Artikel25. Juni 2024

Künstliche Intelligenz: Das Ende des Kinos?

Künstliche Intelligenz: Das Ende des Kinos?
© Spotlight Media Productions AG

Der Schweizer Filmemacher Peter Luisi brachte mit «Bon Schuur Ticino» den erfolgreichsten Schweizer Film des Jahres in die Kinos. Jetzt sorgt sein Filmprojekt «The Last Screenwriter» für Aufsehen, denn dessen Drehbuch wurde vollständig von der KI ChatGPT geschrieben – Science-Fiction wird zur Realität. Doch was bedeutet der zunehmende Einsatz von Künstlicher Intelligenz für die Filmwelt?

von Maria Engler & Kilian Junker (teilweise übersetzt aus dem Französischen)

Aufregung um «The Last Screenwriter»

Künstliche Intelligenz im Bereich Film ist schon seit Längerem ein heiss diskutiertes Thema – sei es, um Stars künstlich zu verjüngen, Spezialeffekte schneller umzusetzen oder ganze Filme zu produzieren. Der Schweizer Filmemacher Peter Luisi, der im vergangenen Jahr mit «Bon Schuur Ticino» Erfolge feierte, nutzte einen Teil der Gelder, um ein spannendes KI-Experiment umzusetzen. Er liess das Drehbuch zu «The Last Screenwriter» vollständig von ChatGPT 4.0 verfassen und setzte die Geschichte im Anschluss mit einem professionellen Filmteam um.

Inhaltlich dreht sich der Meta-Film um Jack, einen erfolgreichen Drehbuchautor, dessen Leben radikal umgekrempelt wird, als er von einem KI-Drehbuchprogramm erfährt. Zu seinem Entsetzen stellt er fest, dass die Künstliche Intelligenz nicht nur bessere Drehbücher schreibt, sondern ihn auch in Bereichen übertrifft, die Menschen generell besser meistern müssten: Empathie und Verstehen von Emotionen. Bald bekommt er die Möglichkeit, ein komplettes Drehbuch mit der KI zu schreiben.

Eigentlich sollte «The Last Screenwriter» am 23. Juni in London Premiere feiern, doch die Zuschauer:innen liefen in den sozialen Medien Sturm gegen den Film mit dem ungewöhnlichen Drehbuchautoren. Das Kino machte deshalb nur wenige Tage vor der Premiere einen Rückzieher. Laut dpa findet Filmemacher Peter Luisi diese Entscheidung zwar nicht richtig, respektiere sie aber. Der Nonprofit-Film soll kein Geld einspielen, sondern eine Einladung zur Diskussion sein – schliesslich ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Filmgeschäft bereits Alltag. «Die Augen verschliessen und so tun, als wäre KI nicht da, geht nicht. Den Status quo gibt es nicht mehr, wir müssen uns damit abfinden. Lasst uns darüber reden.» «The Last Screenwriter» wird ab dem 03. Juli 2024 kostenlos auf der Film-Webseite verfügbar sein.

Was macht künstliche Intelligenz mit dem Kino?

Künstliche Intelligenz, oder kurz KI, hat die Filmwelt schon immer fasziniert. An dieser Stelle ist natürlich Stanley Kubrick zu erwähnen, aber auch Steven Spielberg, der Jude Law 2001 in seinem Film «A.I. - Künstliche Intelligenz» zu einem romantischen Roboter machte... Doch was damals noch Science-Fiction war, ist heute Realität, vor allem durch den enormen Fortschritt der KI und die umfassende Demokratisierung computergestützter künstlerischer Schaffensprozesse. Heute kann jede:r mit wenigen Klicks aus einer kurzen schriftlichen Beschreibung fotorealistische Inhalte generieren. Eine Tatsache, die unter anderem die Frage nach der Bedeutung von Bildern und Videos als Informationsquelle aufwirft.

