Kritik22. Januar 2021 Cineman Redaktion
Sky Show-Kritik «Mr. Mercedes»: Der Killer von Nebenan
Die TV-Adaption eines Stephen King Bestsellers überzeugt mit seiner Starbesetzung und ist ein Krimi, der uns mit den Auswüchsen der Wut eines frustrierten, jungen Mannes konfrontiert. Eine Geschichte von zeitloser Aktualität.
Filmkritik von Gaby Tscharner
Polizei-Detektiv Bill Hodges (Brendan Gleeson) wird auch nach seiner Pension noch von einem seiner schrecklichsten Fälle verfolgt. Der ungelöste Fall ist ein Massaker an einer Messe, wo arbeitslose Menschen stundenlang in einer Schlange standen, um sich für offene Stellen zu bewerben. Der Killer (Harry Treadaway) fährt mit einem gestohlenen Mercedes in diese Menschenmenge und tötet 16 Leute. Hodges macht sich mit Hilfe des computererfahrenen Teenagers Jerome (Jharrel Jerome) und Janey Patterson (Mary-Louise Parker), der Schwester der ursprünglichen Besitzerin des Autos, auf die Jagd nach Mr. Mercedes.
«Mr. Mercedes» ist keine von Stephen Kings übernatürlichen Geschichten, es ist eine Charakterstudie, eingebettet in einen traditionellen Katz-und-Maus-Krimi.
Stephan Kings Romane gehören zu den beliebtesten literarischen Vorlagen für Kino und Fernsehen. Von der neuesten Verfilmung von «The Stand» mit Whoopie Goldberg, zum Filmklassiker «ES», dessen Clown Pennywise Generationen von Kino-Zuschauern Albträume verursacht hat, reissen sich Top-Filmemacher wie Stephen Spielberg oder J.J. Abrams um Kings Quellenmaterial. «Mr. Mercedes» fand seinen in David E. Kelley (Ally McBeal), der in letzter Zeit mit Adaptionen der Geschichten anderer Leute erfolgreicher ist als mit seinen eigenen.
Alle Folgen der ersten Staffel von «Mr. Mercedes» sind vollgepackt mit erstklassigen Schauspielern.
«Mr. Mercedes» ist keine von Stephen Kings übernatürlichen Geschichten, es ist eine Charakterstudie, eingebettet in einen traditionellen Katz-und-Maus-Krimi. Die Geschichte handelt von Brady Hartsfield, einem psychopatischen Killer, und dem abtrünnigen Cop, der ihn fangen will. Wir kennen den Täter von Anfang an. Er ist der Junge von Nebenan. Der ruhige Nachbar, der nie auffällt, in seinem Keller aber die unvorstellbarsten Horrortaten plant. Er ist ein frustrierter Millennial, der mit seiner alkoholabhängigen und inzestuösen Mutter (Kelly Lynch) lebt und in einem trostlosen Job in einem vom Aussterben bedrohten Elektromarkt dahinvegetiert, wo er sowohl von Kunden als auch seinem Boss (Robert Stanton) ständig zusammengestaucht wird.
Treadaway (Viktor Frankenstein in «Penny Dreadful») stellt den traditionellen Bösewicht als vielschichtiges Wesen dar, der nicht nur ein Monster, sondern auch ein besorgter Sohn, guter Freund und Opfer von Missbrauch ist und wir ertappen uns dabei, Mitleid, oder gar Verständnis für den Killer aufzubringen. Aber nur solange, bis er sich wieder in seinem Keller verschanzt, wo er mit Hilfe der Anonymität seines Computers anfängt, Hodges mit bösartigen E-Mails zu manipulieren und wir um die Sicherheit des alten Mannes und den Menschen und Tieren in seinem Leben (sein bester Freund ist die Riesenschildkröte in seinem Garten) besorgt sind.
Alle Folgen der ersten Staffel von «Mr. Mercedes» sind vollgepackt mit erstklassigen Schauspielern, angeführt vom Iren Brendan Gleeson, dessen Wandelbarkeit es ihm letztes Jahr sogar ermöglicht hat, in «The Comedy Rule» den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump darzustellen. Die TV-Serie stellt ihm mit der forschen Nachbarin Ida (Holland Taylor), eine Figur an seine Seite, die in Stephen Kings Buch aber nicht vorkommt. Da es sowohl im Roman als auch in der Serie ebenfalls zwischen Hodges und der viel jüngeren Janey knistert, wirkt das Liebesdreieck unglaubwürdig und die Geschichte wird durch die romantischen Eskapaden des ständig schlecht-gelaunten, struppigen Detektiven auf Abwege gebracht.
«Mr. Mercedes» spielt im Jahre 2009, zu Beginn von Barack Obamas Präsidentschaft und nach dem Wirtschaftscrash, der enorme Arbeitslosigkeit verursachte. Obwohl sich Attentate, bei denen Fahrzeuge als Tatwaffen benutzt werden, überall auf der Welt ereignen, scheint das Phänomen des wütenden, weissen Mannes, der fürchtet, in einem #BlackLivesMatter- und #MeToo-Amerika sein Privileg zu verlieren, in erster Linie in den USA zu existieren. Aktuelles Beispiel: Der Sturm des US-Kapitols, der von Mitgliedern radikaler Organisationen wie «QAnon» oder den «Proud Boys» organisiert und vorwiegend von wütenden, weissen Männern durchgeführt wurde. In diesem Post-Trump-Amerika scheint «Mr. Mercedes» nichts an Aktualität verloren zu haben.
4 von 5 ★
«Mr.Mercedes» ist ab sofort auf Sky Show zu sehen.
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