Artikel16. November 2022 Cineman Redaktion
Filmtagebuch: «Das Auge isst mit» – Filme und Serien, in denen Essen mehr oder weniger bekömmlich ist
Anlässlich des Kinostarts von «The Menu» von Mark Mylod haben wir euch 14 Film- und Serientipps zusammengestellt, die das Thema Essen als gesellschaftliches Ereignis feiern.
Ein Artikel von Teresa Vena
1. «Triangle of Sadness»
Ruben Östlund | Schweden, UK, USA, Frankreich, Griechenland, Türkei, 147 min. Aktuell im Kino
Der Kapitän einer Luxusjacht lädt seine wohlhabenden Passagiere zum eleganten Abendessen ein. Doch der Seegang ist stürmisch und selbst der unempfindlichste Magen dreht sich auf Dauer um. Es kommt, wie es kommen muss und eine dicke Suppe aus Erbrochenem und Fäkalien ergiesst sich über die Jacht.
Schade um das teure Essen. Der schwedische Regisseur entweiht die Vorstellung des privilegierten Restaurantbesuchs, bei dem man vielleicht wegen der kleinen Portionen am Ende noch hungrig zurückbleibt, aber sich angesichts des eleganten Umfelds und des teuren Preises als Teil der gehobenen Gesellschaft fühlt – oder fühlen soll.
2. «Ente gut alles gut»
Clifton Ko | Hong Kong, 1988 | 95 min.
Xü (Michael Hui) ist der Besitzer eines kleinen Imbisses, das sich auf gegrillte Ente spezialisiert hat. Am Service und der Hygiene mangelt es schwer in dem Laden, doch weil es sich um das beste Entenrezept weit und breit handelt, fehlt es nicht an Kunden. Doch dann eröffnet auf der gegenüberliegenden Strassenseite eine neue Filiale einer Fast-Food-Kette, die frittiertes Hühnchen verkauft und mit einer grossangelegten Werbekampagne auffährt. Xü beginnt einen, nicht ganz zimperlichen Kampf ums Überleben.
Die Brüder Michael Hui, Stanley Hui und Ricky Hui sind Autoren und Schauspieler in verschiedenen rasanten Komödien aus Hong Kong. Abgesehen von der präzisen Inszenierung, dem intelligenten Drehbuch und der souveränen schauspielerischen Leistung aller Beteiligten, werfen die Filme immer auch einen Blick auf die sozialen Lebensumstände vor Ort. In «Ente gut alles gut» spielt der Film beispielsweise auf Gentrifizierung und damit die Verdrängung von kleineren Familienunternehmen sowie auf ausbeuterische Arbeitsverhältnisse an.
Verfügbar auf YouTube
3. «Mr. Long»
Hiroyuki Tanaka alias Sabu | Japan 2017 | 129 min.
Long ist Taiwaner und Mitglied der Mafia. Er kommt nach Japan, um einen Mordauftrag auszuführen, doch der wird vereitelt. Da er sich nun deswegen nicht mehr traut, nach Taiwan zurückzukehren, versteckt er sich in Japan. Um Geld zu verdienen, richtet er einen Imbisswagen her und verkauft eine taiwanisches Nudelsuppe, die bald viele Anhänger findet.
Über das Essen nähern sich Figuren an, die sonst kaum zueinander finden würden. Da spielt es auch keine Rolle, dass sie sich sprachlich nicht verständigen können. Es sind die schmackhaften Nudelsuppen von Mr. Long, die zu ungewöhnlichen Freundschaften führen.
Verfügbar on Demand auf Apple TV, Amazon Prime und Mubi.
4. «Kitchen Stories»
Bent Hamer | Norwegen, Schweden, 2003 | 95 min.
Die Geschichte spielt in den 1950er Jahren. Ein schwedisches Forschungsinstitut hat es sich zur Aufgabe gemacht, auch im ländlichen Norwegen das Küchenverhalten der Bevölkerung zu untersuchen und damit die effiziente Ausstattung und Anordnung der Küche zu optimieren. Zu diesem Zweck reisen schwedische Beobachter nach Norwegen und installieren sich mit einem Hochsitz und Notizblock in eine Ecke der Küchen. Dabei kommt es zur Begegnung zweier Junggesellen, die sich nach und nach anfreunden, auch wenn sie anfänglich glaubten, sich nichts zu sagen zu haben.
Die Tragikomödie von Bent Hamer wirft einen amüsanten Blick auf den Mythus des introvertierten Skandinaviers. Der Film ist auch ein Manifest für gegenseitiges Verständnis und Zusammenhalt.
Verfügbar auf YouTube.
5. «Dänische Delikatessen»
Anders Thomas Jensen | Dänemark, 2003 | 95 min.
