Kritik24. Juli 2023 Michelle Knoblauch
Hollywood streikt - Wenn Kapitalismus, Entertainment und Gewerkschaften aufeinanderprallen | Teil 1
Die Schauspieler und Drehbuchautoren in Hollywood wollen mehr Geld und mehr Rechte. Anstatt sich in der Maske für einen Drehtag bereit zu machen, marschieren die Schauspieler nun vor den Film- und TV-Studios auf der Streiklinie und legen damit die amerikanische Film- und Fernsehproduktion beinahe völlig lahm. Was wollen Hollywoods Filmemacher erreichen und was bedeutet dieser Streik für die Filmfestivals im Herbst, die Awards Saison im Winter und unser aller Konsum dieser Hollywood Produkte?
Von Gabriela Tscharner Patao
Als Cillian Murphy, Emily Blunt und Florence Pugh von ihren Sitzen an der Londoner Premiere von «Oppenheimer» aufstanden, um sich mit den streikenden Schauspielern in Hollywood solidarisch zu zeigen, ging eine Schockwelle durch die Filmbranche. Neun der zehn der erfolgreichsten Filme des letzten Jahres wurden in den USA produziert und amerikanische Streamingdienste wie Netflix oder Amazon Prime gehören zum täglichen Entertainment, auch in den meisten Schweizer Haushalten.
Streiken die Stars?
Der beste Ort, um derzeit Stars zu sichten, ist die Streiklinie vor den Filmstudios in Los Angeles und vor dem Rockefeller Center in New York. Vom «Ted Lasso» Star Jason Sudeikis über Hollywood Grössen wie Susan Sarandon («Thelma & Louise») oder Jane Fonda («Book Club», «Klute») bis zu Kevin Bacon («Footloose») und Daniel Radcliffe («Harry Potter»), der beim Demonstrieren sein Baby auf den Bauch geschnallt hat, zeigen sich die millionenschweren Stars dieser Branche solidarisch mit den Kleinstdarstellern, die oft an der Armutsgrenze leben.
«Wir sind an einem Scheidepunkt angelangt», sympathisiert George Clooney in einer Pressemitteilung mit dem Fussvolk. Selber trägt er zwar in der heissen Juli-Sonne kein Plakat an der Demo gegen die Studiobosse, schliesslich ist seine Villa am Comersee durch den Streik nicht gefährdet. Aber Parolen schwingen kann Clooney allemal. «Damit unsere Industrie überleben kann, müssen sich die Dinge ändern. Für Schauspieler beginnt die Reise jetzt.»
Sogar Tom Cruise, der grösste Befürworter des Kinos, hat sich schon im Juni als eine Art Vermittler zwischen der Allianz von Film- und Fernsehproduzenten AMPTP und der Schauspielergewerkschaft SAG-AFTRA angeboten, wie der Hollywood Reporter berichtet. Via Zoom legte er seine Anliegen dar, die in erster Linie den Rechten der Stunt-Leute und dem Gebrauch von künstlicher Intelligenz und derer Möglichkeit, das Abbild von Schauspielern einzufangen und beliebig zu nutzen, galten. Aber, sogar Cruises Einfluss in dieser Branche und seine Scientologie Verhandlungstechniken haben nichts genützt. Der Streik konnte nicht abgewendet werden.
Als die wochenlangen Verhandlungen zwischen der Schauspielergewerkschaft SAG-AFTRA und der AMPTP, der Allianz von Film- und Fernsehproduzenten, am 14. Juli in einer Sackgasse endeten, rief die SAG-AFTRA Präsidentin Fran Drescher («The Nanny») in einer leidenschaftlichen Rede zum Streik auf.
«Wir werden von einer sehr geizigen Organisation zu Opfern gemacht», verurteilte Drescher die Widerwilligkeit der AMPTP, zu verhandeln. «Wir verlangen Respekt und wollen für unsere Beiträge geschätzt werden. Denn ihr könnt ohne uns nicht existieren.»
Was sind die Forderungen der Streikenden?
1. Mehr Geld.
SAG-AFTRA will die Mindestlöhne der unzähligen Klein- und Kleinstdarsteller, deren Namen wir zwar nicht kennen, die aber zum Ensemble jedes Films und jeder TV-Serie gehören, erhöhen. Derzeit liegt das Mindesthonorar für einen Film mit kleinem Budget bei 700 Franken pro Tag und für eine TV-Serie sind es ca. 1000 Franken pro Tag und Episode. «Das darf ich aber nicht alles behalten», erklärt Kellee Stewart, die seit 20 Jahren als Nebendarstellerin u.a. an TV-Serien wie «Black-ish» oder «Chicago Med» arbeitet, in einem Interview mit CNN.
Derzeit liegt das Mindesthonorar für einen Film bei 700 Franken pro Tag. Davon werden ca. 35% abgezogen.
«Davon werden Steuern und die Kommission für meinen Agenten, Manager und Anwalt abgezogen, was ca. 35% meines Honorars ausmacht.» Damit kann sich jemand, der kein Filmstar oder Festmitglied einer TV-Serie ist, noch nicht einmal seine Krankenversicherung leisten. Schauspieler müssen über 26'000 Franken pro Jahr verdienen, um sich für Health Care zu qualifizieren und das sind, laut SAG-AFTRA, nur 12,7% ihrer 160'000 Mitglieder.
Zum Vergleich: Der bestbezahlte Schauspieler im letzten Jahr war Dwayne «The Rock» Johnson mit geschätzten 270 Millionen Franken. Aber, trotz Kinohits wie «Black Adam» und seiner erfolgreichen TV-Serie «Young Rock» war seine Haupteinnahmequelle nicht die Schauspielerei, sondern die Profite aus dem Verkauf seines Tequilas «Teremana».
