Kritik4. Dezember 2018 Irina Blum
«Los versos del olvido» eröffnet das diesjährige Human Rights Film Festival Zurich
Filme können nicht nur unterhalten, sondern auch berühren, vermitteln und aufklären – wie das Programm des Human Rights Festival Zurich, das am 5. Dezember mit dem surrealen, bittersüssen Beitrag «Los versos del olvido» aus Chile eröffnet wird.
Das in Chile angelegte Drama «Los versos del olvido» (zu deutsch etwa: Die Verse des Vergessens) des Iraners Alireza Khatami erzählt die Geschichte eines alten Mannes, dessen Alltag als Friedhofwärter jäh unterbrochen wird, als die Miliz bei niedergeschlagenen Protesten ihre Opfer in seinem Leichenschauhaus versteckt. Unter den Opfern befindet sich auch eine junge Frau, deren Leiche als einzige in den Kühlsärgen vergessen geht.
Der alte Mann setzt daraufhin alles daran, der jungen Frau eine reguläre Beerdigung zu ermöglichen: Mithilfe des Bestatters, dem Fahrer eines Leichenwagens und einer Bekannten, die selbst seit Jahren um ihre vermisste Tochter trauert, organisiert er einen Geburtsschein, druckt Einladungen und kauft einen passenden Sarg – allen bürokratischen Hürden zum Trotz.
Juan Margallo braucht keinerlei Worte, um seine Geschichte rüberzubringen.
«Los versos del olvido» ist dabei kein Film der grossen Worte: Der Dialog beschränkt sich auf wenige Szenen, in denen der sonst wohl eher einsame alte Mann sein Umfeld mobilisiert, um auf seiner wundersamen Reise der jungen Toten eine Bestattung zu ermöglichen. Wenn, dann ist «Los versos del olvido» eher ein Film der grossen Bilder und visuellen Botschaften. Die farblich wunderschön komponierten Aufnahmen der chilenischen Pampa wirken meist, als wären sie einer Postkarte entsprungen. Und auch surreale Elemente sind Teil der Bildsprache, so zum Beispiel, wenn auf wunderliche Art und Weise ein Wal über die Stadt fliegt.
Dass «Los versos del olvido» auch mit wenigen Worten viel übermitteln kann, dafür sorgt auch der charismatische Hauptdarsteller Juan Margallo. Er braucht keinerlei Worte, um seine Geschichte rüberzubringen – seine Mimik, seine Gestik und sein Blick genügen. Jede der zig Falten in seinem Gesicht scheint eine Episode aus der Vergangenheit des alten Mannes erzählen zu wollen, und seine Augen lassen verstehen, wie viel diese schon erlebt und gesehen haben.
Ein unaufgeregter Film, bei dem der Teufel im Detail steckt.
Von den politischen Unruhen bekommt man als Zuschauer nur am Rande etwas mit – etwa, wenn der alte Mann auf brutale Art und Weise zusammengeschlagen und in der Wüste ausgesetzt wird, um in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Opfer eines Aufstandes verschwinden zu lassen. Darin liegt vielleicht aber auch genau die Stärke des Films: Dass er auf eine zeitlose und surreale Art aufzeigt, wie einfach es manchmal ist, wegzuschauen und alles sogleich wieder zu vergessen. Ein unaufgeregter Film, bei dem der Teufel im Detail steckt: Den wunderschönen Aufnahmen, den charismatischen Gesichtern und all den kleinen versteckten poetischen Botschaften.
«Los versos del olvido» ist der Eröffnungsfilm des Human Rights Film Festival Zurich, das vom 5. bis zum 10. Dezember 2018 in den Kinos Riffraff und Kosmos stattfindet. Weitere Infos zum Programm und zum Festivals finden sich hier.
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