Interview26. November 2019 Theo Metais
Doria Tillier und Nicolas Bedos über «La belle époque»: "Nicht alle Nostalgiker sind rückschrittlich"
Nicolas Bedos scheint nie stillzusitzen, und auch sein neuester Film stösst wieder überall auf viel Wohlwollen. Wir haben Nicolas Bedos und seine Partnerin Doria Tillier anlässlich der Vorführung von «La belle époque» Anfang Oktober am Zurich Film Festival getroffen. Das Duo erzählt uns vom Kino, David Finchers «The Game», vom Vergehen der Zeit und der aktuellen Komödienlandschaft.
Zum Film
Der melancholische Misanthrop Victor (gespielt vom hervorragenden Daniel Auteuil) ist Comic-Autor, dies jedoch nicht mehr wirklich erfolgreich: Niemand kauft mehr seine Zeichnungen (eigentlich aus den Händen des ausgezeichneten französischen Zeichners Stéphane Levallois), sein Erfolg ist dahingeschmolzen wie Schnee in der Sonne. Auch seine Frau (Fanny Ardant) macht sich langsam aber sicher aus dem Staub; und das mit seinem besten Freund (Denis Podalydès): Der klassische Beginn einer Komödie.
Als ihm die Gelegenheit geboten wird, eine Epoche noch einmal zu erleben, beschliesst Victor, zu diesem Abend 1973 in Lyon zurückzugehen, in dieses Café, wo er die Frau traf, mit der er sein Leben teilen würde. Hier kommt Antoine (Guillaume Canet) ins Spiel: Er ist eine Art exzentrischer Mogul an der Spitze eines Unternehmens, das massgeschneiderte Zeitreisen organisiert. Mitten in einem Lagerhaus in der Nähe von Paris führt einen die Kulisse in die Irre, übernimmt die Magie. Victors Reise erinnert an eine Art Kino, das den Traum mit der Realität vermischt, ein wenig wie in «The Truman Show», «La Rose pourpre du Caire» oder «The Game».
Doria Tillier und Nicolas Bedos, was sagen Sie zu den Vergleichen Ihres Films zu «The Truman Show» oder «The Game»?
Doria Tillier: Kann ich etwas zu «The Game» erzählen? Ich war wegen einer Aufführung von «La belle époque» am COLCOA in Los Angeles (Anm. d. Red.: Festival du Film Français Los Angeles). Am Ende des Screenings haben wir ein Q&A gemacht, und der Typ, der mich interviewt hat, war der Produzent von «The Game».
Er sagte mir, dass er «The Game» liebt, aber dass er am Ende immer feststellen musste, dass etwas in der Inszenierung nicht ganz funktioniert; dass man es als Zuschauer nicht so richtig glauben kann. Er hat mir erklärt, dass es nicht viele Filme gibt, die dieses Thema ansprechen, weshalb er sich die wenigen immer genau anschaut. Dies sei das erste Mal, dass er einen Film gesehen hat, der das erfolgreich geschafft hat.
Nicht alle Nostalgiker sind rückschrittlich.
Nicolas Bedos bessert die Fehler von David Fincher aus – das Kompliment ist berechtigt. Und im Gegensatz zu «Monsieur & Madame Adelman» haben Sie «La belle époque» komplett alleine geschrieben...
Nicolas Bedos: Seit «Monsieur et Madame Adelman» habe ich mehrere Plots geschrieben, die einen mehr, die anderen weniger befriedigend. Ich war auf der Suche nach einem persönlichen, intimen und fiktiven Spielplatz, der aus filmischer Sicht spannend genug sein würde. Ich will Filme machen! Cassavetes macht auch Filme, aber wenn ich von Kino spreche, dann vom grossen Kino: Opulente Kulissen, ausgefallene Frisuren, markante Musik.
Es ist so, dass in «La belle époque» mein eigenes Unbehagen angesichts der technologischen und politischen Revolutionen gemischt wird mit dem manchmal erschreckenden Verdruss meines Vaters, meiner Mutter und unserer Verwandten. Ich habe mit einem Mann zu Abend gegessen, den ich sehr liebe, der auf den ersten Blick für den Fortschritt, die Zukunft und die Jugend steht.
