Artikel28. Juni 2023 Cineman Redaktion
Mythos oder Wirklichkeit? 8 Fakten zu «Marie Antoinette»
Mehr als 200 Jahre nachdem sie der Guillotine zum Opfer fiel, ist Marie Antoinette noch immer ein gängiger Name für Schönheit, Opulenz und Dekadenz. Die Darstellungen der französischen Königin unterscheiden sich jedoch stark voneinander. Die neue Serie «Marie Antoinette», kreiert von Deborah Davis, die «The Favourite» mitgeschrieben hat, wählt einen stilisierten und feministischen Ansatz. Wie nahe ist diese Version an den Tatsachen?
von Gabriela Tscharner Patao
1. Marie Antoinette, die Feministin?
Wie Serien wie «Bridgerton» oder «The Great» will auch «Marie Antoinette» einen modernen Blick auf die Geschichte der französischen Königin werfen. Marie Antoinette (Emilia Schüle) ist von ständiger Angst und Beklemmung geplagt und ihr Mann, König Louis XVI (Louis Cunningham), scheint auf dem Autismus-Spektrum zu sein. «Marie Antoinette war eine Rebellin», erklärte die Hauptdarstellerin kürzlich in einem Interview mit dem Variety Magazin. «Eine moderne, emanzipierte Frau, die für die Gleichstellung und ihre persönliche Freiheit kämpfte.»
HistorikerInnen wie Catriona Seth von der Universität Oxford nennen diese Darstellung jedoch anachronistisch. «Einmal abgesehen von der Tatsache, dass ihre Mutter (die Erzherzogin von Österreich, Maria Theresia) die Macht innehatte, würde Marie Antoinette die Welt gar nicht aus feministischer Sicht sehen.» Kein Wunder, denn bis zu ihrem Tod war sie eine Königin ohne Macht und Rechte, die für die Fehler der Familie ihres Mannes hingerichtet wurde.
2. Der beste Freund der Königin: Mops
Als die junge Antoinette von der Erzherzogin Maria Theresia (Marthe Keller) in einem politischen Schachzug dem französischen Thronfolger versprochen wird, zeigt die Serie, wie sie mit ihrem geliebten Hündchen Mops reist, nur um an der Grenze von ihrem Haustier getrennt zu werden, weil «eine französische Prinzessin keine Gefühle zeigen darf». Der Hund wird zurück nach Österreich geschickt, nur um einige Jahre später von Louis XVI als Geschenk für seine Frau wieder nach Versailles gebracht zu werden.
Diese Geschichte ist beliebt. Sie findet sich in Sofia Coppolas Film über Marie Antoinette, sowie in Antonia Frasiers 2001 veröffentlichter Biografie, die ihre These auf Marie Antoinettes Briefe stützt, die 1874 veröffentlicht wurden. Nur, die Briefe beziehen sich auf den Mops, die Hunderasse, und nicht auf ein spezifisches Haustier. Andere Biografien haben Spuren eines Mopses an Marie Antoinettes Hof gefunden, aber keine liefert Beweise, dass dieser Hund Mops hiess, oder als politische Schachfigur eine Rolle gespielt hat.
3. Madame Dubarry, Mätresse des Königs
Die Serie porträtiert Madame Dubarry (Gaia Weiss) als opportunistische Intrigantin, die nicht nur Marie Antoinette in der Kunst der Liebe instruiert, sondern auch mit der Hälfte des königlichen Hofs sexuelle Beziehungen hat, was ihr vor allem auf materielle Weise dient. Als Marie Antoinette sich von Madame Dubarry distanziert, nutzt diese ihren Einfluss auf den König, um die Dauphine in die Knie zu zwingen.
Die als Marie-Jeanne Bécu in Armut geborene Dubarry wurde hoffähig gemacht, nachdem sie dem Grafen Jean-Baptiste Dubarry auffiel und mit seinem Bruder vermählt wurde. Schon bald warf der König ein Auge auf die schöne Frau und sie zog ins Schloss Versailles ein, wo sie die Kurtisane des Königs wurde und blieb, bis dieser 1774 starb. Gräfin Dubarrys Einfluss am Hof, im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin Madame de Pompadour, beschränkte sich mehrheitlich auf persönliche Intrigen. Obwohl die Mätresse des Königs damals ein offizieller Titel war, war Madame Dubarry am Hof wenig anerkannt und es war ihr nicht gestattet, das Wort an die künftige Königin zu richten. Die einzigen Worte, die die Dauphine zu Gräfin Dubarry gesagt haben soll, waren: «Il y a bien du monde aujourd' hui à Versailles» (Es sind heute viele Leute in Versailles).
4. Die sexlose Ehe
Die Serie stellt den Enkel des sexsüchtigen Louis XV als sozial unbeholfen dar, als jungen Mann, der stellenweise vor Angst wie gelähmt ist und die Tatsache, dass Louis und Marie Antoinette während sieben Jahren keine sexuelle Beziehung hatten, wird auf seine Scheuheit zurückgeführt.