Jude Law in «A.I. - Künstliche Intelligenz» © IMDb

Obwohl diese Kreationen durchaus eine politische Bedeutung haben können, stellt die Tatsache, dass eine ganze Reihe von zukünftigen digitalen Fälscher:innen Zugang zu diesen mächtigen Werkzeugen hat, auch die Kunstwelt in Frage. Einige sehen darin ein grossartiges Werkzeug: Mit wenigen Sätzen können Filmschaffende praktisch sofort jede Art von Pre-Visual erstellen. Es müssen keine zeitraubenden Modelle, Skizzen und Entwürfe mehr erstellt werden, sondern die KI liefert in Rekordzeit erste Entwürfe von aussergewöhnlicher Qualität. Doch auch wer diese Entwicklung trotz massivem Verlust von Arbeitsplätzen in der Filmbranche erfreulich findet: Die Zahl der möglichen Auswüchse solcher Programme ist unermesslich, bis hin zur Vorstellung von Filmen, die vollständig von einer künstlichen Intelligenz "entworfen" werden – wie im Fall von «The Last Screenwriter». Was hier als Experiment und Diskussionsanregung dient, könnte bald Normalität sein.

Ein Traum für einige Akteure der Hollywood-Industrie, wie zum Beispiel für einen der Regisseure von Marvel, Joe Russo, der bereits seine Fühler in diese lukrative Branche ausgestreckt hat, indem er seine eigene Entwicklungsfirma gründete. KI scheint ein Segen für diese riesigen Studios zu sein: Weil sie enorme Geldsummen aufbringen, scheuen sie zunehmend davor zurück, sich originelle Inhalte auszudenken (daher die übermässige Zunahme von Fortsetzungen, Spin-offs und Reboots), die das Publikum verunsichern und die Erträge an der Kinokasse negativ beeinflussen könnten. Die Automatisierung des narrativen und visuellen Recyclings durch computergestützte Prozesse ist für Hollywoods findige Studios, die immer auf der Suche nach möglichen Zeit- und Geldeinsparungen sind, sehr attraktiv.

«Star Wars» aus der Feder von Wes Anderson – mit KI schnell ausprobiert!©

Doch Vorsicht, wenn man von digitalen "Schöpfungen" spricht! Man darf nämlich nicht vergessen, dass die KIs dank der riesigen Bilddatenbanken funktionieren, die das Internet bereitstellt. Videos mit fantastischen Crossovers (z.B. «Star Wars» unter der Regie von Wes Anderson) können nur entstehen, weil Andersons Filme und das Universum von George Lucas bereits existieren. Mit anderen Worten: Wir haben es hier eher mit einem geschickten digitalen Maskenbildner zu tun als mit einer echten Schöpfung von neuen Inhalten.

Eine Parallele zu den besten Fälscher:innen drängt sich auf. Sie haben die Meister:innen der Malerei nie entthront oder die Entstehung neuer Kreationen zum Einsturz gebracht. Und auch wenn einige Megakonzerne sich mehr mit Recycling als mit dem Entdecken von Neuem beschäftigen, beweisen die jüngsten Einspielergebnisse der Ergebnisse ihrer vorgefertigten Rezepte («Madame Web», «The Marvels» oder «Guardians of the Galaxy Vol. 3», um nur einige zu nennen), dass das Publikum allmählich genug von diesen blutleeren Aufgüssen hat. Kurz gesagt, wir sind nicht bereit, auf die Verrücktheit von «Poor Things», den Überschwang von «Everything Everywhere All at Once» oder die erschreckende Innovation von «The Zone of Interest», zugunsten von Inhalten, die von einer künstlichen Intelligenz geschaffen wurden, zu verzichten. Und das ist auch gut so! Wie die Ereignisse in London zeigen, gibt es jede Menge Zuschauer:innen, die sich auch weiterhin für ein reichhaltiges und innovatives Kino begeistern, das hoffentlich noch viele schöne Tage vor sich hat.

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