Artikel13. Juli 2024 Maria Engler
Sex, Drugs & Trauma: 10 sehenswerte Animationsfilme für Erwachsene
Nur weil ein Film animiert ist, ist er nicht zwingend etwas für die lieben Kleinen. Zum Start der Animationsserie «Sausage Party: Foodtopia» empfehlen wir 10 Animationsfilme, die trotz mitreissender und farbenfroher Animationen erwachsene Themen behandeln.
1. «Flee» (2021)
Darum geht’s: Seit 25 Jahren lebt der 36-jährige Amin in Dänemark, doch aus Angst, abgeschoben zu werden, hat er nie über sein wahres Leben gesprochen, sondern sich eine falsche Identität aufgebaut. Wie in einer Therapiesitzung öffnet er sich nun dem Filmemacher Tobias, den er einst als Jugendlicher in einem Zug kennengelernt hat, und erzählt die wahre Version seiner Flucht. Einblick bietet er dabei nicht nur in seine traumatischen Fluchterfahrungen, sondern auch in seine jahrelange Unterdrückung der in Afghanistan verpönten Homosexualität.
Sehenswert, weil: Mit einfachen, handgezeichneten Bildern schildert Jonas Poher Rasmussen das Leben des jungen Amin im Afghanistan der frühen 1980er-Jahren. Gleichzeitig bettet er mit Archivmaterial die persönliche Geschichte in den gesellschaftlichen und politischen Hintergrund ein. Ganz auf Amin konzentriert und konsequent aus seiner Perspektive erzählt, gelingt Rasmussen so ein vielschichtiger und durch die persönliche Erzählung Amins bewegender Animationsfilm, der eine starke Innensicht eines Geflüchteten mit seinen vielfältigen psychischen Belastungen vermittelt.
2. «Jin-Roh - The Wolf Brigade» (1998)
Darum geht’s: Die 1950er in einem fiktiven Japan, das nach dem Sieg Deutschlands im Zweiten Weltkrieg, von den Deutschen beherrscht wird. Die Elitesoldaten der CAPO sehen sich als Wölfe, die ihre Gegner gnadenlos jagen und erlegen. Schwäche wird nicht geduldet und entsprechend in Ungnade fällt der Soldat Fuse, nachdem er in einem Schlüsselmoment gezögert hat. Unter der gepanzerten Uniform rebelliert Fuse. Gewinnt der Mensch, gewinnt das Tier oder ist am Ende alles nur perfekt geplante Spionage und Gegenspionage?
Sehenswert, weil: Wie schon in seinem Kultfilm «Ghost in the Shell» verwebt Drehbuchautor Mamoru Oshii den roten Faden zu einem undurchsichtiges Netz, das die obskuren Machtverhältnisse im Film widerspiegelt. Gleichzeitig spannt Oshii das Grimmsche Märchen von Rotkäppchen über die Handlung und macht es am Wolf Fuse und dessen Feindbild fest. Damit ist ihm ein perfekter Wurf gelungen, denn das Märchen einerseits und die Filmhandlung auf der anderen Seite ermöglichen es Regisseur Hiroyuki Okiura und Animateur Kenji Kamiyama raffiniert zwischen zwei Bildwelten zu wechseln und dabei alle Register der japanischen Animationskunst zu ziehen. Das Resultat ist spektakulär.
3. «Mary und Max» (2009)
Darum geht’s: Die achtjährige Mary lebt mit ihren Eltern in einem Vorort von Melbourne. Ihre Eltern vernachlässigen sie, ihre Schulkamerad:innen hänseln sie. Durch einen Zufall kommt das Mädchen zu einem Brieffreund, der in New York lebt. Er ist übergewichtig und hat das Asperger-Syndrom. Das erschwert es ihm soziale Bindungen einzugehen. Doch das ändert sich mit Marys Brief; die beiden Aussenseiter:innen finden zueinander.
