Kritik21. Januar 2022 Cineman Redaktion
Netflix-Kritik «München – Im Angesicht des Krieges»: Alles für den Frieden
Aufwühlende Geschichtsstunde mit fiktiven Elementen: Basierend auf einem internationalen Bestseller von Robert Harris nimmt Christian Schwochow die Entstehung des Münchner Abkommens von 1938 in den Blick.
Serienkritik von Christopher Diekhaus
Aus der Perspektive zweier erdachter Figuren, eines Briten und eines Deutschen, setzt sich die 2017 erschienene Romanvorlage mit der Konferenz in München auseinander, bei der sich im September 1938 die Staatschefs von Deutschland, Grossbritannien, Italien und Frankreich trafen, um den Anspruch über das Sudetenland zu regeln.
Hitler, der das heterogene, nicht zusammenhängende Gebiet in Besitz nehmen wollte, hatte mit dem Einmarsch in die Tschechoslowakei gedroht und so die Angst vor einem neuen Krieg auf europäischem Boden geschürt. Um den Frieden zu sichern, wurde im letzten Moment die Münchner Notfallkonferenz einberufen, auf der die Abtretung der sudetischen Regionen an das Deutsche Reich beschlossen wurde – was eine gewaltsame Konfrontation fürs Erste verhinderte. Ein brüchiger Pakt, denn rund ein Jahr später brach mit Hitlers Überfall auf Polen die Hölle los.
Obwohl diese Ereignisse im Groben bekannt sein dürften, gelingt es sowohl Harris‘ literarischer Rekonstruktion als auch der von Christian Schwochow («Deutschstunde») inszenierten Adaption, eine elektrisierende Atmosphäre zu erzeugen.
Den Mittelpunkt der Handlung besetzen Hugh Legat (George MacKay), der sich im Jahr 1938 als Privatsekretär des britischen Premierministers Neville Chamberlain (Jeremy Irons) in der Machtzentrale wiederfindet, und sein früherer Studienfreund Paul von Hartmann (Jannis Niewöhner), der im deutsche Aussenministerium sitzt. Beide legten 1932 ihren Abschluss an der Eliteuni Oxford ab, wie uns ein kurzer Prolog verrät. Und eine zwischendrin eingeschobene Rückblende enthüllt, dass sie sich nur wenig später wegen ihrer unterschiedlichen politischen Ansichten verkrachten.
Sechs Jahre nach Ende ihres Studiums führt das Schicksal sie allerdings wieder zusammen. Paul, der einst Adolf Hitler (an einen lauernden Greifvogel erinnernd: Ulrich Matthes) und dessen Idee von einer neuen deutschen Stärke leidenschaftlich verteidigte, gehört inzwischen einer Widerstandsgruppe an, die den Führer so schnell wie möglich aus seinem Amt jagen will.
Die Pläne der Abweichler werden durch die Einberufung der Konferenz in München jedoch torpediert. Der junge Diplomat, der Zugriff auf brisante, Hitlers gigantische Eroberungsabsichten offenlegende Dokumente hat, sieht dennoch die Chance, drohendes Unheil abzuwenden und reist in die bayrische Landeshauptstadt, um am Rande des Treffens seinem alten Kumpel Hugh die heiklen Unterlagen zu übergeben.
«München – Im Angesicht des Krieges» entwickelt eine packende Intensität und eine ansprechende Dynamik.
Schon im Anfangsdrittel, das den Weg zu den Verhandlungen der Regierungschefs ebnet, entwickelt «München – Im Angesicht des Krieges» eine packende Intensität und eine ansprechende Dynamik. Ständig springt der mit fiktiven Bausteinen angereicherte Film zwischen London und Berlin hin und her. Die von Frank Lamm geführte Handkamera lässt ein Gefühl permanenter Unruhe entstehen. Und so bekommen selbst Momente des Wartens echte Thriller-Qualität.
Im Mittelteil fällt die Spannung keineswegs ab. Fliegen Hugh und Paul auf? Diese Frage hält das Interesse aufrecht, selbst wenn der Ausgang der Konferenz kein Geheimnis ist. Die gut geschmierte Dramaturgie, der in die historische Ausstattung investierte Aufwand und einige einprägsame Darbietungen – zu nennen ist neben George MacKay und Jannis Niewöhner auch Schauspielveteran Jeremy Irons – trösten darüber hinweg, dass das Drehbuch an manchen Stellen etwas oberflächlich bleibt.
Für Diskussionen sorgte nach der Veröffentlichung des Historiendramas übrigens die wohlmeinende Haltung gegenüber Neville Chamberlain, dessen Beschwichtigungspolitik hier in ein positives Licht gerückt wird. Manche Geschichtsschreiber, vor allem in seiner Heimat, sehen den damaligen Premierminister hingegen deutlich kritischer.
3,5 von 5 ★
«München – Im Angesicht des Krieges» ist ab sofort auf Netflix verfügbar.
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