Artikel7. Dezember 2022

Die Kluft zwischen Kino und Wissenschaft

Die Kluft zwischen Kino und Wissenschaft
© 20th Century Fox Switzerland

Wissenschaft und Film gehen seit langem Hand in Hand, sowohl was die technische Entwicklung als auch die Verankerung der Realität im Film betrifft. Dennoch tauchen im Laufe der Filmgeschichte immer wieder kleinere und grössere Abweichungen von der Realität auf, sei es zugunsten des Spektakels oder um das Drehbuch zu vereinfachen. Von interstellaren Reisen bis hin zu Killertieren – hier sind 9 berühmte wissenschaftliche Ungereimtheiten in Filmen.

Artikel von Kilian Junker, Biologe und Filmkritiker

1. Der grosse, böse Wolf

In «Die drei kleinen Schweinchen» ist der Wolf ein furchterregendes Tier, das weit von seiner wahren Natur entfernt ist. © IMDb

Dieses Motiv wird in der Literatur, vor allem in Märchen, immer wieder aufgegriffen und so natürlich auch im Film. Isegrim, der die Fantasie der Drehbuchautoren beflügelt, hat im Laufe der Geschichte immer wieder seinen Tribut gefordert, von Disneys Kurzfilmen wie «Die drei kleinen Schweinchen» (1933) bis hin zu Blockbustern wie «The Grey - Unter Wölfen» (2011). Blutrünstig, masslos, auf der Jagd nach Menschen – man entdeckt eine Seite des Wolfes, die weit von der biologischen Realität des scheuen, geselligen Wesens entfernt ist, das Mühe hat, unsere europäischen Wälder wieder zu bevölkern.

Dieser schlechte Ruf ist jedoch historisch begründet, da es damals durchaus Wolfsangriffe gab und die tödlichen Folgen eines Bisses durch ein tollwütiges Tier die Angst vor dem Wolf noch steigerten. Trotzdem gibt es heute immer mehr Filme, die sich gegen dieses blutrünstige Image wenden, wie z. B. der Zeichentrickfilm «Wolfwalkers» auf Apple TV+ oder der Dokumentarfilm «Wolf Walk», der 2020 in die Kinos kam.

2. Der tollwütige Hund

Der tollwütige Cujo ist kein friedlicher Bernhardiner. © IMDb

Wir bleiben beim Thema Hund, um – ebenfalls im Horror-Untergenre der Killertiere – den tollwütigen Hund zu erwähnen. Der Roman «Cujo» von Stephen King aus dem Jahr 1981 handelt von einem gutmütigen Bernhardiner, der, nachdem er von einer Fledermaus gebissen wurde, an Tollwut erkrankt und zu einer wahren Killermaschine wird. Die Geschichte wurde zwei Jahre später von Lewis Teague unter demselben Namen verfilmt.

Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Handlung eher unwahrscheinlich. Neben der Tatsache, dass Tollwut in vielen Industrieländern kaum vorkommt, schützen Impfungen unsere vierbeinigen Freunde häufig vor diesem tödlichen Virus. Ausserdem hat die Tollwut eine relativ lange Inkubationszeit, bevor der Hund aggressiv wird (ein Symptom, das übrigens nicht immer festgestellt wird). Das heisst, ausserhalb von Stephen Kings Fantasie ist es unwahrscheinlich, dass das Szenario von «Cujo» Realität wird.

3. Der Haiangriff

«Year of the Shark» der Brüder Boukherma greift den Mythos der Killerhaie auf. © NIFF 2022

Wir kennen den Vergleich nur zu gut: Die Mücke tötet jedes Jahr durchschnittlich 80.000-mal mehr Menschen als der Haifisch. Und trotzdem ist das Kino immer noch von Killerhaien besessen: Es begann 1950 mit «Killer Shark», explodierte mit dem Erfolg rund um Steven Spielbergs «Der weisse Hai» 1975 und setzt sich bis heute mit dem kürzlich erschienenen «Year of the Shark» der Brüder Boukherma fort.

Moderne Filme enthalten zwar regelmässig umweltpolitische Botschaften, um ein Gegengewicht zu den auf der Leinwand gezeigten Tiermassakern zu schaffen, aber das Etikett der Killerbestie haftet den Haien dennoch an und trägt nicht zu ihrer Erhaltung bei. Peter Benchley, der Drehbuchautor von «Der weisse Hai», hat dies erkannt und setzt sich nun für den Schutz der Ozeane ein, weil er bitter bereut, wie sich seine Geschichte in den Köpfen der Menschen ausgewirkt hat.

4. Vermenschlichte Tiere

In Jerzy Skolimowskis «EO» ist die Magie des Tieres sich selbst genug. © Frenetic Films

Weil Tiere nicht sprechen können, ist es für Drehbuchautoren naheliegend, ihnen menschliche Züge zu verleihen, um ihren inneren Zustand zu verdeutlichen. Das führt zum Beispiel dazu, dass Haie in «Der weisse Hai IV - Die Abrechnung» schreien, wenn sie Stromstösse abbekommen, obwohl sie keine Stimmbänder haben.

In der Filmgeschichte gibt es noch unzählige weitere Beispiele für solche unausgegorenen Vermenschlichungen, die von Drehbuchautoren verwendet werden, die es sich manchmal zu leicht machen. Man muss sich nur Jerzy Skolimowskis kürzlich erschienenen Film «EO» ansehen, um zu verstehen, dass es nicht vieler Tricks bedarf, um mit einem Tier zu fühlen. Doch genug von den Tieren der Erde – begeben wir uns auf die Suche nach weiter entfernten Arten...

