News13. August 2018 Julian Gerber
Locarno Festival 2018: «Wintermärchen» erzählt von einer toxischen Dreierbeziehung und rechter Gewalt
Wenn die Goldenen Leoparden am Lago Maggiore Einzug halten, dann ist wieder Locarno Festival. An der 71. Ausgabe des Filmfestivals kämpfen während 11 Tagen über 200 Filme um die Gunst des Publikums. Bei uns gibt's während dem Locarno Festival laufend die neuesten Kritiken zu den Filmen im Wettbewerb und ausser Konkurrenz, die in Zusammenarbeit mit der Locarno Critics Academy entstanden.
Der vorliegende Artikel entstand im Kontext der Locarno Critics Academy
Wintermärchen
Regisseur Jan Bonny zeigt in seinem Spielfilm «Wintermärchen» eine toxische Dreierbeziehung, die sich in rechtsradikaler Gewalt entlädt. Dabei geht es dem Regisseur nicht um die Darstellung einer Lebensrealität im Untergrund oder gar darum, wie rechte Gewalt entsteht, sondern eher um Machtgefüge innerhalb einer Gruppe. «Wintermärchen» ist keine Milieustudie: Es gibt kaum symbolische Verweise, auch die Andeutung, dass es irgendwo ein grösseres Unterstützer-Netzwerk gibt, bleibt dahingestellt. Wenn es dem Regisseur darum ging, zu zeigen, wie leichtfertig heute auch in der Öffentlichkeit über rechte Gewalt gesprochen wird, wie sie bagatellisiert wird – dann muss er sich fragen, ob er mit seinem Film den richtigen Beitrag dazu leistet.
Glaubenberg
«Glaubenberg» thematisiert die unerwiderte Liebe einer Schwester zu ihrem Bruder. Dabei ist es das erklärte Ziel des Regisseurs Thomas Imbach, das Innenleben der Protagonistin Lena (Zsofia Körös) darzustellen, weshalb er diese immer wieder in Grossaufnahmen inszeniert. Lena's Wahn wird mit dem zu wenig ausgereizten, aber spannenden Stilmittel ihrer Fantasien vermittelt. Am Ende bleibt der Eindruck, dass man hier einfach einer Geschichte über eine unerwiderte, erste Jugendliebe zusieht, die zufälligerweise unter demselben Dach passiert – denn trotz der Gefahr des Inzestuösen wird es selten richtig gefährlich.
A Land Imagined
In «A Land Imagined» inszeniert der singapurische Filmemacher Yeo Siew Hua seine Heimat schonungslos als dystopisches, kapitalistisches Nirvana. Darin geht es um den Polizisten Lok und seinen Partner, die sich in Singapur auf die Suche nach dem verschollenen Gastarbeiter Wuang begeben. Ein Film, der sich in einer Nische irgendwo zwischen futuristisch anmutendem Noir, Lynch’schem Wahrnehmungswirrwarr und schonungsloser Regierungskritik, einrichtet.
Sibel
«Sibel» handelt von einer stummen 25-jährigen Frau in der türkischen Provinz. Der Film von Cagla Zencirci und Guillaume Giovanetti ist eine überzeugende Emanzipationsgeschichte einer Aussenseiterin, die mit der Hilfe eines anderen Aussenseiters das Selbstbewusstsein gewinnt, den Status quo anzufechten. Der Film bietet starke Momente und malerische Aufnahmen, die konsequent in die Gesamtdramaturgie integriert sind.
Tarde para morir joven
"Nur äusserlich klein", so bezeichnen sich die jungen Protagonisten in Dominga Sotomayors eindrücklichem Langspielfilm «Tarde para morir joven» gleich selbst. Das Coming-of-Age-Drama über Jugendliche und Kinder in einer chilenischen Kommune feierte im Internationalen Wettbewerb des Filmfestival Locarno Premiere. Die Regisseurin zeigt die Protagonisten dabei in kurzen, nah gefilmten Szenen, flüchtigen und zugleich gewichtigen Blickwechseln in der kleinen Gemeinschaft ausserhalb der grossen Zivilisation.
A Family Tour
Der Regisseur Ying Liang inszeniert in seinem halb-autobiografischen Spielfilm «A Family Tour» das Wiedersehen einer entfremdeten Familie auf fremdem Terrain. Dabei trifft die Regisseurin Yang Shu, die seit einem regierungskritischen Film in Hongkong im Exil lebt, in Taiwan auf ihre Mutter, der eine wichtige Operation bevorsteht. Doch das heimliche Treffen ist ein riskantes Unterfangen, da die Familie gezwungen ist, ihre Verwandtschaftsverhältnisse zu leugnen. Ein Film, der von den Spannungen zwischen den beiden Frauen lebt, und von den Dingen die unausgesprochen bleiben oder erst nach Jahren zutage kommen.
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