Artikel29. Mai 2024

Filmwissen: Hayao Miyazaki: Die Anfänge des Animationsmeisters

Filmwissen: Hayao Miyazaki: Die Anfänge des Animationsmeisters
© Film Verleih Gruppe Waldner

Anlässlich des Kinostarts der Remastered-Version von «Lupin III: Das Schloss des Cagliostro» (1979) und der Auszeichnung des Studios Ghibli mit einer Goldenen Ehrenpalme bei den Filmfestspielen von Cannes werfen wir einen Blick zurück auf die Anfänge des grossen Meisters der japanischen Animation Hayao Miyazaki – von seinen ersten Schritten in der Welt des Films bis zur Gründung seines ikonischen Studios.

von Damien Brodard; übersetzt aus dem Französischen

Eine Berufung: Miyazakis Anfänge als Animationskünstler

Geboren im zerrütteten Japan Anfang 1941, verbrachte der junge Hayao Miyazaki die ersten Jahre seines Lebens in den Wirren des Zweiten Weltkriegs. 1944 musste er mit seiner Familie aus Tokio fliehen, das von der US-Armee bombardiert wurde. Einige Jahre später, als er die Schulbank drückte, widmete sich Miyazaki seinem Lieblingshobby: dem Zeichnen. Er liebte es, die Figuren aus seinen Lieblingsmanga abzuzeichnen, während er gleichzeitig versuchte, seine Zeichenkünste zu verbessern, indem er eigene Comicstrips entwarf. In dieser Zeit nahm ihn sein Vater, ein Flugzeugingenieur und Filmliebhaber, regelmässig mit ins Kino, um die neuesten Filme zu sehen.

Und eines Tages die Erleuchtung! «Erzählung einer weissen Schlange» (1958), der erste abendfüllende japanische Animationsfilm in Farbe, war für ihn eine Offenbarung, wie er 1979 erklärte: «Dank dieses Films habe ich mich entschieden, Animator zu werden. In den 15 Jahren, die seitdem vergangen sind, hatte ich immer einen roten Faden in meiner Arbeit: Gute Animation anschauen und dann etwas machen, das sie übertrifft.» Unter diesem Motto perfektionierte Miyazaki also seine Technik und interessierte sich neben seinem Studium der Wirtschafts- und Politikwissenschaften auch für Kinderliteratur.

Er begann seine Karriere 1963 bei Toei Animation als Intervall-Animator, d. h. als derjenige, der für die Zeichnungen zwischen zwei wichtigen Schritten einer Bewegung zuständig war. Hier nahm sein Leben eine wichtige Wendung, denn Miyazaki lernte seine zukünftigen Mitstreiter kennen, darunter Isao Takahata – der spätere Regisseur von «Pom Poko» (1994) oder «Die letzten Glühwürmchen» (1988) - und Akemi Ota, die später seine Frau wurde. Ausserdem wurde er politisch aktiv und stieg zum Chefsekretär der Toei-Arbeitergewerkschaft auf.

Hayao Miyazaki lernte 1963 Isao Takahata, den Regisseur von «Die letzten Glühwürmchen», kennen. © IMDb | 1988 Studio Ghibli | Toho

Zehn Jahre voller Experimente

Es folgten verschiedene Projekte bei Toei mit Miyazaki als Animator. Das bemerkenswerteste war der Spielfilm «Taiyō no Ōji: Horusu no Daibōken» (auch bekannt als «The Great Adventure of Horus, Prince of the Sun») (1968), der sich ungewöhnlicherweise an ein erwachsenes Publikum richtete und dem das gesamte Team eine starke politische Botschaft verleihen wollte. Der Misserfolg des Films und die Spannungen mit Toei führten jedoch dazu, dass Miyazaki und Takahata das Studio 1971 verliessen, um sich zehn Jahre lang in ganz Japan auszuprobieren.

Doch nicht alles verlief sofort nach Plan, einige Projekte wurden verworfen, darunter eine Serie über Pippi Langstrumpf, die es dem Duo jedoch ermöglichte, Japan zum ersten Mal in ihrem Leben zu verlassen und nach Schweden zu reisen. Es folgten zahlreiche Zeichentrickserien, die tatsächlich zu Ende geführt wurden. Dazu gehören die erste Staffel um den Gentleman-Dieb «Lupin III» (1971-1972), bei der Miyazaki in einigen Folgen Regie führte, «Heidi» (1974), für die er in die Schweiz reisen musste, um in dieser für das japanische Publikum exotischen Umgebung zu recherchieren, und «Future Boy Conan» (1978), die einzige Serie, die vollständig unter der Leitung des Meisters entstand und seine thematischen und politischen Anliegen wie den Umweltschutz zum Ausdruck bringt.

