Kritik6. Dezember 2017 Noëlle Tschudi
«Favela Olímpica» - Eine olympische Scheinwelt
Bereits zum dritten Mal findet das Human Rights Film Festival Zurich statt: Vom 6. bis zum 10. Dezember werden in den Kinos Riffraff und Kosmos 20 internationale Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme gezeigt und durch Paneldiskussionen abgerundet. Einer dieser Filme ist die Schweizer Dokumentation Favela Olímpica, welche die traurigen Hintergründe der olympischen Sommerspiele 2016 beleuchtet.
Rio de Janeiro - auf den beiden Seiten einer Mauer, welche den im Bau befindlichen olympischen Park von der Favela Vila Autódromo trennt. Nichts stünde dem Miteinander beider Welten im Weg. Doch einige halten dies für unmöglich. Ein Rennen gegen die Zeit beginnt.
Die Erbauung des Olympiaparks hat viele Opfer gefordert. In der Vision der Bauherren der Sportstätten für das Olympiagelände und der Vorstellung des Bürgermeisters Eduardo Paes hatten die ärmsten des Landes keinen Platz. Sie mussten Luxusherbergen, Sporthallen und Stadien weichen, die teilweise nur erbaut wurden, um in Fernsehübertragungen durch Prunk überzeugen zu können. Favela Olímpica rollt den unerbitterten Kampf zwischen Bürgermeister Paes und den Anwohnern der Favela Vila Autódromo auf und präsentiert Hintergründe einer Olympiade, die Kapitalismus und Gier Tür und Tor öffnet und eine von Sportevents erwartete Fairness aussen vor lässt.
Wo viele Menschen in nachbarschaftlicher Freundschaft, Bescheiden- und Zufriedenheit leben, soll ein luxuriöses Stadtquartier entstehen. Die Leidtragenden sind die Armen der Favela Vila Autódromo. Zahlreiche Familien werden umgesiedelt und zum Teil gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben. In den Randbezirken sei genug Platz, das Zentrum aber sei für die Elite reserviert, so der grundlegende Gedanke des Immobilienmoguls Carlos Carvalhos. Unbeugsam und mit vereinten Kräften kämpfen die Anwohner der Favela mit Worten und auf Wänden aufgesprayten Parolen um ihr Recht zu bleiben. Doch der Bulldozer macht vor nichts halt, reisst unaufhaltsam ein Backsteinhäuschen nach dem anderen ein und beraubt die armen, aber lebensfreudigen Anwohner somit nicht nur ihrer Behausungen sondern auch unzähliger glücklicher Erinnerungen.
Obwohl die desaströsen Hintergründe der Olympiade 2016 durch mehrfache Medienberichterstattung bereits ans Licht der Öffentlichkeit gelangt sind, beleuchtet die Dokumentation wie kein anderer Bericht, was es mit dem Schicksal der Anwohner der Favela Vila Autódromo auf sich hat. Eindrücklich zeigen vor allem auch die eigenen Aufnahmen der Anwohner, wie skrupellos gegen sie vorgegangen worden ist. Im Gegenteil zu den Zeitungsberichten verleiht Regisseur Samuel Chalard ihnen ein Gesicht: Es sind Menschen mit Vergangenheit in ihrer geliebten Favela, die kurz vor der Zerstörung steht.
Es geht nicht um die Spiele, sondern um Immobilienspekulationen. Nichts was ich [...] sage, kann den uns zugefügten Schmerz lindern."
Trotzdem lässt Chalard nicht nur sie, sondern auch den Präsidenten Rios, die Bauherren und auch Immobilienmogul Carlos Carvalho zu Wort kommen und gewährt dem Zuschauer somit die Möglichkeit, sich ein eigenes Bild über die olympischen Sommerspiele 2016 zu machen. Gleichzeitig motiviert er mit seinem Film dazu, sich nicht durch den prächtigen Glanz von Grossevents blenden zu lassen, den Mut zu haben, diese zu hinterfragen und die Augen nicht vor unangenehmen Wahrheiten zu verschliessen. Damit ist Favela Olímpica eine kostbare Dokumentation für den Erhalt und die Stärkung der Menschenrechte. Ein Werk, das die Zuschauer indirekt zur Reflexion anregt und somit dazu beitragen dürfte, dass Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt werden.
Favela Olímpica wird am Human Rights Festival am Donnerstag, 7. Dezember um 20:30 Uhr gezeigt und läuft ab dem 14. Dezember regulär im Kino. Im Anschluss an die Vorstellung von Favela Olímpica am Human Rights Festival wird es eine Paneldiskussion mit dem Filmemacher Samuel Chalard, Lisa Salza (Amnesty International) und einem Vertreter eines internationalen Sportverbandes geben. Debattiert wird über deren Verantwortung in Bezug auf Menschenrechte, urbane Umstrukturierung, Machtkämpfe und Korruption im Schatten von spotlichen Mega-Events.
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