Bjarne (Nikolaj Lie Kaas) und Svend (Mads Mikkelsen) machen sich mit ihrer eigenen Metzgerei selbstständig, doch der Erfolg lässt auf sich warten. Dann wird durch einen Unfall ein Elektriker im Kühlraum eingesperrt. Die beiden finden ihn am nächsten Tag und müssen die Leiche verschwinden lassen. Sie sind schliesslich Fachmänner, wenn es darum geht, grössere Mengen Fleisch und Knochen zu verarbeiten. Plötzlich läuft die Metzgerei, denn das Sonderfleisch findet Anklang. Aber der Elektriker reicht nicht für sehr lange.
Verfügbar On Demand auf Amazon Prime und Google Play.
6. «The Dinner»
Oren Moverman | USA, 2017 | 120 min.
Zwei Elternpaare haben sich zum Abendessen im Restaurant verabredet. Sie müssen dringend miteinander sprechen, doch schieben sie die unangenehme Unterhaltung lange zwischen dem einen und anderen Gang vor sich hin. Alles läuft darauf hinaus, dass spätestens beim Dessert sich alle unweigerlich überworfen haben werden. Die exklusiven Speisen kann mit Sicherheit keiner von ihnen richtig geniessen und sie greifen auf reichlich teuren Wein zurück, um die leicht steckenbleibenden Bissen hinunterzuspülen.
Verfügbar on Demand auf Apple TV und Google Play.
7. «Clerks II»
Kevin Smith | USA, 2006 | 97 min.
Dante (Brian O'Halloran) und Randal (Jeff Anderson) sind Mitte dreissig und arbeiten in einer Fast-Food-Kette. Während Randal damit zufrieden ist und sich mit einem minimalistischen Arbeitsaufwand durch den Tag schleicht, will Dante seine Chance ergreifen und mit seiner Verlobten nach Florida ziehen und den Autowaschsalon seiner Schwiegervaters übernehmen. Sein letzte Arbeitstag im Imbiss verläuft zwischen halbherzigen Hygienemassnahmen, unsorgfältig behandelten Zutaten und offenen Streitereien mit den Kollegen und Kunden weitgehend wie immer.
Der amerikanische Traum endet – oder beginnt – für viele hinter der Imbisstheke. Kevin Smith kritisiert mit seiner Tragikomödie, die sich an manchen Stellen nahe an der Grenze des Erträglichen bewegt, materialistische Werte, die über den sozialen Status einer Person bestimmen können. Auf seine Art beschreibt er auch mit der Bedeutung von Fast Food in der Ernährung ein uramerikanisches Phänomen.
Verfügbar auf Amazon Prime.
8. «When the Cameliia Blooms»
_Cha Yeong-hoon | Südkorea 2019 | 20 Folgen à ca. 60 Minuten
Eine junge alleinerziehende Mutter zieht mit ihrem Sohn in eine südkoreanische Kleinstadt. Dort eröffnet sie eine Bar, in der sie auch einige Speisen anbietet. Lange sind die Einheimischen skeptisch und bleiben weg. Doch dann werden die Männer des Ortes zu Stammgästen, was ihre Ehefrauen gar nicht lustig finden. Die Versuche der Männer, die Besuche in der Bar geheimzuhalten, scheitern an der sozialen Kontrolle, die im Dorf herrscht. Die junge Mutter findet schliesslich in einer älteren Frau, die selbst ein Restaurant betreibt, eine Freundin. Doch nur so lange bis der ledige Sohn der Frau, ein Polizist, sich in die Barfrau verliebt und um sie wirbt.
Die Serie ist spannend inszeniert, zeichnet sich durch viel Humor aus, aber schneidet viele gesellschaftlich relevante Themen an. Dabei geht es beispielsweise um die konservativen Vorstellungen über Familienverhältnisse, sozialen Status und Diskriminierung.
Verfügbar auf Netflix.
9. «Brust oder Keule»
Claude Zidi | Frankreich, 1976 | 101 min.
Ein Restaurantkritiker (Louis de Funès) gibt sich alle Mühe, bei seinen Kontrollgängen nicht erkannt zu werden, da sonst das Bild verfälscht werden könnte, das ihm vor Ort geboten wird. Er ist Verfechter der klassischen französischen Gastronomie und verurteilt alle unseriös geführten Lokale. Dabei ist der Versuch eines Unternehmers, immer mehr Gaststätten mit industriell gefertigten Mahlzeiten zu beliefern, ein besonderer Skandal. Der Kritiker lässt sich auf ein Kräftemessen mit ihm ein.
Den Darsteller Louis de Funès liebt man oder hasst man. Seine Komik schwankt zwischen überzeugender Charakterkomik und Klamauk. In «Brust oder Keule» zeigt er sich von seiner besten Seite und fasziniert durch seine hypernervöse Art. Die Themenstellung ist für ihre Zeit vorausschauend und heute genauso aktuell.
Verfügbar auf Amazon Prime und Apple TV.
10. «Indien»
Paul Harather | Österreich, 1993 | 90 min.
