Interview20. Juni 2024

Aylin Tezel über «Falling into Place»: «Ich finde Inspiration in allem, was ich wahrnehme»

Aylin Tezel über «Falling into Place»: «Ich finde Inspiration in allem, was ich wahrnehme»
© ROYAL FILM

«Falling into Place» ist das Filmdebüt von Aylin Tezel. Sie übernahm nicht nur die Regie, sondern schrieb ausserdem das Drehbuch des Films und spielt eine der beiden Hauptrollen. Im Interview spricht sie über ihre Inspirationen und die Arbeit am Film.

In «Falling into Place» lernen sich die Mitdreissiger Kira und Ian an einem Abend im Pub auf der Insel Skye kennen. Sie verstehen sich auf Anhieb und verbringen ab diesem Moment intensive 36 Stunden miteinander, bis beide in ihren Alltag und zu ihren persönlichen Baustellen in London zurückkehren müssen. Was beide nicht wissen: Sie leben in derselben Stadt und sind ständig kurz davor, sich wieder zu begegnen.

Aylin Tezel und Chris Fulton als Kira und Ian in «Falling into Place» © ROYAL FILM

Cineman: Wie war es für Sie, gleichzeitig die Drehbuchautorin, die Regisseurin und die Hauptdarstellerin des Films zu sein? Hat das die Arbeit schwerer gemacht oder vereinfacht?

Aylin Tezel: Ich würde sagen, beides trifft zu. Auf der einen Seite ist es natürlich praktisch, wenn eine Vision von einer Geschichte, über deren Realisierung, bis hin zur Verkörperung einer der Hauptrollen im gleichen Mindset und im gleichen Körper geschehen. Man kann seinem künstlerischen Instinkt folgen und hat eine grosse Klarheit darüber, welche Entscheidungen für den Film die richtigen sind. Dadurch ist man ausserdem sehr schnell darin, diese Entscheidungen zu treffen und umzusetzen.

Gleichzeitig ist es aber auch eine Herausforderung, weil man über Wochen und Monate hinweg konstant gefordert ist und sehr viel Arbeit hat. Vor allem bei einem Debütfilm, wo man ein kleines Budget hat und dementsprechend versucht, Kosten zu sparen, indem man die Anzahl der Drehtage so gering wie möglich hält. Damit stehen sehr viele Szenen pro Drehtag auf dem Plan und der Druck am Set schnell zu sein, ist sehr hoch. Glücklicherweise hatte ich ein exzellentes Team und fantastische Schauspieler:innen, die voller Freude und mit extrem hoher Qualität gearbeitet haben.

Der Film versprüht Leichtigkeit und Ehrlichkeit, ist jedoch zugleich sehr tiefsinnig und quälend. Was hat Sie zu diesem Film inspiriert?

Aylin Tezel: Mich interessiert es, Verbindungen zwischen Menschen zu erforschen. Welche Energien und Dynamiken spielen sich zwischen ihnen ab und wie werden sie von der Art und Weise, wie sie lieben, in ihrem Leben geleitet und beeinflusst. Das ist ein grosses Feld, das es für mich als Autorin und Regisseurin zu entdecken gilt und mit dem ich mich auch für meinen neuen Film wieder beschäftigen werde.

Ausserdem finde ich meine Inspirationen in allem, was ich wahrnehme: in der Musik, in der Natur, in der Kunst, in Filmen, in Bewegung. Manchmal auch in Alltagsgesprächen. Ich glaube, das ganze Leben ist eine einzige Inspirationsquelle für die Kunst, man muss nur seine Wahrnehmung schärfen und sich eine gewisse Durchlässigkeit bewahren.

Aylin Tezel und Chris Fulton als Kira und Ian in «Falling into Place» © ROYAL FILM

Wieso haben Sie sich dafür entschieden, den Film in englischer Sprache zu drehen bzw. wie war es, sich selbst zu synchronisieren?

Aylin Tezel: Das ist einfach passiert. Als ich anfing, die Geschichte zu schreiben, kamen die Worte auf Englisch aus mir heraus. Meine Hauptfiguren Kira und Ian begegnen sich auf der schottischen Insel Isle of Skye. Er ist Schotte, sie ist Deutsche. Sie beginnen – natürlich – auf Englisch miteinander zu reden.

