Artikel10. Juli 2024 Cineman Redaktion
Filmwissen: Von der sexy Jungfrau zur Massenmörderin: Nonnen im Film
Keusche Frauen hinter Klostermauern: Ein Nonnenleben lässt viel Raum für Spekulationen, die sowohl berühmte Filmemacher:innen als auch die Exploitationfilme der 70er-Jahre inspiriert haben. Anlässlich von Sydney Sweeneys religiösem Auftritt in «Immaculate» haben wir uns Nonnen in Filmen und Serien einmal ganz genau angeschaut – von kirchlichen Karrierechancen bis zur Zerstörung des Patriarchats.
Der Schwesternorden als Karrieremöglichkeit
Was sind Gründe für eine Frau, Nonne zu werden? Ein tiefer religiöser Glaube, sicherlich. Das Bedürfnis, nicht heiraten zu wollen, vielleicht. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Schwesternorden aber auch der Ort, wo Frauen Berufe ausüben konnten, die ihnen die weltliche Welt versagte. Während es Frauen vielerorts untersagt war, zu studieren und höhere Berufe zu ergreifen, gründeten katholische Schwesternorden in den USA vom späten 19. Jahrhundert an 150 religiöse Universitäten für Frauen.
In «Geschichte einer Nonne» (1958) spielt Audrey Hepburn die Tochter eines Chirurgen, die in Belgien in den 20er-Jahren nicht Medizin studieren, aber als Nonne und Missionarin mit einer Ausbildung am Institut für Tropenmedizin in Afrika Medizin praktizieren darf. Der Film macht aus den Ambitionen von Schwester Lukas (Hepburn) keinen Hehl, ihr Ehrgeiz wird von ihren geistlichen Vorgesetzten aber als Eitelkeit oder Hochmut interpretiert, für den sie bestraft werden muss.
Die nicht konforme Nonne, die nach persönlicher Erfüllung strebt, wird auch in «The Sound of Music» (1963) mit Julie Andrews als Nonne Maria thematisiert, die ihrer Mutter Oberin so viele Probleme aufgibt, dass diese sogar ein Lied davon singt: «Wie löst man ein Problem wie Maria?». In «Die schwarze Narzisse» (1947) mit Deborah Kerr wird das Thema der ehrgeizigen Nonne ebenfalls angesprochen, als eine Gruppe von Klosterschwestern hoch im Himalaya Gebirge erfolgreich eine Schule und ein Krankenhaus aufbauen – Projekte, an denen zuvor mehrere Mönchsorden gescheitert sind.
Nunsploitation: Die Nonne als Sexobjekt
Vielleicht als Reaktion auf die Frauenbewegung der 60er-Jahre und der abnehmenden Popularität der katholischen Kirche tauchte in Italien in den 70er-Jahren das neue Genre der Nunsploitation, eine Mischung zwischen Erotik- und Exploitationfilmen, auf. Sie wurden von den italienischen Sexkomödien der 60er-Jahre beeinflusst, die auch oft im Mittelalter oder der Renaissance spielten. Die damaligen Nunsploitationfilme hatten ein breites Spektrum und beinhalteten Filme berühmter Regisseure wie «Il Decameron» (1971) von Pier Paolo Pasolini oder «Die Teufel» (1971), ein sozialkritischer Film von Ken Russell mit Vanessa Redgrave als Äbtissin Jeanne, die einen Priester des Gebrauchs der Hexenkunst bezichtigt.
In Nunsploitation Filmen werden Nonnen oft hypersexualisiert, womit die umstrittenen Praktiken der katholischen Kirche wie z.B. das Zölibat kritisiert werden sollen. In «Die Nonne von Verona» (1973) mit Ornella Muti werden sowohl die Machtkämpfe zwischen Nonnen um die Position der Äbtissin als auch die Schwierigkeit im Umgang mit der Keuschheit thematisiert. Und in «Geständnis einer Nonne» (1978) wird Schwester Gertrudes (Anita Ekberg) Hirntumor chirurgisch entfernt, was der Nonne aber Angstzustände und noch mehr Schmerzen zufügt. Sie greift zu Drogen, unterhält sexuelle Beziehungen ausser- und innerhalb der Klostermauern und wird schliesslich zur Mörderin.
Die Nonne als politische Macht
Von Nonnen, die im 19. Jahrhundert Universitäten gründeten bis zu Mutter Theresa, die in Indien die Not der Armen linderte, hatte die Schwesternschaft schon immer politischen Einfluss. In den 60er-Jahren protestierten die Nonnen vom Orden Immaculate Heart of Mary in Los Angeles gegen das Patriarchat, wie der Dokumentarfilm «Rebel Hearts» von Pedro Kos erzählt, was dazu führte, dass 2012 amerikanische Nonnen vom Vatikan noch immer als radikale Feministinnen bezeichnet wurden.