Sehenswert, weil: Der australische Regisseur Adam Elliot greift in «Mary und Max» das Thema der gesellschaftlichen Aussenseiter:innen auf. Er tut dies in einer erfrischenden Art und Weise; manchmal bitterböse, dann tragikomisch und stellenweise auch herzzerreissend melodramatisch. Er zeigt seine Figuren nicht ausschliesslich als Opfer ihrer Umstände, sondern auch als ganz normale Menschen mit ihren Fehlern und Schwächen. Auch technisch ist der Film ein kleines Meisterwerk.
4. «Heavy Metal» (1981)
Darum geht’s: Ein Astronaut kehrt von einer Reise im Weltall zurück und zeigt seiner Tochter sein Mitbringsel: eine grüne Kugel, auch «Loc-Nar» genannt – die Summe alles Bösen. In mehreren Episoden erzählt der Film von den Schandtaten dieser Macht des Bösen in der gesamten Galaxis.
Sehenswert, weil: «Heavy Metal» basiert auf dem gleichnamigen amerikanischen Magazin und übersetzt die Comics und Illustrationen in einen psychedelischen Film voller Gewalt und Sex. Auch wenn die sexistischen Motive des Films aus der Zeit gefallen sind, lohnt sich der Film für die Rotoskopie-Animationen und den Soundtrack, zu dem Bands wie «Black Sabbath», «Blue Öyster Cult», «Cheap Trick», «DEVO» oder «Nazareth» Songs beisteuerten.
5. «Die Sirene» (2023)
Darum geht’s: Die Gründe für den Ersten Golfkrieg in den 1980er-Jahren waren vielfältig. Das Öl, die Vorherrschaft am Persischen Golf und ein historischer Grenzkonflikt führten zu einem achtjährigen Krieg mit hohen Verlusten und ohne Gewinner:innen. Diese Zeit erlebt der 14-jährige Omid mit. Der Junge fährt in der belagerten Stadt Mahlzeiten aus, während das Bombardement zunimmt. Irgendwann muss Omid einsehen, dass Abadan nicht zu retten ist. Von da an plant er, ein altes Schiff im Hafen als biblische Arche umzubauen und mit seinen Freund:innen an Bord den Iran in Richtung Freiheit zu verlassen.
Sehenswert, weil: «Die Sirene» ist der erste Animationsfilm der iranischen Dokumentar- und Spielfilmregisseurin Sepideh Farsi. Mit seinen erdigen Farbtönen ist die europäische Co-Produktion in klaren Strichen gezeichnet und doch reich an Details. Inmitten des Kriegs wirken diese – wie ein grüner Garten vor Rauchwolken und Explosionen – geradezu poetisch. «Die Sirene» erzählt vom ungebrochenen Drang nach Freiheit in Zeiten der Unterdrückung und ist dabei erschreckend aktuell.
6. «Paprika» (2006)
Darum geht’s: Drei Wissenschaftlern der Foundation for Psychiatric Research kommt ihre wichtigste Erfindung abhanden, der D.C. Mini, mit denen Menschen ihre Träume aufzeichnen und anschauen können. Der Dieb nutzt die Maschine, um seine Opfer mit Träumen abzulenken und in ihren Verstand einzudringen. Die Polizistin Paprika will den Verbrecher zur Strecke bringen, doch Realität und Traum vermischen sich immer mehr.
Sehenswert, weil: Der Regisseur Satoshi Kon schuf einzigartige Filme, die immer wieder die Grenzen sprengten – der wohl innovativste von ihnen ist «Paprika». Obwohl der Film stilistisch klar den Regeln des Anime folgt, zeigt er auf, dass in der Welt der Animation keine Gesetze gelten – alles ist erlaubt. Sprünge zwischen Zeit und Raum, zwischen Körpern und Welten werden möglich und auch Träume können Teil der Realität werden. Ein Meisterwerk.
7. «Die Odyssee» (2021)
Darum geht’s: Die Geschwister Kyona und Adriel wachsen in einem kleinen Dorf auf, doch die Gewalt nimmt stetig zu, bis es zu einem Brand kommt und die Familie fliehen muss. Die beiden Geschwister werden vom Rest der Familie getrennt und schlagen sich auf einer wendungsreichen Reise durch – mit dem Ziel, das ihnen ihr Vater genannt hat. Kyona hält ihre Erinnerungen in einem Notizbuch voller Zeichnungen fest.