5. Ausserirdische Parasiten

In «Alien: Covenant» ist die interstellare Kolonisierung kein Zuckerschlecken. © 20th Century Fox Switzerland

Die gesamte «Alien»-Saga bis hin zu den neueren Filmen «Prometheus» und «Alien: Covenant» basiert auf der Idee des ausserirdischen Parasiten. Die Szenen mit dem Xenomorph haben sich zweifellos in die Netzhaut eingebrannt... Aus rein biologischer Sicht ist die Idee eines ausserirdischen Schmarotzers jedoch höchst unwahrscheinlich.

Die Beziehung zwischen Wirt und Parasit ist nämlich extrem komplex und das Ergebnis eines prekären Gleichgewichts: Der Wirt muss lediglich eine ausreichende Immunabwehr entwickeln, um den Parasiten auszulöschen, und umgekehrt stirbt der Wirt, wenn der Schädling zu offensiv ist, und damit verliert auch der Parasit sein «Zuhause». Eine solche Beziehung erfordert also eine extrem lange Dauer der Koevolution, die manchmal Millionen von Jahren dauert! Die arme Elizabeth Shaw, die frisch vom Raumschiff «Prometheus» kommt, muss sich in dieser Hinsicht also nur wenig Sorgen machen.

6. Klonen von Erinnerungen?

Sigourney Weaver, ein Klon, der sich in «Alien, die Wiederauferstehung» an alles erinnert. © 20th Century Fox Switzerland

Wir haben bereits die «Alien»-Saga erwähnt, und diese hat mehr als eine Ungereimtheit zu bieten. In Jean-Pierre Jeunets «Alien, die Wiedergeburt» mussten die Drehbuchautoren ein Brainstorming nach dem anderen machen, um herauszufinden, wie sie Ellen Ripley wieder zum Leben erwecken und die Saga verlängern konnten. Die Lösung? Das Klonen! Ein wissenschaftlicher Prozess, der in naher Zukunft durchaus machbar sein könnte, wenn die zahlreichen ethischen Bedenken, die damit verbunden sind, aus dem Weg geräumt sind. Doch auch wenn Ripleys Klon über ihr gesamtes genetisches Material verfügen würde, ist es absolut unmöglich, dass er auch über ein Gedächtnis oder Rückblenden verfügen würde... Liebe Drehbuchautoren, nehmen Sie Biologieunterricht!

7. Ausserirdische Invasionen

Sieht aus, als hätte Tom Cruise Besuch! © Universal Pictures Switzerland

Abgesehen von der oftmals menschenähnlichen Darstellung von Ausserirdischen gibt es noch eine weitere wissenschaftliche Absurdität, die Filme über Alieninvasionen regelmässig begleitet. Wenn wir im Urlaub das Leitungswasser trinken, stellen wir fest, dass unser eigener Organismus nicht unbedingt an die bakterielle Fauna eines anderen Landes angepasst ist.

Mit anderen Worten: die unangenehme Entdeckung der Touristenkrankheit... Und dann auch noch mit Bakterien, Viren und Einzellern von anderen Planeten konfrontiert werden? Darüber wollen wir gar nicht erst reden! Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Lebewesen von ausserhalb der Erde an die unsichtbaren unzähligen Organismen angepasst sind, die unser Wasser, unsere Böden und unsere Körper bevölkern. Etwas, das Steven Spielberg in «Krieg der Welten» übrigens sehr gut verstanden hat.

8. Die drohende Kollision

«Hey Ben, denkst du nicht, dass Michael Bay ein bisschen übertreibt?» © Disney Schweiz

Filme über den Weltraum häufen wie kaum ein anderes Genre berüchtigte physikalische Ungereimtheiten an: Explosionen, die Geräusche machen, Probleme mit der Schwerkraft und der Atmosphäre – das bereitet Filmschaffenden erhebliches Kopfzerbrechen. Ein wiederkehrendes Szenario ist jedoch der Einschlag eines riesigen Meteoriten auf der Erdoberfläche, sei es in «Deep Impact» oder in «Armageddon», um nur zwei zu nennen.

Nun gibt es zwar viele erdnahe Asteroiden (die also potenziell mit der Erde kollidieren könnten), doch werden sie streng überwacht und unter anderem von der Europäischen Weltraumorganisation beobachtet. Es ist daher unwahrscheinlich, dass wir von der plötzlichen Ankunft eines Asteroiden in der Grösse des in Michael Bays Film gezeigten Exemplars überrascht werden – zum Glück für uns.

9. Magische Pilze

Wenn beim Pilzesammeln etwas schiefgeht… © Pathé Films

Von Horrorfilmen («In the Earth», «Hannibal»...) bis hin zu Familienkomödien (der kürzlich erschienene «Jack Mimoun et les secrets de Val Verde») haben Pilze schon oft die Fantasie der Drehbuchautoren beflügelt... Und auch wenn es sich dabei grösstenteils um reine Erfindungen handelt, muss man zugeben, dass Pilze in der Natur einiges zu bieten haben, was das Kino inspirieren kann. Neben den berühmten Halluzinogenen gibt es auch ein Beispiel für den sehr realen Pilz «Ophiocordyceps unilateralis», der Ameisen in echte Zombies verwandelt.

Nachdem der Pilz die Kontrolle über das zentrale Nervensystem übernommen hat, zwingt er das Insekt nämlich dazu, an einem hoch gelegenen Grashalm hinaufzuklettern. Dort zwingt «Ophiocordyceps unilateralis» es, seine Kiefer zusammenzupressen, damit er sich daran festhalten kann. Sobald dies geschehen ist, lässt er den Kopf der Ameise explodieren, um dann seine Sporen zu verteilen, die sich dann auf andere Opfer ausbreiten können. Die Realität ist manchmal noch verdrehter als die Fiktion.

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