Er hat sich mir anvertraut, und auch andere Leute aus meinem Umfeld, dass er sich ein wenig abgehängt fühlt. Bei diesem Bild kam mir Victor in den Sinn. Da hatte ich Lust, einen Film für mich und all jene, die sich manchmal ein wenig verloren vorkommen zu machen – ohne den Fortschritt zu verdammen.
Eine Frage drängt sich in «La belle époque» ganz klar auf: Diese grosse, unumgängliche Debatte rund um den Fortschritt über diejenigen, die davon profitieren, und jene, die links liegen gelassen werden, so wie die Hauptfigur, deren Verhalten zum Teil ziemlich rückschrittlich ist.
Nicolas Bedos: Ich würde nicht sagen, dass er völlig rückschrittlich ist. Was er an den 70er-Jahren vermisst sind auch die Feuerwerkskörper, der Alkohol, das Essen. Er ist komplett zugedröhnt, er bekommt Sexorgien mit, er ist offen für jeden erdenklichen Unsinn.
Ich denke, ihm geht die Rückschrittlichkeit der damaligen Zeiten auf die Nerven. Das ist sehr wichtig im Film. Nicht alle nostalgischen Menschen sind gleichzeitig auch rückschrittlich.
Man hat immer eine Schwäche für die Zeit, als man jünger, verliebter, schöner war und noch sein ganzes Leben vor sich hatte...
Was bedeutet es dann, mit der Zeit zu gehen?
Doria Tillier: Meiner Meinung nach meint es, mit sich selbst im Reinen zu sein. Ausserdem sagt der Film nicht, dass früher alles besser war. An einer Stelle im Film wird Daniel Auteuil gefragt, was ihm an den 70ern gefallen hat. Er zählt danach einige Dinge auf und schliesst damit, dass er noch jünger war. Wir haben immer die Vorstellung, dass wir zu einer Zeit glücklicher waren, als wir jünger und sorgloser waren.
Nicolas Bedos: Es ist wie eine neue Sprache, ein neues Land oder ein neues Klima; je später Dinge im Leben geschehen, desto beunruhigender sind sie. Darüber könnte man endlos diskutieren, es war eine grosse Debatte am Set. Was war vorher besser? Was ist heute besser? Inwiefern ist die Figur im Unrecht? Inwiefern ist es rückschrittlich? Ich glaube, dass man immer eine Schwäche für die Zeit hat, als man jünger, verliebter, schöner war und noch sein ganzes Leben vor sich hatte...
Früher haben wir die Leute noch mit etwas komplett Neuem zum Lachen gebracht. Das geht heute nicht mehr.
Irgendwo zwischen Moderne und Nostalgie ist «La belle époque» auch ein Film mit humorvollen Einstreuungen und geschliffenen Dialogen. Also gibt es Humor in alldem? Kann man sagen, dass es eine "Belle Époque" des Lachens gibt?
Doria Tillier: Ich weiss nicht, ob es jemals eine Belle Époque des Lachens gegeben hat, aber ich habe den Eindruck, dass wir nicht in der besten Zeit sind (lacht). Früher war das, was die Leute zum Lachen brachte, übertrieben, aber gut übertrieben. Es gab eine Zeit, in der wir die Leute noch mit etwas komplett Neuem zum Lachen brachten.
Das gibt es heute nicht mehr. Wir versuchen nur, immer trashiger und billiger zu sein. Ich finde, dass bestimmte Arten von Humor in erster Linie auf schallendes Lachen abzielen, auf sofortiges Lachen. Das ist völlig in Ordnung, aber ich mag es auch, wenn dieses Lachen einen tieferen Gedanken widerspiegelt.
Nicolas Bedos: Und dann gab es eine Zeit, in der wir uns die Dinge ausgedacht haben. Dort wurde alles zu einer kommerziellen Disziplin, weshalb die Methode eine alte ist. Wir können nicht die gleiche Überraschung erleben, wenn wir mit einer Provokation konfrontiert werden, die es in den unterschiedlichsten Bereichen schon 1400 Mal gab.
Wir können spüren, dass das ein wenig unbeholfen ist. Ich schaue mir keine Komiker mehr an, weil ich, da ich keine Komödie mehr im Fernsehen mache, ein wenig eifersüchtig bin (lacht), aber in der Tat erscheint es mir komplexer, im Jahr 2020 etwas Innovatives zu machen.
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