Artikel7. August 2017 Baris Erdal
Ehrenleopard für Nastassja Kinski. Rückblick auf eine schillernde Karriere.
Nastassja – die Tochter von Klaus Kinski – wurde beim 70. Locarno Festival für ihre Schauspielerkarriere mit einem Ehrenleopard ausgezeichnet. Anlässlich der Auszeichnung liefen in Locarno die beiden Filmklassiker Paris, Texas (USA, 1984) und Cat People (USA, 1982), in denen Nastassja Kinski ihre schauspielerische Höhepunkte hatte.
Dominic Schmid - der Autor dieses Artikels - ist Teil der Critics Academy des Locarno Festival 2017.
Etwas scheu steigt sie die Treppe zur Piazzabühne empor, auf der sie einen Ehrenleopard entgegennehmen soll. Obwohl ihr Italienisch perfekt ist, sagt oder besser: flüstert sie nicht viel mehr als die Namen einer Reihe von Regisseuren ins Mikrofon, denen sie ihre Erfolge als junge Schauspielerin zu verdanken hatte: Wenders, Polanski, Schrader. Auch nach 30 Jahren schwingt in ihrer Stimme ein Erstauntsein darüber mit, dass sie auf so viele Leute eine solche Wirkung haben kann.
Es ist natürlich nicht überraschend, wenn sich jemand auf der Bühne der Piazza Grande vor 8000 Leuten etwas überfordert fühlt. Trotzdem ist es bemerkenswert, wie sehr Nastassja Kinski in ihrer ganzen Anmutung die junge unschuldige Frau geblieben ist, als die sie in den späten 70er Jahren bekannt geworden war. Kindfrau hat man das damals genannt. In ihrem Temperament – sofern sich ein solches anhand ihrer Rollen beurteilen lässt – ist sie so ziemlich das Gegenteil ihres Vaters Klaus, der sie und ihre Mutter verlassen hatte, als Nastassja gerade mal acht war. Geerbt von ihm hat sie die stechend klaren Augen, in denen man sich verliert, wenn man zu lange hineinschaut, wie auch die auffällig vollen Lippen.
Als Roman Polanski 1979 nach einer Schauspielerin für seine Adaption von Thomas Hardys Tess suchte, schien niemand geeigneter für die Darstellung des unschuldigen, brutal verführten und verlassenen Bauernmädchens Tess zu sein als Nastassja. Ihre damalige Filmografie umfasste deutsche und italienischen Produktionen, die allesamt die Unschuld und Verführbarkeit der Schauspielerin in einem durchaus zweifelhaften Sinne auszunutzen wussten. Kinskis Darstellung der Tess – für die sie sich während eines Jahres den Wessexer Akzent aneignen musste – war künstlerisch interessant und liess auf eine lange und erfolgreiche Filmkarriere hoffen. Leider sollte es anders kommen.
Auf Tess folgten 1982 Paul Schraders exzentrisches Remake von Jacques Tourneurs subtilem Horror-Klassiker Cat People sowie Francis Ford Coppolas kritisch und kommerziell gescheitertes Musical One From the Heart. Auch in Cat People spielt sie gewissermassen die Unschuld vom Lande, die sich in Schraders Szenario allerdings bald buchstäblich zum wilden und sexuell agressiven Raubtier wandelt. Es ist einer der wenigen Filme Kinskis, der die lauernden Abgründe hinter ihren Augen nach aussen kehrt.
Ihr zweiter Auftritt bei Wim Wenders – er hatte sie bereits als Zwölfjährige für eine Nebenrolle in Falsche Bewegung gecastet – war ihre letzte grosse Rolle in einem wirklich sehenswerten Film, und diejenige, an die sich viele noch erinnern: Paris, Texas. Die Szene, in der sie als Peepshow-Performerin im leuchtend roten Pullover in der einseitig verspiegelten Kabine der Geschichte ihres ehemaligen Geliebten zuhört und sich nach und nach dessen Identität bewusst wird, ist eine ikonische.
Der Rest der Karriere ist ähnlich traurig wie die Handlung von Paris Texas. Die zweite Hälfte der 80er sowie einen grossen Teil der 90er verbringt sie mit ein paar Ausnahmen in relativ billigen italienischen Soft-Erotik-Produktionen und mehrheitlich schlechten Hollywoodfilmen, während in ihrem Privatleben zwei Ehen zu Bruch gehen. Gegen einen Ehrenleopard für eine der bezauberndsten Schauspielerinnen zumindest der kurzen Periode zwischen 1979 und 1984 ist zwar mit Sicherheit nichts einzuwenden. Melancholisch stimmt es einen trotzdem, dass beide der anlässlich dieser Ehrung in Locarno gezeigten Filme einer erst 56-jährigen Schauspielerin über dreissig Jahre alt sind. Es ist ein bisschen wie am Ende von Tess of the D'Urbervilles, als deren Ehemann, der sie elendiglich im Stich gelassen hatte, traurig feststellt: „I have never really known her.“
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