Kritik1. November 2023 Konstantin Hitscher
Filmkritik «The Driven Ones»: Strampeln auf hohem Niveau
Was treibt die Anzugträger an? «The Driven Ones» von Piet Baumgartner begleitet über mehrere Jahre fünf Studierende des weltweit angesehensten Management-Studiengangs. Auch wenn der Film seine ProtagonistInnen nicht vollkommen versteht, blickt er mit Sympathie auf sie.
Das Masterprogramms Strategy and International Management von der Universität St. Gallen ist laut Financial Times der weltweit beste Studiengang im Bereich Management. Wer hier zu den AbsolventInnen gehört, kann sich also eigentlich schon zur Wirtschaftselite von morgen zählen. «The Driven Ones» begleitet fünf Studierende durch die Uni-Zeit und die Anfänge ihrer Karriere. Das Ziel, dass sie dabei alle vor Augen haben: Möglichst schnell möglichst viel Erfolg.
Nicht nur wegen des Kontostandes, auch durch die titelgebenden Getriebenheit ist das Milieu der Universität St. Gallen dem Grossteil des Publikums wahrscheinlich sehr fremd – ideale Voraussetzungen für eine Dokumentation. «The Driven Ones» schlägt daraus Kapital und steckt voller Beobachtungen, die sonst verwehrt bleiben. Zu einer ersten Erkenntnis gehört dabei, dass das Stresslevel auf dem Weg nach oben so hoch ist, dass es gar keine Zeit gibt, um sich auch nur die einfachsten politischen Fragen – etwa nach Sinn und Unsinn des eigenen Tuns – zu stellen. An einem Punkt stellt einer von ihnen fest, dass er eigentlich fast eine Betrugsmasche betreibt, auf Kosten der kleinen AnlegerInnen – Konsequenzen zieht er aus dieser Erkenntnis keine.
Auch wenn die Fünf das Dokumentar-Team unterschiedlich nah an sich und ihre Arbeit heranlassen, arbeitet der Film an ihnen zwei entschiedene Gemeinsamkeiten heraus: Als Antrieb spielt für sie alle die eigene Familie eine grosse Rolle – frei nach dem Motto: Ich muss allen beweisen, dass ich es auch ohne das Geld von Papa schaffe. Ausserdem stellen die Fünf sehr früh in ihrer Karriere fest, dass sich der hohe Workload nur schwer mit dem Privatleben vereinbaren lässt – auch, wenn sie daraus unterschiedliche Schlüsse ziehen. Weil die fünf ProtagonistInnen generell – aber besonders hier – Nähe zulassen, lässt der Film sie nicht ins offene Messer laufen: Stattdessen macht er sie teilweise fast zu romantischen Helden, die trotz Beförderungen und 40 % Gehaltssteigerung das wahre Glück erst in der Liebe finden.
Diese Einblicke tragen den Film trotz kleinerer Kritikpunkte: Nachdem die ProtagonistInnen zunächst ausschliesslich in ihrer Karriere gezeigt wurden, kommt der Wechsel ins Private überraschend, teilweise wirken gerade diese Szenen ein bisschen steif, ausserdem wirft die Raffung von fünf Jahren auf gute 90 Minuten immer wieder Fragen auf.
«The Driven Ones» nimmt sich selbst zurück und verzichtet auf eine offensichtliche Lenkung des Publikums. Nur im Schnitt wird der – eine Selbstbeschreibung – Bullshit, dem sich die Fünf verschrieben haben, zum Teil klar ausgestellt. Ein Beispiel: Nachdem Feifei vom sexistischen Arbeitsumfeld berichtet, pitcht Sara in der nächsten Szene die Lösungen der Probleme moderner Frauen – eine Website für Strumpfhosen im Abomodell. Auch in den zum Teil im fertigen Film gelassenen Interview-Fragen wird eine grundsätzliche Distanz zu den ProtagonistInnen klar: Wieso sie sich vollkommen dem Leistungsprinzip unterwerfen – komme, was wolle – ist auch ihnen bis zum Schluss nicht hundertprozentig klar.
Schliesslich lässt der Film seine Hauptfiguren doch einmal politisch diskutieren: Nach den fünf Jahren treffen sie sich bei einem Abendessen wieder und reden auch über die eigene Verantwortung. Aus den ungebrochen zielstrebigen 20-Jährigen sind mit der Zeit Menschen geworden, die plötzlich auch Zweifel zulassen. Kitschig zugespitzt könnte man sagen, dass der Film seine ProtagonistInnen auf dem Weg zu mehr Menschlichkeit begleitet hat.
3, 5 von 5 ★
«The Driven Ones» ist ab dem 02. November im Kino zu sehen.
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