Interview25. Oktober 2023 Maria Engler
Interview: Craig Gillespie über «Dumb Money»: «Am Anfang dachte ich, wir müssten wirklich alles erklären»
Der amerikanische Regisseur Craig Gillespie erzählt nach Filmen wie «I, Tonya» und «Cruella» in seinem neusten Film «Dumb Money - Schnelles Geld» eine Geschichte aus der jüngsten Vergangenheit. Er begleitet den YouTuber Keith Gill und eine ganze Schar von Kleinanlegern an der Börse beim Investieren in ein scheinbar zum Scheitern verurteilten Unternehmen: GameStop. Wir sprachen im Rahmen des Zurich Film Festival mit Craig Gillespie über Investitionen, Filme über die Wall Street und den Kampf einer Community gegen die Big Player des Finanzwesens.
Wenn Sie in ein Unternehmen oder eine Person investieren würden, wer wäre das und warum?
Craig Gillespie: Wow! Wenn ich das wüsste, wäre ich wohl um einiges reicher. (lacht)
Wie wurden Sie auf die Ereignisse um die GameStop-Aktien und Keith Gill aufmerksam? Haben Sie die Ereignisse verfolgt, während sie sich entwickelt haben?
Craig Gillespie: Das war zur Zeit von COVID. Ich habe zwei Söhne. Einer von ihnen lebte bei uns. Er ist 24 Jahre alt und war bei Wallstreetbets. Er kam nach unten und sagte: «Hey, Elon Musk hat gerade über GameStop getwittert». Er investierte zu diesem Zeitpunkt bereits.
Es begann eine echte Konversation im Internet über die Frustration über die Leerverkäufe und wie versucht wurde, die Aktie nach unten zu drücken, und diese Gruppe fand sich zusammen, um sie nach oben zu treiben. Die Gruppe wuchs ständig. Sie wuchs innerhalb von acht Wochen von 400.000 auf 8 Millionen.
Ja, das ist verrückt.
Craig Gillespie: Und er war die ganze Zeit dabei und hat mit ein paar hundert Dollar angefangen zu investieren und zu reinvestieren. Er hatte also einen sehr ähnlichen Werdegang wie die Studenten (im Film, Anm. d. Red.), was den Stresspegel in diesen zwei Wochen angeht, und am letzten Tag, als er die Märkte beobachtete, stand er um 6 Uhr morgens auf und überprüfte alle drei Minuten, wann er aussteigen sollte.
Ich habe diese intensive Zeit mit ihm erlebt und auch die Hintergründe, wenn er mir die ganze Zeit Memes zeigte und was auf Wallstreetbets diskutiert wurde. Er steigt aus, zeitlich perfekt abgestimmt, und am nächsten Tag, als Robinhood eine Sperre verhängt, kommt er heruntergerannt, um uns von der Empörung, der Wut und der Frustration zu erzählen, die sich online abspielt. Ich habe diese ganze emotionale Reise mit ihm mitgemacht.
Haben Sie mit Ihrem Sohn gesprochen, während Sie den Film drehten?
Craig Gillespie: Oh ja. (lacht) Ja, wir wussten ehrlich gesagt, dass das härteste Publikum die Reddit-Nutzer sein werden.
Absolut! (lacht)
Craig Gillespie: (lacht) Ja, auf jeden Fall. Wir haben wirklich versucht, dieser Community treu zu bleiben. Und mein Sohn war ein echter Prüfstein dafür. Ich zeige meinen Freunden und meiner Familie oft die Filme, an denen ich gerade arbeite. Ich habe sie gebeten, eine Gruppe von Freunden mitzubringen. Sie brachten etwa 20 Freunde mit und sahen sich alle den Film an.
Das muss aufregend gewesen sein!
Craig Gillespie: Und es war erhellend! Aus dieser Perspektive, aus der Sicht der Online-Community, gab es definitiv Änderungen, die wir danach vorgenommen haben.
Wir hatten zum Beispiel eine Menge Exposition mit den Schauspielern im Film, und wir stellten fest, dass es viel besser war, das Kollektiv darzustellen. Es war nicht ein Einzelner, der für die Bewegung stand, sondern es war wirklich ein Kollektiv. Also haben wir all die Memes und TikToks eingebaut, was grossartig funktioniert hat, weil man die Stimmen und das Ausmass der Bewegung mitbekommt.
Und es ist viel realistischer, oder? Weil es wie echte Aussagen von Menschen sind.
Craig Gillespie: Es sind alles echte Memes. Ich habe das echte Nachrichtenmaterial gesehen, und wir hatten ein Team von Leuten in der Postproduktion, die all diese Informationen zusammengetragen haben.
M: Das muss eine Menge Arbeit gewesen sein.
Craig Gillespie: Stunden über Stunden! Es war wie ein Film im Film. Wir kamen an einen Punkt im Film, an dem wir etwas erklären wollten und sagten: Gut, dann schauen wir uns mal alle Möglichkeiten an, die wir haben, und wir könnten es mit Memes machen, wir könnten es mit einem Nachrichtensprecher zeigen, wir könnten es mit einem Talkshow-Moderator machen.
Warum wollten Sie die Geschichte auf der grossen Leinwand erzählen?
Craig Gillespie: Das ist eine so gemeinschaftliche Erfahrung. Und es gibt diese Art von Empörung, die man hat, diese Frustration am Ende des Films. Man kann diese Reise als Gemeinschaft in einem Kino machen, und ich glaube, das ist viel befriedigender als allein zu Hause.