2. Streamingdienste sollen Tantiemen zahlen
Während US-Schauspieler auch für die Zweit- und Drittausstrahlung ihrer TV-Serie auf Network TV-Sendern ein Honorar oder Tantiemen erhalten, sind die Streaming Anbieter viel geiziger damit. Da Netflix, Amazon & Co. nicht bekannt geben, wie oft ein Film oder eine Serie von ihren Abonnenten abgerufen wird, ist es dem Schauspieler schier unmöglich, zu wissen, wieviel Tantiemen ihm zustehen.
Für das Streaming von «This is US: Das ist Leben» habe ich einen Scheck in der Höhe von einem oder zwei Rappen erhalten.
«Mein Manager hat mir gesagt, ich hätte einen Scheck in der Höhe von einem oder zwei Rappen für das Streaming von ‹This is US: Das ist Leben› erhalten», empört sich die Disney Prinzessin (Stimme von Rapunzel) Mandy Moore, während sie vor dem Netflix Gebäude in der Streiklinie im Kreis läuft. Die Emmy nominierte Schauspielerin spielte in der Hit-Serie, die auf Disney+ und Amazon Prime gestreamt werden kann, sechs Jahre lang die Matriarchin Rebecca Pearson.
Die Streikenden wollen erwirken, dass Streaming Anbieter ihre Schauspieler gerechter entschädigen. In diesem Beruf gibt es keine Festanstellung und diese Tantiemen können die Künstler finanziell über Wasser halten, wenn es gerade schwerfällt, Rollen zu landen. «Früher wurdest du dafür bezahlt, wenn dein Gesicht am Fernsehen gezeigt wurde», fügt Katie Lowes, die in der enorm erfolgreichen TV-Serie «Scandal» Quinn Perkins spielte, hinzu. «‹Scandal› wurde in den USA schon auf zwei verschiedenen Streaming Anbietern wiederholt, und ich habe davon finanziell kaum etwas gesehen.»
Bevor die Streaming Anbieter existierten, wurden TV-Serien entweder spät am Abend oder auf einem anderen Sender, der zu den TV-Networks wie NBC oder CBS gehörte, wiederholt. «Wenn ich die Tantiemen, die ich von einer Network TV-Serie bekomme, mit denen von Netflix vergleiche, ist das wie Tag und Nacht», fasst Kellee Stewart zusammen, die auf Twitter Fotos von fünf ihrer Netflix Schecks zeigte, die zusammengezählt ca. 12 Rappen ausmachten.
«Orange Is the New Black» hat mir in der Rolle der Brook Soso 27 Franken eingebracht.
Und wer glaubt, die Tantiemen für die Ausstrahlung in Übersee wie der Schweiz sei besser, hat sich getäuscht. Kimiko Glenn, die in 44 Folgen von «Orange Is the New Black» auf Netflix die Rolle der Brook Soso spielte, liefert auf TikTok den Beweis. Sie zeigt unzählige von ausgestrahlten Folgen, die auf rosarotem Papier aufgelistet werden. Die Tantiemen dafür belaufen sich aber zum Schluss nur auf 27 Franken.
3. Schutz vor Missbrauch durch künstliche Intelligenz
Künstliche Intelligenz und wie sie u.a. von Miles Fisher als #DeepTomCruise auf TikTok verwendet wird, wirft für Schauspieler eine ganze Reihe neuer Fragen auf, wie ihr Abbild missbraucht werden kann. Der Hintergrunddarsteller Devix Szell sprach mit dem Rolling Stone Magazin darüber, dass er 2022 bei den Dreharbeiten zu einem grossen Hollywood Film voll kostümiert in einen Wohnwagen gebeten und dort von unzähligen Kameras eingescannt worden sei. Ein stellvertretender Regisseur, den er zuvor noch nie gesehen hat, gab ihm Regieanweisungen, wie er sich bewegen solle. «Ich wurde aber angeheuert, einen toten Soldaten zu spielen und dann spielte ich einen lebenden Soldaten, der getötet wird.» Ihm sei keine Erklärung für diese zusätzlichen Aufnahmen gegeben worden und er habe keine neue Vereinbarung unterzeichnet, wie diese Scans verwendet werden können.
Mit den Scans aus diesem Film könnte Hollywood theoretisch auch nach Fords Tod noch unzählige «Indiana Jones»-Filme machen.
Normalerweise würde solche Spezialeffektfotografie bei Schauspielern kein Misstrauen auslösen, aber kürzlich hat eine Forderung der AMPTP die Industrie stutzen lassen. Laut Duncan Crabtree-Ireland, SAG-AFTRAS Chefunterhändler, hätte die AMPTP vorgeschlagen, «dass Hintergrunddarsteller eingescannt werden können, für einen Tag bezahlt würden, und dann sollte das Studio diese Scans besitzen und das Abbild dieser Schauspieler für alle Ewigkeit und jedes beliebige Projekt verwenden dürfen, ohne Einwilligung oder weitere Bezahlung des Schauspielers.»
Dass davon nicht nur Hintergrundschauspieler, sondern auch Hollywoodstars betroffen sein könnten, zeigt der neueste «Indiana Jones und das Rad des Schicksals» Film, in dem ein 30-jähriger Harrison Ford (im wahren Leben ist er 81 Jahre alt) während mehr als 30 Minuten auf einem fahrenden Zug den Nazis entkommen will. Mit den Scans aus diesem Film könnte Hollywood theoretisch auch nach Fords Tod noch unzählige «Indiana Jones»-Filme machen.
Fortsetzung unten...
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