Artikel13. August 2024 Cineman Redaktion
Filmwissen: Die «Alien»-Reihe: Wie man das ultimative Grauen erzeugt
Nur wenige Filme, selbst viele Klassiker, sind ähnlich gut gealtert wie Ridley Scotts Weltraumalbtraum «Alien» von 1979, der eine bislang sechs Teile umfassende Reihe lostrat. Mit «Alien: Romulus» kommt nun ein siebtes Kapitel hinzu. Dessen Start wollen wir nutzen, um den düster-schaurigen Scifi-Kosmos etwas genauer zu ergründen. Hinsetzen, anschnallen, aber alles auf eigene Gefahr!
Schweizer Künstler als Monstermacher
Was braucht es für einen Film, der echtes Grauen hervorruft? Vor allem wohl ein furchteinflössendes Monster! Nichts ist schlimmer als ein Ungeheuer, das unfreiwillig komisch aussieht. Das in späteren Teilen der Reihe als Xenomorph bezeichnete ausserirdische Wesen aus «Alien» provoziert gewiss keine Lacher. Die vom Schweizer Künstler HR Giger entworfene Kreatur mit dem länglichen, gebogenen Kopf und dem geifernden Kiefer, aus dem blitzartig ein zweites Gebiss hervorschiesst, brennt sich ein, hat etwas ungemein Fremdartiges. Ebenso wie sein Kollege Steven Spielberg in «Der weisse Hai» (1975) geht Ridley Scott jedoch nicht mit seinem Antagonisten hausieren. Vielmehr verschmilzt die blutrünstige Kreatur immer wieder mit dem dunklen Interieur des Raumschiffes Nostromo, in dem sie ihr Unwesen treibt. Womit wir beim nächsten wichtigen Punkt angelangt wären.
Ein unheimliches Setting ist vonnöten, wenn man das Publikum gefangen nehmen will. Der Planet, auf dem die Astronaut:innen erstmals mit der extraterrestrischen Spezies in Kontakt kommen, ist alles andere als einladend. Und der Raumfrachter mit seinen verwinkelten, oft schummrigen Gängen erzeugt schon früh ein Gefühl der Beklemmung. Wie man das Ganze atmosphärisch anheizt? Ganz einfach: Mit einem bedrohlichen Sounddesign. Ein regelmässig erklingendes Pochen wirkt wie ein Herzschlag, lädt manche Passagen mit einer kaum erträglichen Intensität auf.
Eine weitere Lektion, die uns Ridley Scott erteilt: Nicht ständige Schockeffekte erzeugen handfesten Schrecken, sondern wohl dosierte böse Überraschungen. Augenblicke wie die ikonische, oft zitierte Chestburster-Szene, in der John Hurts Figur Kane nach dem Befall durch den spinnenartigen Facehugger, der ihm eine ausseridische Larve injiziert, ein kleines Alien aus seinem Brustkorb gebärt. Besonders schmerzhaft ist das Ganze durch die saftig-handgemachte Gestaltung. Nichts wirkt künstlich wie im heute oft so CGI-lastigen Horrorkino.
Geburt einer Action-Ikone
Wer die Zuschauer:innen zum Mitfiebern animieren möchte, sollte zudem die handelnden Figuren nicht zu billigem Kanonenfutter degradieren. Geradezu meisterlich führt «Alien» vor, was eine durchdachte Dramaturgie ausmacht. In aller Ruhe lernen wir die Crew der Nostromo kennen, erhalten Einblick in die Dynamiken an Bord, spüren etwa, dass es zwischen leitendem Personal und Arbeiterschaft latente Spannungen gibt. Wenn später das Grauen um sich greift, ist man dank dieser präzisen Einführung umso mehr dabei.
Interessant in diesem Fall: Protagonistin Ellen Ripley, gespielt von der damals noch unbekannten Sigourney Weaver, wächst schrittweise in die Rolle der Lenkerin, der taffen Überlebenskämpferin hinein. Mit wenigen Strichen gelingt das faszinierende, vielschichtige Porträt einer der ersten Actionheldinnen überhaupt. Einer Frau, die sich verletzlich, angriffslustig, zweifelnd, aber ebenso zupackend zeigen darf. Ob der Film ähnlich einflussreich geworden wäre, wenn, wie ursprünglich geplant, ein Mann im Zentrum gestanden hätte?
Wahrscheinlich nicht. Denn gerade durch Ripley, die auch in den drei Fortsetzungen «Aliens - Die Rückkehr» (1986), «Alien 3» (1992) und «Alien 4 - Die Wiedergeburt» (1997) das Herz der Geschichte besetzt, wird der schon im Ursprungsfilm angestossene Diskurs über Geschlechteridentitäten und Sexualität erst richtig fruchtbar. Scotts Werk ist nicht bloss ein gut gemachter Slasher im Weltall. Zu einem Meilenstein im Science-Fiction- und Horrorgenre avancierte er auch deshalb, weil sein Katz-und-Maus-Spiel mit reichlich Subtext daherkommt.
Ripley in der Mutterrolle
Der Erscheinungsbild des mörderischen Aliens ist phallisch. Zur Welt gebracht wird es, wenn auch ungewollt, von einem Mann, dem oben erwähnten Kane. Die bevorzugte Angriffsmethode, das Hineinbohren in das Opfer mit dem hervorschnellenden zweiten Kiefer, lässt an einen aggressiven, männlich kodierten Sexualakt, eine Vergewaltigung denken. Klare Zuschreibungen werden mit jedem weiteren Reihenkapitel allerdings brüchiger. Bereits im zweiten Teil ist von einer eierlegenden Alien-Königin die Rede. Und in «Alien 4 - Die Wiedergeburt» entwickelt eine solche Königin nach einem Klonvorgang, der eine Mutation bedingt, eine eigene Gebärmutter.