Nachdem die als Maria Antonia geborene 14-jährige mit dem 15-jährigen Prinzen vermählt wurde, fand sie in Versailles ein laszives Umfeld vor, kreiert von König Ludwig XV und Madame Dubarry, das für das jugendliche Paar wohl überwältigend war. Ausserdem wird berichtet, dass Louis unter Phimose gelitten haben soll, eine Krankheit, die den Geschlechtsverkehr schmerzhaft macht. Die Historiker sind sich nicht einig, ob Louis als Erwachsener operiert wurde, denn schliesslich wurden dem Paar vier leibliche Kinder beschert.
5. Marie Antoinettes Liebhaber
Die französische Presse wie «Le Figaro» protestierte lauthals und klagte die Serie an, Marie Antoinette als frivole Fremdgeherin darzustellen. Aber in «Marie Antoinette» werden mögliche Affären, z.B. mit dem Grafen Chartres (Oscar Lesage), ihren Hofdamen wie Yolande (Liah O'Pray) oder dem schwedischen Grafen Axel von Fersen (Martijn Lakemeiner) nur angedeutet.
Tatsache ist, dass Marie Antoinette von Anfang an Ziel von niederträchtigem Klatsch war, sowohl am Hof als auch von der Bevölkerung. Pornografische Pamphlete mit Karikaturen, Libelles genannt, beschuldigten sie des Fremdgehens und machten sich über ihre sexuellen Eskapaden lustig. Nach der Geburt ihrer Kinder wurden Gerüchte über deren Vaterschaft laut, aber laut der Historikerin Antonia Frasier war lediglich Graf von Fersen ein möglicher Kandidat für eine Affäre. Er diente in der französischen Armee und begleitete General Rochambeau nach Amerika. Er zeichnete 1791 auch für den Fluchtversuch des Königspaares in der Nacht vor Ausbruch der französischen Revolution mitverantwortlich.
6. Wurden Libelles von Antoinettes Schwägerin geschrieben?
Die TV-Serie macht Marie Antoinettes Schwägerin Josephine (Roxane Duran) für die Produktion von zumindest einige der Libelles verantwortlich. Ihr Mann Provence (Jack Archer), der Zweite in der Thronfolge, wird von seinem Bruder Louis zwar zurechtgewiesen, aber das Paar wird nicht bestraft.
Libelles waren im Frankreich des 18. Jahrhundert eine Art Klatschpresse, die auch als politische Pornografie bezeichnet werden konnte, mit der prominente Aristokraten attackiert wurden. Marie Antoinette war häufige Zielscheibe, mit Attacken auf ihr Sexualleben, ihre Leichtsinnigkeit im Umgang mit Geld bis zu ihrem Einfluss auf Louis, was den König als schwach darstellte. Während es keine Nachweise darauf gibt, dass die Libelles von jemandem am Hof von Versailles geschrieben wurden, war einer der bekanntesten Libellisten Charles de Morande, der schon Louis XV und Madame Dubarry angriff. Die Ausdrucksform wurde aber auch von feindlichen Regimen benutzt, um die Parteien an der Macht zu schwächen.
7. Der Chevalier de Saint-Georges
Nachdem Louis XVI die Krone und Marie Antoinette den Hof von Versailles übernimmt, entdeckt die französische Königin ihre Liebe für Partys und die musischen Künste, die sie mit einem Violinisten und Komponisten, dem Chevalier de Saint-Georges, einem schwarzen Adligen aus der Karibik, teilt. Saint-George ist ein häufiger Gast an Marie Antoinettes Hof, was ihm von Louis Bruder und Tanten aber eine gehörige Portion Rassismus einbringt.
Joseph Bologne, der Chevalier de Saint-Georges war eine historische Figur, ein französischer Geigenvirtuose, Komponist und Dirigent des 18. Jahrhunderts. Seine Herkunft ist umstritten, es wird angenommen, dass er der illegitime Sohn von George de Bologne de Saint-George und der 16-jährigen Sklavin Anne Anon war. Er wurde von seinem Vater im Sport wie Fechten und in der Musik unterrichtet und lebte nach dem Tod seiner Mutter für kurze Zeit beim Baron Melchior Grimm, wo auch der junge Mozart weilte. Diese Tatsache brachte ihm den Namen «Der Schwarze Mozart» ein. Er musizierte mit Marie Antoinette im Petit Trianon, dem Lustschloss von Versailles, während er seine dritte von sechs Opern komponierte. Saint-Georges wurde während der französischen Revolution für 11 Monate inhaftiert und starb 1797 verarmt in Paris.
8. Dr. Mesmer, Scharlatan oder der erste Psychotherapeut?
Prinzessin Lamballe (Jasmine Blackborow) fühlt sich von der Königin vernachlässigt und fürchtet, durch Yolande ersetzt worden zu sein. Deshalb wendet sich Marie Antoinettes Hofdame den neuen und revolutionären Methoden des Doktor Anton Mesmer zu. Als sie sieht, wie sehr er ihrer Freundin geholfen hat, nimmt auch Marie Antoinette seine Hilfe in Anspruch.
Franz Anton Mesmer war ein existierender deutscher Arzt, der sich schon mehrere Jahre vor der französischen Revolution einen enormen Ruf in der Pariser Gesellschaft aufbaute. Er nannte seine Heilmethode «Animalischer Magnetismus», auch Hypnotismus genannt, und dieser ist noch heute als Hypnotherapie Bestandteil gewisser Bereiche der Psychotherapie.
«Marie Antoinette» ist seit dem 21. Juni auf Disney+ verfügbar.
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