Kritik12. Februar 2021

Netflix-Kritik «Red Dot»: In der Wildnis lauert der Tod

Netflix-Kritik «Red Dot»: In der Wildnis lauert der Tod
© Netflix

Mit «Red Dot» wirft Netflix den ersten eigenen schwedischen Spielfilm auf den Markt und arbeitet sich darin an sattsam vertrauten Horror- und Spannungsmustern ab. Trotz einer interessanten Abweichung hinterlässt der kompakte, die meiste Zeit in der nordischen Einsamkeit spielende Survivalthriller unter dem Strich einen durchwachsenen Eindruck.

Filmkritik von Christopher Diekhaus

Als Backwoods-Film wird ein Subgenre im Spannungsbereich bezeichnet, in dem die oft arglosen Protagonisten bei einem Ausflug in die Wildnis das Grauen überfällt. John Boormans «Beim Sterben ist jeder der Erste» und Tobe Hoopers Kultstreifen «Blutgericht in Texas» (auch bekannt als «The Texas Chainsaw Massacre») sind frühe Vertreter dieser auf die Gegensätze zwischen Provinz und Zivilisation abzielenden Thriller- und Horrorrichtung, die von degenerierten Hinterwäldlern über monsterartige Kreaturen bis hin zu blutrünstigen Tieren alle möglichen Gefahren kennt. Noch immer werden regelmässig Backwoods-Streifen produziert, von denen die meisten aber altbekannten Pfaden folgen und platte Feindbilder bemühen.

In die Kategorie der durchweg formelhaften Hinterlandreisser fügt sich auf den ersten Blick auch der von Alain Darborg inszenierte Netflix-Film «Red Dot» ein. Nach einem eher unkonventionellen Heiratsantrag, den David (Anastasios Soulis) seiner Freundin Nadja (Nanna Blondell) auf einer öffentlichen Toilette gemacht hat, scheint das Glück perfekt zu sein. Ein Zeitsprung von anderthalb Jahren enthüllt jedoch eine unschöne Entwicklung: Der Ehealltag ist mittlerweile eine Qual. Nadja ärgert sich über die Unzuverlässigkeit ihres Mannes, kommt mit ihrem Medizinstudium nicht voran und zweifelt, als sie erfährt, dass sie ein Kind erwartet, ob David und sie zum Elternsein bestimmt sind.

«Red Dot» bedient in geradezu akribischer Manier die klassischen Zutaten des Backwoods-Subgenres und hebt sich zunächst wenig bis gar nicht von anderen Gattungsvertretern ab.– Cineman-Filmkritiker Christopher Diekhaus

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Mit einem romantischen Wanderausflug in den hohen Norden Schwedens möchte ihr Gatte daraufhin die Beziehungsrisse kitten. Obwohl sie gerade jetzt von Übelkeitsattacken geplagt wird, willigt Nadja ein, behält ihre Babyerkenntnis aber erst einmal für sich. In der Pampa angekommen, hat das junge Paar an einer Tankstelle eine unangenehme Begegnung mit zwei Jägern (Tomas Bergström, Kalled Mustonen), deren Wagen David bei der Abfahrt leicht touchiert, ohne anzuhalten.

Nach einer Übernachtung in einem Gasthof entdecken sie am nächsten Morgen Kratzspuren und eine rassistische, gegen Nadja gerichtete Parole an ihrem Auto. Wutentbrannt lässt sich die Beleidigte daraufhin am Fahrzeug der beiden Einheimischen vom Vortag aus, die sich offenbar gerächt haben. Anschliessend nehmen Nadja und David ihren geplanten Marsch in Angriff und campieren einige Zeit später unter dem magischen Leuchten des Nordlichts. Als in der Dunkelheit irgendwann der rote Ziellaser eines Gewehrs auftaucht, ist es mit der schönen Zweisamkeit schlagartig vorbei. Was folgt, ist eine Hetzjagd durch eine atmosphärisch eingefangene eisig-raue Berg- und Waldlandschaft.

Regisseur Darborg und Drehbuchpartner Per Dickson hangeln sich an dramaturgischen Standardsituationen und Klischees entlang, bauen aber auch kleine Irritationen in ihre Handlung ein.– Cineman-Filmkritiker Christopher Diekhaus

«Red Dot» bedient in geradezu akribischer Manier die klassischen Zutaten des Backwoods-Subgenres und hebt sich zunächst wenig bis gar nicht von anderen Gattungsvertretern ab. Schon an der Tankstelle legt das Jägergespann eine feindselige Haltung an den Tag. Auch der plauderfreudige Gastwirt (Johannes Bah Kuhnke) wirkt reichlich seltsam. Mitten im Nirgendwo werden die Protagonisten plötzlich zu Freiwild. Und natürlich muss als Erster ihr Hund sein Leben lassen.

Regisseur Darborg und Drehbuchpartner Per Dickson hangeln sich an dramaturgischen Standardsituationen und Klischees entlang, bauen aber auch kleine Irritationen in ihre Handlung ein. Ins Auge sticht vor allem, dass Nadia und David ihre Verfolger, die man lange Zeit nicht richtig zu Gesicht bekommt, als «Inzuchtbrüder» titulieren. Diese Diffamierung ist aus der Luft gegriffen, zeugt von zweifelhaftem Vorurteilsdenken und spielt ganz bewusst auf das in vielen Fällen klare Gut-Böse-Schema im Backwoods-Film an.

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Durch eine Offenbarung in der zweiten Hälfte werden die Rollen in «Red Dot» neu verteilt. Der Dreh an sich, den eine Auslassung zu Anfang verschleiert, ist spannend. Die Art und Weise, wie er in die Geschichte eingebaut wird, fühlt sich jedoch brachial und plump an. Dass der Plot im Rückblick wie am Reissbrett entworfen daherkommt, lässt sich noch verkraften. In der Figurenpsychologie tun sich mit Kenntnis um den Twist aber eklatante Lücken und Widersprüche auf. Der grosse Schmerz und die unbändige Wut, die in der Erzählung stecken, werden im erklärenden Nachschub gegen Ende leider grösstenteils zerrieben.

3 von 5 ★

«Red Dot» ist ab sofort auf Netflix verfügbar.

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