«Lupin III: Das Schloss des Cagliostro», der erste Spielfilm von Hayao Miyazaki © Film Verleih Gruppe Waldner

Der erste Spielfilm: «Lupin III: Das Schloss des Cagliostro»

Nach seiner Arbeit an der gleichnamigen Serie wurde Miyazaki schliesslich mit der Regie von «Lupin III: Das Schloss des Cagliostro» (1979) betraut, übernahm aber auch das Drehbuch und die gesamte Gestaltung der Hintergründe. Mit diesen verschiedenen Aufgaben gelang es ihm, seine eigene Handschrift zu entwickeln und seine Einflüsse einzubringen. Am markantesten ist die Architektur des Schlosses, die dem französischen Spielfilm «Der König und der Vogel» von Jacques Prévert entlehnt ist, der 1953 in die Kinos kam und 1980 von seinem Regisseur Paul Grimault in einer endgültigen Fassung veröffentlicht wurde.

Der Japaner behielt diese Bildsprache während seiner gesamten Karriere im Hinterkopf und verwendete sie gelegentlich in seinen Werken, zum Beispiel für die endzeitlichen Waffen in «Nausicaä aus dem Tal der Winde» (1984) oder für die Roboter in «Das Schloss im Himmel» (1986). Dieser französische Animationsfilm war im Laufe der Jahre eine wichtige Inspirationsquelle für Künstler auf der ganzen Welt: Brad Birds «Der Gigant aus dem All» (1999), um nur einen zu nennen, zollt ihm Tribut.

Miyazaki stellte seinen ersten Spielfilm in nur sieben Monaten fertig und präsentierte dabei seine eigene Vision von Lupin III. Die Serie war im Westen nicht sehr bekannt, in Japan jedoch ein grosser Erfolg. Die Realisierung des Films war daher ein entscheidender Wendepunkt für ihn. Der Autor des Originalmangas, Kazuhiko Katô, genannt Monkey Punch, sagte über das Projekt: «Sie haben Miyazaki gebeten, etwas zu machen, das mehr auf das Kinderpublikum ausgerichtet ist». Katô hätte es eigentlich vorgezogen, dass der Regisseur näher am Originalwerk bleibt, das gewalttätiger und erwachsener ist, als das Endergebnis, das er als in Miyazakis Welt verankert beschreibt.

Hayao Miyazaki © Frenetic Films AG

Neuanfang: Die Gründung des Ghibli-Studios

Miyazaki, der seine Manga-Aktivitäten nie aufgegeben hatte, erhielt 1982 die Gelegenheit, eine seiner Geschichten, «Nausicaä aus dem Tal der Winde», in der Zeitschrift Animage zu veröffentlichen, die der Firma Tokuma Shoten gehörte. Das Unternehmen, das mit seinen Arbeiten vertraut war, schlug ihm vor, einen Film nach seiner eigenen Erzählung zu produzieren, den er 1984 im Studio Topcraft inszenierte. Der durchschlagende Erfolg von «Nausicaä aus dem Tal der Winde» ermöglichte es Miyazaki und Takahata, der über all die Jahre an seiner Seite geblieben war, 1985 das Studio Ghibli zu gründen und die Mitglieder des Teams, das an dem Film gearbeitet hatte, mitzunehmen.

"Ghibli" ist ursprünglich ein Wort, das aus dem libyschen Arabisch entlehnt wurde, um einen heissen Wind aus der Sahara-Wüste zu bezeichnen, den Schirokko. Die Wahl eines solchen Beinamens lässt sich etwas poetisch damit erklären, dass Miyazaki frischen Wind in die Welt der Animation bringen wollte, die zu dieser Zeit sehr stark auf Kinder ausgerichtet war. Pragmatischer betrachtet bezieht sich der Name "Ghibli" auch auf das Modell des italienischen Aufklärungsflugzeugs Caproni Ca.309 Ghibli. Der Regisseur, der ein grosser Fan der Luftfahrt und von Antoine de Saint-Exupéry ist, spielt in den meisten seiner Werke, darunter «Porco Rosso» (1992) und «Wie der Wind sich hebt» (2013), immer wieder auf diese beiden Themen an.

Der Rest ist Geschichte. Durch harte Arbeit und Filme, von denen einer aussergewöhnlicher als der andere ist, mit einer starken künstlerischen Ausrichtung, die sich an alle Zielgruppen richtet, wächst der internationale Bekanntheitsgrad des Studios Ghibli von Projekt zu Projekt. Hayao Miyazaki, 83 Jahre alt und Regisseur von zwölf Spielfilmen, hat sich als einer der wichtigsten Künstler der japanischen und weltweiten Animation durchgesetzt und viele Künstler:innen inspiriert, sei es aus der Welt des Films oder aus anderen Bereichen.

«Lupin III: Das Schloss des Cagliostro» erscheint am 30. Mai erneut in den Kinos.

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