Das ist wahr. Ich war an einem bestimmten Punkt sehr wütend. (lacht)
Craig Gillespie: (lacht) Ja, es ist eine ungewöhnliche Reise, auf die ich mich begeben habe, die oft lustig und intensiv ist. Und am Ende lasse ich sie an diesem wirklich frustrierenden Punkt enden. Aber das war so gewollt, denn ich wollte dem treu bleiben, was an dieser Geschichte und an dieser Frustration so inspirierend war.
Was ist Ihr Lieblingsteil der Geschichte?
Craig Gillespie: Es ist die Reise der Familie von Keith Gill. Es war fantastisch, Paul (Dano, Anm. d. Red.) zu gewinnen, er ist ein so brillanter, vielseitiger und nuancierter Schauspieler, der sich sehr gut auf seine Arbeit vorbereitet hat. Er hat sich z. B. alle Beiträge von Keith Gill angesehen und war ein echter Gatekeeper für die Informationen über ihn.
Ich habe mich dann sehr gefreut, Pete Davidson als Gegenspieler zu besetzen. Beide haben eine unterschiedliche Energie und unterschiedliche Herangehensweisen an ihre Arbeit. Ich war fasziniert davon, wie sich das am Set entwickeln würde, denn Paul ist sehr gut vorbereitet, während man bei Pete nicht sicher ist, was man bekommt.
Aber Pete improvisiert auf eine ganz besondere Art und Weise, und zwar innerhalb der Figur. Er macht Witze, aber die Witze zeigen die Familiendynamik. Sie zeigen, wo er sich möglicherweise durch die Situation ausgegrenzt fühlt. Es gibt also ein echtes Einfühlungsvermögen, das wunderbar funktioniert.
Das ist faszinierend. Und was ich sehr interessant finde: Es gibt keine direkten Erklärungen zu all den finanziellen Details, die in dem Film gezeigt werden. Und trotzdem war klar, was passiert und worum es geht. Wie haben Sie sich der Frage genähert, wie man diese komplexen Themen einem Publikum erklären kann?
Craig Gillespie: Das war eine Entwicklung. Am Anfang dachte ich, wir müssten wirklich alles erklären. Aber ich habe früh gemerkt, als ich den Film Freunden und Familienangehörigen zeigte, dass die Intensität dieser Erfahrung verloren ging, und es war mir wichtiger, mit den Figuren auf diese emotionale Reise zu gehen und diese Empörung und Frustration zu spüren. Es wurde zu einem Prozess, in dem wir herausfinden mussten, wie weit wir das Ganze reduzieren konnten und was wirklich notwendig war. Es war ein Hin und Her, diese Balance zu finden.
Haben Sie sich andere Filme über die Wall Street oder Finanzen oder ähnliche Geschichten angesehen, um sich inspirieren zu lassen? Und wenn ja, welche?
Craig Gillespie: Einer der Filme, die mich am Ende am meisten inspiriert haben, war «Moneyball». Die Wall-Street-Filme sind interessanterweise alle aus der Innenperspektive und handeln von den Bankern und ihrem Umfeld. Das hier ist eine Aussenseiterperspektive, wie in «Moneyball», wo ein Aussenseiter versucht, das System zu durchbrechen, und das System ist ziemlich kompliziert. Aber man kommt an einen Punkt, an dem man versteht, dass das Publikum die Mechanismen nicht genau kennen muss, solange die Person, der sie zusehen, der Held im Film, versteht, was vor sich geht. Sie erzählen einem auf emotionale Weise, was auf dem Spiel steht, und das ist, glaube ich, viel interessanter als Grafiken.
Ein grosser Teil Ihres Films handelt von der Internetkultur und der Macht, die darin liegt. Sind Sie selbst ein Teil davon?
Craig Gillespie: Nein, in dieser Hinsicht bin ich bemerkenswert analog. Die sozialen Medien erlebe ich eigentlich nur durch meinen Sohn. Ich sehe es also gewissermassen durch seine Augen.
Ich finde es interessant, dass Ihr Film die positiven Seiten der Internetkultur und das Potenzial für Veränderungen zeigt, während sich alle anderen um die dunklen Seiten zu sorgen scheinen. Wollten Sie dieses positive Potenzial hervorheben?
Craig Gillespie: Das ist ein interessantes Phänomen, denn im Internet entstehen oft Echokammern, die sich selbst erzeugen und verschiedene Gruppen voneinander entfremden. Und das war eine seltene Situation, in der sich Menschen mit unterschiedlichem wirtschaftlichem und politischem Hintergrund gegen den Kapitalismus zusammenschlossen. Es war faszinierend, das zu sehen und zu erkennen, dass es ein Kollektiv sein musste, damit es funktioniert.
Es ist in diesem Sinne keine individuelle Aktion. Ich denke, COVID war ein grosser Teil der Grundlage dafür. Ich glaube, COVID war so tiefgreifend für die Welt und der Verlust von geliebten Menschen und der Verlust von Arbeitsplätzen und kleinen Unternehmen und das Fehlen von staatlicher Hilfe und die Entfremdung, dass die einzige Möglichkeit, sich wirklich zu verbinden, das Internet war.
Weitere Informationen zu «Dumb Money - Schnelles Geld»
Ab dem 26. Oktober 2023 im Kino zu sehen.
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