Kritik28. Dezember 2018 Irina Blum
Der Zuschauer bestimmt: Netflix überrascht mit interaktivem «Black Mirror»-Film «Bandersnatch»
Kurz vor Jahresende und noch vor einer schon länger angekündigten fünften Staffel der Sci-Fi-Serie «Black Mirror» veröffentlicht Netflix überraschend einen Film zur Serie. Speziell daran: «Bandersnatch» ist interaktiv – heisst, der Zuschauer bestimmt selbst über die Handlung.
Zunächst beginnt «Bandersnatch» für alle gleich: Mit Frankie goes to Hollywood und dem Song «Relax». Schnell ist auch vom Farbschema her klar, in welcher Epoche wir uns befinden – wir sind mitten in den 80er-Jahren gelandet. Bei Stefan Butler, einem jungen Programmierer, der sich mit seinem Vater gerade ein englisches Frühstück genehmigt, inklusive Tee. Statt Eggs on Toast steht der Zuschauer aber bald vor der ersten Entscheidung: Sollen es Sugarpuffs oder Kellogg's Frosties sein?
So erfährt man zunehmend mehr über den introvertierten jungen Mann (gespielt von Fionn Whitehead, bekannt aus «Dunkirk»): Er will später an diesem Tag das Demo-Tape zu einem interaktiven Game namens Bandersnatch einer in der Branche renommierten Firma präsentieren, wo auch die Koryphäe Colin Ritman (Will Poulter) unter Vertrag ist. Genau wie bei der gleichnamigen Buchvorlage wird der Spieler immer wieder vor die Wahl gestellt, wobei der Autor des Buchs beim Schreiben des Multiple-Choice-Abenteuers verrückt geworden sein soll.
Relativ schnell wird klar, dass auch Stefan während dem Entwickeln seines verzweigten Spiels allmählich an seinem Verstand zu zweifeln beginnt: Als Zuschauer wird man mit jeder weiteren selber getroffenen Entscheidung in Stefans Welt hineingezogen und erlebt verschiedene Situationen aus seiner Sicht. Je nach den Entscheidungen, die man trifft, variiert die Länge des Films – auf direktem Weg dauert das immersive Abenteuer 40 Minuten, durchschnittlich werden laut Variety jedoch etwa 90 Minuten gebraucht.
Auf diesen divergierenden Pfaden kann es leicht passieren, dass man in Zeitschlaufen oder parallele Realitäten hineingerät, oder die Geschichte wie in einem Game mit einem Neustart direkt nochmals von vorne beginnt – in einem Fall erklärt einem Figur Colin zum Beispiel gleich selbst, dass man die falsche Entscheidung getroffen hat. Gewisse Entscheidungen fallen dabei leichter – zum Beispiel die nach einer Müslisorte oder dem passenden Song – wie andere: Dann etwa, wenn man vor knifflige moralische Entscheidungen gestellt wird, die zum Teil physisch sowie psychisch brutale Konsequenzen nach sich ziehen.
Das Prinzip des interaktiven Handlungsverlaufes hat Neflix zuerst an Kinderfilmen getestet. Und obwohl gewisse Übergänge etwas aprubt sind und einige Entscheidungen wie Pseudo-Urteile wirken – wenn zum Beispiel beide Antworten ähnlich ausfallen – bietet sich das Konzept für diesen Film absolut an. Auch, weil die Macher offensichtlich viel Zeit in das Verhindern von Logik-Problemen gesteckt haben müssen und ganze fünf verschiedene Enden gedreht haben. Fans der Serie «Black Mirror» wissen, dass man sich als Zuschauer bei jeder Folge auf etwas Neues einlassen muss. Genau so ist es mit «Bandersnatch»: Es ist eher ein für sich stehender Film als ein längerer Ableger der Serie.
Und nichtsdestotrotz passt «Bandersnatch» im Grösseren und Ganzen zum Grundgedanken hinter der Serie – dank seines innovativen, überraschenden und kreativen Konzepts, einer soliden Umsetzung und einer in den Wahnsinn treibenden Wirkung. Das wird nicht nur dann klar, wenn sich Netflix gleich selbst einen Cameo-Auftritt im interaktiven und individuellen Trip verpasst.
«Bandersnatch» läuft ab dem 28. Dezember auf Netflix.
Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.
Login & Registrierung