Kritik20. März 2020 Irina Blum
Serientipp: «Feel Good» auf Netflix feiert das bittersüsse Leben
In «Feel Good», einer Produktion von Netflix und Channel 4, hält der Titel nur bedingt, was er verspricht. Denn statt oberflächliches Wohlfühlkino zu bieten, handelt die autobiografisch angehauchte Dramedy-Serie aus der Feder der kanadischen Comedienne Mae Martin Themen wie Sucht oder sexuelle Identität ab.
«Feel Good» beginnt mit einem klassischen "Boy meets Girl"-Moment – beziehungsweise "Girl meets Girl"-Moment: Bei einem Gig in ihrem Stammclub lernt die kanadische Comedienne und Wahlengländerin Mae Martin (gespielt von Mae Martin) unverhofft die charmante George (Charlotte Ritchie) kennen. Dann geht alles Schlag auf Schlag: Ein gemeinsamer Drink entpuppt sich als erstes Date, dieses wiederum endet in einer gemeinsamen Nacht, und drei Monate später zieht Mae bei George und ihrem Mitbewohner Phil (Phil Burgers) ein.
In Schieflage gerät das junge Liebesglück erst, als George bei einem Skype-Call mit Maes Eltern von deren ehemaligen Drogensucht erfährt. Und Maes Vergangenheit ist nicht die einzige Sache, die bei George Zweifel sät: Die junge Lehrerin, die bisher nur Männer gedatet hat, verheimlicht ihrem Umfeld die Beziehung zu Mae – auch, weil sie bezüglich ihrer sexuellen Identität verunsichert ist. Eine Tatsache, die Mae wiederum verunsichert – und sie immer mehr in die Arme alter Gewohnheiten treibt...
Hinter der sechsteiligen Serie, die als Koproduktion zwischen dem britischen Sender Channel 4 und Netflix entstanden ist, steht die kanadische Comedienne und Schauspielerin Mae Martin: Sie leiht nicht nur der gleichnamigen Hauptfigur ihr Gesicht, sondern hat auch das Drehbuch zur Serie mitgeschrieben. In den sechs kurzweiligen Episoden ist dabei auch klar ihre persönliche Handschrift zu sehen. So ist «Feel Good» nicht nur gespickt mit witzigen Momenten, sondern geht auch auf ernsthafte Themen ein wie den Umgang mit einer (Drogen-)Sucht, der Definition der sexuellen Identität oder aber dem Auf und Ab von junger Liebe.
Die Inspiration zur Serie stammt auch aus Mae Martins eigenem Leben: Die 32-Jährige Kanadierin, die Männer und Frauen datet ohne sich als bisexuell oder lesbisch zu bezeichnen, lebt seit 2011 in England und hatte in der Vergangenheit mehrmals mit Drogenproblemen zu kämpfen. Wohl mitunter ein Grund, weshalb die Serie äusserst lebensnah daherkommt: Selten waren Szenen in einer Selbsthilfegruppe für Abhängige – im Fall von «Feel Good» die Narcotics Anonymous – wohl so realistisch wie hier.
Der schwierige Balanceakt zwischen tragischen Komponenten und Comedy gelingt der Serie dabei äusserst gut – ein Umstand, zu dem auch der äusserst passend besetzte Cast beiträgt: Mae Martin spielt prägnant zurückhaltend, besonders schön sind einige Szenen mit ihrer prominenten Serienmutter Lisa Kudrow («Friends»). Als absolute Entdeckung entpuppt sich Charlotte Ritchie («Call the Midwife»), die mit viel Feingefühl und Präsenz bei der Sache ist.
Dass einige – hauptsächlich männliche – Nebenfiguren etwas allzu klischiert geraten sind und der Humor nach den ersten drei Folgen zugunsten der ernsthaften Thematik ein wenig an Drive verliert, kann man der Serie leicht verzeihen. Denn mit der Herangehensweise, trotz Sitcom-Charakter nah am Leben zu sein, entwickelt sich über die sechs kurzen Episoden erstaunlich viel emotionale Tiefe: Dass keine der Figuren vor Fehlern gefeit ist, lässt sie einen nach etwas mehr als 150 Minuten schon merkwürdig vertraut vorkommen – was für eine potentielle zweite Staffel eine perfekte Ausgangslage ist.
4 von 5 ★
Die 6 rund 25-minütigen Folgen von «Feel Good» sind seit dem 19. März auf Netflix verfügbar.
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