein Künstlerleben: In vielen Zeitsprüngen erzählt er die Geschichte eines in die Jahre gekommenen Regisseurs (gespielt von Antonio Banderas), der – ausgelöst durch die Einladung an eine Retrospektive seines erfolgreichsten Films – gezwungen ist, sich mit seiner von Leidenschaft, Trauer und Holpersteinen geprägten Vergangenheit auseinanderzusetzen. Das autobiografische Drama hat etwas Mühe, in die Gänge zu kommen, entwickelt sich dann aber zu einem äusserst persönlichen Film, der – trotz viel Schmerz und weniger Herrlichkeit – eine wunderschöne Liebeserklärung an das Kino ist und sich folglich wohl vor allem an Fans des spanischen Kult-Regisseurs richtet.
«The Dead Don't Die» | Eröffnungsfilm
Filmkritik von Patrick Heidmann aus Cannes
«The Dead Don't Die», Jim Jarmuschs bereits achter Film im Wettbewerb von Cannes, ist ein waschechter Zombiefilm, aber auch eine für ihn typische Arbeit: lakonisch und ruhig, voll schräger Momente und mit prominentem Ensemble (unter anderem Adam Driver, Bill Murray und Tilda Swinton in einer wieder einmal famosen Rolle). Die auf Genre-Grossmeister George Romero verweisende antikapitalistische Botschaft gerät ihm allerdings arg unsubtil, weswegen er mit der philosophischen Komplexität, die in Filmen wie «Ghost Dog» oder «Only Lovers Left Alive» steckt, dieses Mal nicht mithalten kann.
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