Sehenswert, weil: Die Geschichte wird in Rückblenden von einer älteren Kyona erzählt, die auf ihr Leben zurückblickt. Die Handlung orientiert sich an den Skizzen und Bildern in ihrem Buch und ist damit sehr persönlich und berührend. Die Künstlerin Florence Miailhe hat die Bilder für ihren Film mit Ölfarben auf eine Glasplatte gemalt – mit dieser eigentümlichen Ästhetik ist es der erste Film seiner Art.
8. «Sausage Party» (2016)
Darum geht’s: In einem Supermarkt freuen sich die Nahrungsmittel darauf, von den Göttern, den Menschen, mitgenommen und ins Grosse Jenseits gebracht zu werden. Doch das Schicksal der aus dem Laden geschleppten Ware ist gar schrecklich. Zerstampft, zertrennt, gematscht, geschnitten, gehäutet, gefressen – all das und noch mehr blüht dem Gemüse und den Wurstwaren. Das Würstchen Frank findet das schon im Supermarkt heraus, aber es fällt ihm schwer, seine Kameraden von der Wahrheit zu überzeugen.
Sehenswert, weil: Subversiv – das ist «Sausage Party» durch und durch. Nicht nur, weil der Film aussieht, als würde er beste Kinderunterhaltung bieten, sondern auch, weil er in Sachen Gewalt und Sex mehr zu bieten hat als die meisten Live-Action-Formate. Der Humor des Films ist natürlich extrem krude. Unter der Gürtellinie, aber so jenseits des Normalen und Konventionellen, dass man fast Freudensprünge machen möchte. Einen derart abgedrehten, originellen, völlig irren Film hat man selten gesehen.
9. «Anomalisa» (2015)
Darum geht’s: Michael Stone ist ein Mann, der auf Kundenservice spezialisiert, aber völlig unfähig ist, mit anderen Menschen auf einer tiefgehenden Ebene zu interagieren. Bar jedes Interesses ist er ein Mann, der sein repetitives Leben vorantreibt, immer aus der eigenen Perspektive handelnd, nie erkennend, was er sich selbst damit antut. Aber als er auf eine Geschäftsreise geht, lernt er einen Fremden kennen, wie er aussergewöhnlicher nicht sein könnte. Nur durch ihn kann er seine negative Sicht auf das Leben ändern und – vielleicht – es auch in andere Bahnen lenken.
Sehenswert, weil: Charlie Kaufmans Filme sind von jeher nichts für die grosse Masse. Sein sehr eigener, aber auch wahrhaftiger Blick auf die Welt, ist auch bei «Anomalisa» zu finden. Der Look ist eigen und ungewöhnlich, speziell für einen Film dieses Genres. Aber damit nicht genug, surrealer wird das Ganze noch dadurch, dass mit Ausnahme der beiden Hauptfiguren alle Charaktere dieselben Gesichter und Stimmen haben. Unkonventionell!
10. «Die rote Schildkröte» (2016)
Darum geht’s: Ein Mann, der in einen Sturm gerät, erwacht auf einer unbewohnten, wilden Insel. Entschlossen, die Insel zu verlassen, baut er ein behelfsmässiges Boot und sticht in See. Doch eine mysteriöse Kraft zerstört sein Floss, obwohl er es immer wieder versucht. Schliesslich steht er Auge in Auge mit einer seltsamen roten Riesenschildkröte, die ihm nichts Böses will, ihn aber daran hindert, die Insel zu verlassen...
Sehenswert, weil: «Die rote Schildkröte» ist eine Zusammenarbeit zwischen Ghibli, dem berühmten japanischen Studio von Hayao Miyazaki, dem niederländischen Regisseur Michael Dudok de Wit, der 2000 einen Oscar für den besten animierten Kurzfilm gewann, und der französischen Produktionsfirma Wild Bunch. Dieser fast stumme Film ist eine Umweltfabel, die eine schlichte und bezaubernde Poesie entwickelt.
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