Kritik9. Juli 2019 Irina Blum
Netflix-Kritik: Der Entführungsthriller «Kidnapping Stella» schlägt einige Haken
Dass weniger mehr sein kann, bewies der Brite J Blakeson mit seinem kompakten Regiedebüt «The Disappearance of Alice Creed», das eine etwas konstruierte, dafür aber kurzweilige und packende Entführungsgeschichte erzählte. Der deutsche Filmemacher Thomas Sieben («Staudamm») legt nun ein Remake des Stoffes vor, das leider nur wenige eigene Akzente setzt.
Filmkritik von Christopher Diekhaus
Wie schon im Original aus dem Jahr 2009 wird der Zuschauer anfangs Zeuge einer stummen, präzisen Vorbereitung eines Verbrechens. Ohne auch nur ein Wort zu verlieren, decken sich die Kriminellen Vic (Clemens Schick) und Tom (Max von der Groeben) in einem Baumarkt mit diversen Utensilien ein und verwandeln ein Zimmer in einer ranzigen Hochhauswohnung in ein schalldichtes Gefängnis.
Die Wendungen laden das Entführungsszenario mit der gewünschten Spannung auf.
Kurz darauf landet dort die aus wohlhabenden Verhältnissen stammende Stella (Jella Haase), die die beiden Gangster auf offener Strasse überwältigt haben. Vier Millionen Euro verlangen Vic und Tom von ihrem steinreichen Vater und glauben, dass sie alle Trümpfe in Händen hielten. Dummerweise will der Erpresste jedoch zunächst nicht zahlen. Und noch dazu gibt sich die Eingesperrte widerspenstiger als gedacht.
An dieser Stelle sollte die Inhaltsbeschreibung enden, da der ursprünglich für eine Kinoauswertung gedachte, dann aber von Netflix aufgekaufte Thriller in erheblichem Masse von seinen Offenbarungen und Richtungswechseln lebt. Die Wendungen sind sicherlich nicht bahnbrechend. Dem Geschehen verleihen sie dennoch ausreichend Dynamik und laden das Entführungsszenario mit der gewünschten Spannung auf.
Analog zu Blakesons Vorbild ist «Kidnapping Stella» ein Drei-Personen-Kammerspiel, das im Mittelteil den Blick nach aussen gänzlich verweigert. Nie verlassen wir im zweiten Akt die Wände der heruntergekommenen Plattenbaubehausung. Und immer stärker brauen sich in dem provisorischen Gefängnis Misstrauen und Nervosität zusammen, da sich plötzlich Fallstricke auftun und Unehrlichkeiten die Lage verkomplizieren.
Den grössten Vorwurf, den man Thomas Sieben machen muss, ist die Unselbstständigkeit seiner Neuverfilmung.
Das Spiel der Darsteller wird keine Preise nach sich ziehen, ist allerdings passabel genug, um den Plot auf Kurs zu halten. Vor allem Clemens Schick macht seine Sache als kontrollwütiger, mit stechendem Blick dreinschauender Wortführer ordentlich, obschon man ihm einige repetitive Dialogsätze weniger gewünscht hätte.
Im direkten Vergleich mit dem britischen Pendant, das neben einer engagierten Gemma Arterton die Mimen Martin Compston und Eddie Marsan ins Rennen schickte, fallen die Darbietungen einen Tick weniger eindringlich aus. Zudem wirkt Max von der Groeben vielleicht etwas zu jugendhaft, um rundum glaubhaft als Krimineller mit Knasterfahrung durchzugehen. Dass der Berufsverbrecher Vic ausgerechnet mit diesem Grünschnabel zusammenarbeitet, lässt den Betrachter zumindest kurz ins Grübeln kommen.
Den grössten Vorwurf, den man Thomas Sieben machen muss, ist die Unselbstständigkeit seiner Neuverfilmung. Sieht man von zwei deutlichen Änderungen ab, hält sich sein Skript beinahe sklavisch an Blakesons Drehbuch und übernimmt damit auch einige wenig überzeugende Verrenkungen im Schlussspurt. Für Kenner des Originals bietet das solide inszenierte, mit sparsam-effektiven Klängen unterlegte deutsche Remake folglich keinen besonderen Mehrwert.
3 von 5 ★
«Kidnapping Stella» ist ab Freitag, dem 12. Juli auf Netflix verfügbar.
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