Eng verbunden ist diese Entwicklung mit der Entwicklung Ripleys, die im Nachfolger in die Rolle einer Ersatzmutter hineinwächst. Als sie mit einem Trupp Marines auf den Planeten zurückkehrt, auf dem das Unheil mit dem Alien begann, begegnet sie dort einem Waisenmädchen namens Newt, nimmt sich seiner an und zeigt sich von einer unerwartet einfühlsamen Seite. James Camerons «Aliens - Die Rückkehr» wird manchmal als typisches, auf mehr Spektakel setzendes, militaristisch angehauchtes Sequel abgetan. Unter den Tisch fällt dabei aber oft, dass die Hauptfigur an Profil gewinnt und das Testosterongebaren der Marines auch ironisch gebrochen wird.
«Alien 3» führt den Gedanken der Mutterschaft bei Ripley auf groteske Weise fort und lädt sie stärker sexuell auf als je zuvor. Nach einer Bruchlandung auf einem Gefängnisplaneten überlebt unsere Heldin im Gegensatz zur kleinen Newt und darf mit dem Anstaltsarzt erstmals so etwas wie eine kurze Romanze erleben. Klar wird irgendwann, dass Ripley zum Opfer der Alien-Spezies geworden ist. In ihren Körper hat sich eine Königin eingenistet und wartet nur darauf hervorzubrechen. Was die Protagonistin durch einen Sprung in den Tod zu verhindern hofft. Die schon in den beiden Vorgängerwerken aufflammende Kritik an einem destruktiven Raubtierkapitalismus, der Profite über Menschenleben stellt, verdichtet sich im dritten Teil. Nicht umsonst versucht der Konzern, für den Ripley arbeitet, am Ende, das Geschöpf um jeden Preis in die Finger zu kriegen. Immerhin könnte man ein derart überlebensfähiges, aggressives Wesen perfekt als Waffe einsetzen.
Viel diskutierte Prequels
«Alien 3» verhandelt spannende Ideen, kriegt diese allerdings nur schwer unter einen Hut und schafft es im Finale nicht, die Hatz durch das Tunnelsystem der Haftanstalt übersichtlich zu inszenieren. Bemerkenswerterweise äussert sich auch Regisseur David Fincher bis heute kritisch über sein Spielfilmdebüt, das von zahlreichen Kämpfen mit dem Studio überschattet wurde.
Dass Ellen Ripley auch in «Alien 4 - Die Wiedergeburt» auftaucht, geht auf die erfolgreichen Klonversuche des Militärs zurück. Sowohl sie als auch die im dritten Kapitel in ihrem Körper heranwachsende Alien-Königin können repliziert werden. Weil Ellen dadurch genetische Anteile des ausserirdischen Wesens in sich trägt, besitzt sie nun übermenschliche Kräfte und hat eine besondere Verbindung zur extraterrestrischen Spezies. Ein aufregender Ausgangspunkt, den der mit optischen Kuriositäten gespickte Film aber nicht auszuschöpfen weiss. Der innere Konflikt kommt zu kurz, und ein manchmal arg platter Humor würgt einige ernste Überlegungen ab. Dieses Mal zeigte sich übrigens Drehbuchautor Joss Whedon wenig angetan vom Endprodukt.
Obwohl Ridley Scott nach dem vierten Teil mit einer Rückkehr zur Reihe liebäugelte, erblickten erst einmal nur die generischen Monster-Crossover «Alien vs. Predator» (2004) und «Aliens vs. Predator 2» (2007) das Licht der Welt. Der britische Regisseur liess jedoch nicht locker und schlug mit den Prequels «Prometheus» (2012) und «Alien: Covenant» (2017) eine neue Richtung ein. Keine Ripley, im ersten Film auch kein Alien in der bekannten Erscheinungsform. Dafür aber ein philosophischer Unterbau, der um den KI-Aspekt, ein Begleitthema der Reihe, und die Ursprünge der unheimlichen ausserirdischen Kreaturen kreist. Was in «Prometheus» angedeutet wird, verdichtet sich in «Alien: Covenant»: Offenbar sind die mörderischen Wesen von den Erschaffern der Menschen als Biowaffe entwickelt worden. Warum? Natürlich, um die Menschheit auszulöschen! Starker Tobak für zahlreiche Fans, die den beiden Scott-Arbeiten trotz spektakulärer Bilder und deftiger Gore-Effekte nicht viel abgewinnen können.
Ob die kontroversen Reaktionen der Grund dafür waren, dass der von Fede Alvarez inszenierte und von Scott mitproduzierte siebte Teil die Ambitionen zurückzuschrauben scheint? Dem Trailer nach zu urteilen, wirkt «Alien: Romulus», zeitlich zwischen «Alien» und «Aliens - Die Rückkehr» verortet, jedenfalls wie eine Weltraumvariante des ebenfalls von Alvarez inszenierten Einbrecherpsychoschockers «Don’t Breathe» (2016). Aber wer weiss, vielleicht ist ja doch etwas von der Doppelbödigkeit der Reihe, vor allem des starken Ursprungsfilms, zu spüren. Wenn nicht, hoffen wir einfach auf die für 2025 angekündigte Serie «Alien: Earth», die das Geschehen erstmals auf die Erde verlagern soll. Fun Fact am Rande: Schöpfer Noah Hawley verkündete bereits, für die Erklärungen in Scotts Prequel-Arbeiten wenig übrig zu haben.
«Alien: Romulus» ist ab dem 15. August 2024 in den Deutschschweizer Kinos zu sehen.
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