Die Beamten Heinz (Josef Hader) und Kurt (Alfred Dorfer) werden gemeinsam auf Dienstreise in die österreichische Provinz geschickt. Sie müssen die einzelnen Gaststätten abklappern und prüfen, ob sich diese an die Hygienevorschriften halten. Der eine nimmt es besonders ernst, dem anderen ist es egal, solange er als Bestechung Trank und Speise aufs Haus bekommt. Der Konflikt zwischen den beiden Männern ist vorprogrammiert.
Die Geschichte lebt vom Zusammenprall der unterschiedlichen Charaktere der Hauptfiguren. Die Einblicke in die ländliche Durchschnittsgastronomie sind eindrücklich.
Verfügbar auf Apple Tv und Amazon Prime.
11. «Boiling Point»
Philip Barantini | UK, 2021 | 92 min.
Andy (Stephen Jones) ist der Chefkoch und Besitzer eines kleinen, aber noblen Restaurants in London. An Heiligabend ist jeder Platz gebucht, seine Mitarbeiter stehen unter Strom, und Andy nicht ganz bei der Sache, weil er private Probleme mit sich wälzt. Dazu kommen Gäste mit Sonderwünschen: Die eine hat eine Nussallergie, die anderen, angeblich bekannte Influencer, wollen Steak mit Pommes, die aber nicht auf der Karte stehen. Andy müsste den Betrieb zusammenhalten, doch stattdessen droht genau das Gegenteil zu passieren.
In einer atemberaubenden einzigen Einstellung führt der britische Regisseur, der selbst jahrelang als Koch gearbeitet hat, durch einen Abend im Restaurant. Der Film zeigt eindrücklich, wie nervenauftreibend, schweisstreibend und auch verantwortungsvoll die Arbeit in der Küche ist.
Verfügbar On Demand im Sky Store und Apple TV.
12. «Das grosse Fressen»
Marco Ferreri | Italien, Frankreich, 1973 | 130 min.
Eine Gruppe von Freunden trifft sich im Haus von einem von ihnen, mit der Absicht gemeinsam Selbstmord zu begehen: Sie wollen sich zu Tode «fressen». Deswegen verzichten sie aber nicht auf sorgfältig zubereitete Speisen. Das Auge isst schliesslich mit.
Der Film ist eine Parabel existenzieller Weltverneinung sowie eine absurde Komödie. Kann man von zu viel Wohlstand sterben? Für den Menschen ist es wohl einfacher, sich zu zwingen immer mehr zu essen, als ganz damit aufzuhören? Die italienisch-französische Co-Produktion ist von kompromissloser Radikalität und vereint Schauspielgrössen wie Marcello Mastroianni, Michel Piccoli und Philippe Noiret.
Verfügbar auf Apple TV.
13. «Ratatouille»
Brad Bird, Jan Pinkava | USA, 2007 | 111 min.
Ausgerechnet eine Ratte wirbelt in einer Sterneküche herum und kreiert die aussergewöhnlichsten Gerichte? Das geht, solange sie unbemerkt bleibt. Sie versteckt sich nämlich unter der Kochmütze des tollpatschigen Küchenjungens. Die Ratte Rémy, die unter normalen Umständen, nie in eine Küche gelassen würde, kann durch den Jungen, den er an den Haaren zieht und wie eine Marionette dirigiert, seine Leidenschaft fürs Kochen ausleben.
Dieser Disney-Animationfilm hatte weltweit riesigen Erfolg. Er erzählt vom Aufstieg eines Aussenseiters und ist das romantische Plädoyer für das Festhalten an den eigenen Träumen, egal wie unrealistisch sie erscheinen mögen. Wenn eine Ratte zum Chefkoch werden kann, was sollte denn dann noch unmöglich sein?
Verfüfbar auf Disney Plus und On Demand auf Apple TV.
14. «Miseria e nobilità»
Mario Mattoli | Italien, 1954 | 95 min.
Um 1890 leben in Neapel zwei Familien in grosser Armut. Sie können sich kaum etwas zu essen kaufen, als ihnen ein junger Mann von adeliger Herkunft ein Angebot macht, das sie nicht abschlagen können. Wenn sie sich als Mitglieder seiner wohlhabenden Familie ausgeben, mit der er um die Hand seiner Angebeteten anhalten will, zeigt er sich entsprechend erkenntlich. So schlüpfen die Armen in extravagante Kleidung und lassen sich von ihrer vermeintlichen Schwiegerfamilie die leeren Mägen stopfen.
Auf humoristische Weise erzählt der Film, der auf einem beim Publikum sehr erfolgreichen Theaterstück von Eduardo Scarpetta basiert, von grosser Armut. Hier zeigt sich, wie wortwörtlich Kleider Leute machen und wie Essen für die einen Überleben und für die anderen Genuss bedeutet.
Verfügbar auf YouTube.
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