Die politische Nonne wurde 1985 von Norman Jewison in «Agnes - Engel im Feuer» dargestellt. Meg Tilly und Anne Bancroft spielen Nonnen, die mit einer mysteriösen Geburt und dem Verschwinden des Säuglings in ihrem Konvent konfrontiert werden. Eine Psychiaterin (Jane Fonda) will den Ursachen dieses Mysteriums auf den Grund gehen. Zehn Jahre später adaptierten Susan Sarandon und ihr damaliger Partner Tim Robbins mit «Dead Man Walking - Sein letzter Gang» die wahre Geschichte der Nonne Helen Prejean (Sarandon), die sich gegen die Hinrichtung eines Sträflings (Sean Penn) und damit gegen die Todesstrafe einsetzt. Sarandon gewann für ihre Darstellung den Oscar, wurde aber für ihre politisch aufgeladene Dankesrede vehement kritisiert.
2008 befasste sich «Glaubensfrage» mit dem Thema der Pädophilie unter Priestern. Meryl Streep und Amy Adams spielen Ordensschwestern, die eine Schule betreiben. Als die junge Schwester James Vater Flynn (Philip Seymour Hoffman) anklagt, unzüchtige Handlungen an einem Schüler begangen zu haben, wird aus dem ruhigen Klosterleben ein Kreuzzug gegen das Patriarchat der katholischen Kirche. Ein ähnliches Thema behandelt «Vision - Aus dem Leben der Hildegard von Bingen» von Margarethe von Trotta. Der Film porträtiert das Leben einer Nonne, die Nachrichten von Gott erhält und dafür unerbittlich vom geistlichen Establishment, sprich den Männern in der katholischen Kirche, verfolgt wird.
Nonnen, die uns das Fürchten lehren
Nonnen haben Eigenverantwortung, sind selbständig und brauchen keine Männer – diese Unabhängigkeit kann furchterregend sein. Das erklärt vielleicht, weshalb Nonnen im Film seit Jahrzehnten auch im Horrorgenre zu finden sind. Während viele der Nunsploitationfilme schon Horror-Elemente aufweisen, haben die «Conjouring» Filmreihe, deren Ableger, die «Annabelle» (2014) Filme, und die Prequels «The Nun» (2018) die Gattung des Nonnenhorrorfilms in den letzten Jahren geprägt. Die britische Serie «Bad Nun» (2018) oder «The Dawn» (2019) machen die furchterregende Nonne schon fast zur Selbstverständlichkeit, zeigen sie aber weniger als vielschichtige Figur, sondern machen sie in erster Linie für die Jumpscares verantwortlich.
«Showgirls»-Regisseur Paul Verhoeven ist es 2021 mit «Benedetta» gelungen, das Rezept des Nunsploitationfilms ins 21. Jahrhundert und ans Filmfestival von Cannes zu transportieren. Basierend auf einem Roman von Judith C. Brown wird die wahre Geschichte von Benedetta Carlini (Virginie Efira) erzählt, die im frühen 17. Jahrhundert einem Orden beitritt und schon bald von religiösen Visionen heimgesucht wird, die sie Wunder vollbringen und nach ihrem Tod sogar wiederauferstehen lassen. Der Film zeigt die Schwesternschaft als Mittel zur Emanzipation und nicht der Unterdrückung, egal ob Benedettas Entscheidungen und Taten moralisch vertretbar sind oder nicht. Die Nonne hat die Kontrolle über ihren Körper und sie zieht die Kirche für ihre Scheinheiligkeit zur Verantwortung.
Die Nonne als moderne Heldin
Auch heute sind Filmemacher:innen und Publikum von Frauen in heiligen, unantastbaren Positionen der Macht fasziniert und finden neue Geschichten, die über Nonnen erzählt werden können. Die Apple TV-Serie «Mrs. Davis» zum Beispiel macht ihre Nonne zur futuristischen Heldin, die sich als hingebungsvolle Ehefrau von Jesus auch in den Kampf gegen eine bedrohliche künstliche Intelligenz begibt. «Warrior Nun» auf Netflix ist eine futuristische Serie, in der eine querschnittgelähmte junge Frau von den Toten aufersteht und in den Geheimorden des kreuzförmigen Schwerts aufgenommen wird, wo sich traditionelle katholische Elemente mit fernöstlichem Kampfsport und Superheldentum mischen.
Wenn nun also die neueste Scream Queen Sydney Sweeney in «Immaculate» als Nonne mit viel Kruzifixen und nackter Haut die Leinwand schmückt und gleichzeitig die Beschneidungen der Rechte und Kontrolle über die Körper amerikanischer Frauen anprangert, dann ist die Tradition des Nonnenfilms konsquent fortgesetzt.
«Immaculate» ist ab dem 11. Juli im Kino zu sehen.
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