Die Geschichte spielt in Schottland und London, die Charaktere in der Geschichte sind englisch, irisch und schottisch. Es war also klar, dass wir dort drehen und mit Schauspieler:innen vor Ort arbeiten werden, mit einem Team aus deutschen und schottischen Mitgliedern. Mich selbst dann später in der Rolle von Kira zu synchronisieren, hat tatsächlich Spass gemacht. Es war schön, ihre Reise nochmal in meiner Muttersprache nachzuempfinden.

Behandelt werden im Film mehrere Themen, wie zum Beispiel romantische Beziehungen, zwischenmenschliche Beziehungen zu Familie und Freunden oder auch berufliche Perspektiven. Welches ist für Sie das wichtigste Thema des Films? Warum genau das?

Aylin Tezel: Eines der grossen Themen des Films ist Selbstliebe. Kira und Ian sind Menschen, die nicht viel Liebe für sich selbst übrig haben und versuchen, diese im Aussen zu finden. Sie suchen in den Menschen um sich herum die Bestätigung, die sie sich selbst nicht geben können. Es ist für beide auf unterschiedliche Weise ein schmerzlicher Prozess, zu begreifen, dass sie vor sich selbst nicht weglaufen können, egal wie sehr sie versuchen, sich von ihren Wunden abzulenken. Und so müssen sich beide erstmal den Geistern ihrer Vergangenheit stellen, bevor sie bei sich selbst ankommen können.

Aylin Tezel und Chris Fulton als Kira und Ian in «Falling into Place» © ROYAL FILM

Das Gefühl, dass man in den 30ern das eigene Leben im Griff haben sollte, spielt im Film eine zentrale Rolle. Gab es einen bestimmten Anreiz, weshalb Sie sich genau mit diesem Gefühl auseinandergesetzt haben?

Aylin Tezel: Ich glaube, dass die grossen Themen des Films, Liebe, Verlust und die Unfähigkeit sich selbst zu lieben, Themen sind, die nicht nur die Generation ansprechen, die jetzt in ihren 30ern sind. Ich glaube, dass diese Themen generationsübergreifend sind und alle Menschen in unterschiedlichen Momenten ihres Lebens treffen und betreffen.

Das Besondere an dem Lebensabschnitt, in dem sich Kira und Ian befinden, ist vielleicht, dass man sich irgendwo zwischen den spielerischen 20ern und den gesetzten 40ern wiederfindet und sich ausrichten möchte. Da gibt es einen Erwartungsdruck von aussen und von innen, dem man begegnet. So geht es auch Kira und Ian, die sich die grossen Fragen des Lebens stellen: Wer bin ich? Wer möchte ich sein? Und warum tappe ich immer wieder in die gleichen Fallen?

Ist der Film so geworden, wie Sie ihn sich damals beim Schreiben des Drehbuches vorgestellt haben? Was würden Sie vielleicht heute noch ändern? Ist es schwer, so ein Projekt jemals abzuschliessen?

Aylin Tezel: Natürlich verändert sich ein Film ganz oft im Entwicklungsprozess. Erst gibt es eine Geschichte und diese wird mit jeder Person, die hinzukommt, immer lebendiger. Schauspieler:innen, die ihre eigenen Interpretationen der Rollen einbringen, Komponist:innen, Kameramenschen und Szenenbildner:innen, die dem Film ihre eigene Note geben. Das ist ja das Schöne an solch einer Zusammenarbeit. Ein fertiger Film ist immer das Resultat der harten und leidenschaftlichen Arbeit von vielen Menschen. Ich hatte grosses Glück mit den Menschen, die mit mir an diesem Film gearbeitet haben.

Der Film lief bereits auf vielen Festivals und hat Preise gewonnen. Nun kommt er in vielen Ländern auf der ganzen Welt ins Kino. Das ist natürlich ein grosses Geschenk. Auch wenn ich nun meine Arbeit an ihm beende, ist es schön zu sehen, wie seine Reise weitergeht, mit jeder Zuschauerin und jedem Zuschauer, der ihn sehen wird.

«Falling into Place» ist ab dem 20. Juni im Kino zu sehen.

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