Kritik29. April 2021

Filmkritik «The Dissident»: Menschenrechte oder Leben

Filmkritik «The Dissident»: Menschenrechte oder Leben
© DCM Film Distribution

Der Dokumentarfilm des Regisseurs und Oscar-Gewinners Bryan Fogel beschäftigt sich mit dem Mord am Washington-Post Journalisten Jamal Khashoggi, der 2018 in der saudi-arabischen Botschaft in Istanbul umgebracht wurde. Interviews mit Khashoggis Verlobten, der türkischen Polizei und anderen Regimekritikern zeigen eine Blutspur auf, die bis zum Saudi-Kronprinz Mohammed bin Salman führt.

Filmkritik von Gaby Tscharner

2017 wurde in Nordkorea Kim Jong-uns Halbbruder mit Nervengift umgebracht, der russische Oppositionsführer Boris Nemzow wurde 2015 auf einer Brücke erschossen. In vielen Teilen dieser Welt ist es lebensgefährlich, Regimekritiker zu sein. Einer der dreistesten politischen Morde der jüngsten Vergangenheit ist allerdings der an Jamal Khashoggi, der vor zwei Jahren die saudi-arabische Botschaft in Istanbul besuchte, um Papiere für seine bevorstehende Hochzeit abzuholen, stattdessen aber gefoltert und ermordet wurde, während seine Verlobte, Hatice Cengiz, vor der Botschaft auf ihn wartete.

© DCM Film Distribution

«The Dissident» ist eine Dokumentation über den Mord an einem Journalisten, der während Jahren ein Sprachrohr für die saudi-arabische Königsfamilie war, der nach dem arabischen Frühling aber zum Kritiker des totalitären Saudi-Regimes wurde, was ihn zu dessen Zielscheibe machte.

Regisseur Bryan Fogel, der seinen Film als Doku-Thriller bezeichnet, erzählt Khashoggis Geschichte vorwiegend mit Hilfe von Augenzeugen wie seiner Braut Cengiz. Wir fühlen mit ihr, als sie in einer Nachstellung der Ereignisse verzweifelt vor den Botschaftstoren hin und her tigert. Wir begleiten sie, als sie zum ersten Mal in die gemeinsame Wohnung zurückkehrt, wo viele von Khashoggis persönlichen Dingen konfisziert wurden und wir sehen sie, wie sie vor einer UNO-Delegation über das Verbrechen gegen ihren Verlobten aussagt.

Der fast zweistündige Film führt uns gekonnt emotional an diese Geschichte heran, die auch mit politischen Unruhen, machthungrigen Royals und Cyber-Hacking gespickt ist. Es ist nicht verwunderlich, dass Fogel für seinen letzten Dok-Film «Ikarus» über die Dopingpraktiken in Russland einen Oscar gewonnen hat.

© DCM Film Distribution

Mitglieder der türkischen Strafvollzugsbehörden, die den Fall akribisch verfolgt und ihn aufzuklären versucht haben, schildern ihre Sicht der Dinge und wir hören von Khashoggis Freund Omar Abdulaziz, ein im kanadischen Exil lebender saudi-arabischer Regimegegner und Video-Blogger, dessen eigene Recherche von Khashoggis Tod einen grossen Teil des Films ausmacht. Abdulaziz startete eine von Khashoggi finanzierte Social-Media-Kampagne gegen die Twitter-Troll-Armee des Saudi-Prinzen, die kontrolliert, welche Hashtags auf Twitter im Trend sind. Zensur pur also und eine enorme Waffe, denn in Saudi-Arabien, einem Land ohne Rede- und Pressefreiheit, haben 80% der Bürger ein Twitter-Konto, durch das sie ihre Nachrichten beziehen.

Khashoggi ist der Held dieses Films.– Cineman-Filmkritikerin Gaby Tscharner

«The Dissident» ist keine ausgewogene Dokumentation, sie bezieht Stellung. Fogels Version dieser Geschichte ist schwarz und weiss. Khashoggi ist der Held dieses Films, seine Jahre als Sprachrohr der Königsfamilie oder seine Beziehung zu Osama bin Laden, den er als Kriegsberichterstatter kennengelernt hat, werden nicht hinterfragt. Der Film ist ein Testament an Khashoggis Tapferkeit in einer Welt, wo das Verkünden der Wahrheit einen Preis hat. Er zeigt aber auch auf, wie verstrickt der ehemalige US-Präsident Donald Trump in dubiose Geschäfte mit Saudi-Arabien war. Trumps erste Auslandreise im Amt führte nach Saudi-Arabien, um Mohammed bin Salman amerikanische Waffen zu verkaufen. Und sogar als der US-Geheimdienst zum Schluss kam, dass MBS den Mord an Khashoggi angeordnet hatte, wankte Trumps Loyalität für den Kronprinzen und die gemeinsamen Waffengeschäfte nicht.

Im September letzten Jahres hat Saudi Arabien nun acht Männer für den Mord an Jamal Khashoggi verurteilt. Ein Akt, der von der UNO-Sonderberichterstatterin Agnès Callamard, eine von Fogels Informationsquellen, als «Parodie des Schicksals» bezeichnet wird, denn der wahre Killer sitzt noch immer in seinem Palast. «The Dissident» ist die Geschichte eines sanftmütigen Kämpfers für Menschenrechte und journalistische Integrität, der für seine Überzeugung mit dem Leben bezahlte.

4 von 5 ★

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