Interview30. Januar 2019

Viggo Mortensen zu «Green Book»: "Das gibt es heutzutage nur noch selten im Kino"

Viggo Mortensen zu «Green Book»: "Das gibt es heutzutage nur noch selten im Kino"
© Ascot Elite

Viggo Mortensen, dessen Paraderolle wohl immer die des Aragorn in «Herr der Ringe» sein wird, wurde für seine Interpretation des strassenerprobten Italo-Amerikaners in «Green Book - Eine besondere Freundschaft» soeben zum dritten Mal für einen Oscar nominiert. Dass der 60-Jährige wahrscheinlich auch davon nicht aus der Ruhe zu bringen ist, beweist er als Interviewpartner: Mit selbstgebrautem Tee, viel Geduld und noch mehr Bescheidenheit stand er uns Rede und Antwort.

Zum Film

In der auf wahren Begebenheiten basierenden Komödie spielt Viggo Mortensen einen strassenerprobten Italo-Amerikaner, der sich in den 60er-Jahren als Türsteher in New York durchschlägt – notfalls auch mit Gewalt. Eines Tages bekommt er das Angebot, den Jazz-Pianisten Dr. Don Shirley (Mahershala Ali) als Chauffeur auf Tour durch die Südstaaten zu begleiten.

Dabei prallen zwei Welten aufeinander: Zum einen der gebildete, wortgewandte Don Shirley, der als Dunkelhäutiger ständig diskriminiert wird, zum anderen der gewiefte aber unbewanderte Türsteher aus der Bronx, der selbst voller Vorurteile ist – doch zur Überraschung aller entsteht aus dem Roadtrip eine ungewöhnliche Freundschaft.

Green Book ist auf der einen Seite ein Feel-Good-Movie, regt andererseits mit seinen Themen über Identitätsbildung, Rassismus und Freundschaft aber auch zum Nachdenken an. Wie schafft er das?

Viggo Mortensen: Es ist schwierig, das zu erreichen. Wenn man den Film geschaut hat, blickt man zurück und denkt „das hat Spass gemacht“. Das sieht zwar einfach aus – ich glaube, Peter Farrelly [Der Regisseur, Anm. d. Red.] hat es mit seinem Film geschafft, einen Film zu machen, der sich echt anfühlt. Von der Optik der 60er-Jahre, den Leuten, wie sie sich verhalten – das fühlt sich alles authentisch an. Du lachst, bist emotional, und wenn die Geschichte zu Ende ist, willst du bei diesen Figuren bleiben. Das gibt es heutzutage nur noch selten im Kino. Gleichzeitig auch tiefgründig zu sein und nachdenklich zu stimmen über die Zeit, in der wir leben – insbesondere, weil der Film 1962 spielt.

Ich mag Geschichten mit Kontrasten.– Viggo Mortensen

An der Vergangenheit gibt es nichts zu rütteln. Wir haben heute ähnliche Hindernisse und Probleme – wenn du einen Film aber im Hier und Jetzt spielen lässt, gibt es immer eine Diskussion über die Richtigkeit der Vorkommnisse. Manchmal ist es gut, einen anderen Blickwinkel einzunehmen – viele Probleme von damals sind nämlich immer noch da, es gibt immer noch viel zu tun. Nicht nur in den USA, auch in anderen Ländern – wie man über Immigranten oder unterschiedliche Religionen denkt, zum Beispiel.

Abschied von seiner italienischstämmigen Familie: Viggo Mortensen musste sich für den Film einen kalabrischen Akzent zulegen.
Abschied von seiner italienischstämmigen Familie: Viggo Mortensen musste sich für den Film einen kalabrischen Akzent zulegen. © Ascot Elite

Besteht nicht die Gefahr, dass die Thematik damit verharmlost wird, man zum Beispiel denkt, dass es nur damals so war?

Viggo Mortensen: Ich glaube, wenn die Leute während dem Schauen ehrlich zu sich sind, dann merken sie, dass immer noch viele Vorurteile in unseren Köpfen herumgeistern. Vorurteile gegenüber Rassen, Religionen, Gender, Kulturen – das ist immer noch ein Thema. Das ist vielleicht nicht so offenkundig in vielen Fällen – manchmal ist es das aber.

Wenn du eine Person nicht magst, realisierst du – sobald du ein wenig Zeit mit ihr verbringst – dass du zwar viele unterschiedliche Meinungen über Dinge haben magst, aber auch dieselben Bedürfnisse: Wir wollen alle respektiert, gehört und geschätzt werden.

Waren sich Leute wie Tony Lip in den 60er-Jahren der Problematik bewusst, dass vor allem im Süden noch immer Rassentrennung vorherrschte?

Viggo Mortensen: Tony Lip hat das Green Book [Ein Reiseführer für die dunkelhäutige Bevölkerung, Anm. d. Redaktion] nicht gekannt, bevor die Geschichte losgeht. Er ist in der Bronx aufgewachsen, verliess die Schule wahrscheinlich nach der 8. Klasse. Verglichen mit Dr. Shirley hat er keinen grossen Wortschatz, er ist nicht wirklich wortgewandt, weil er hauptsächlich italienisch sprach, einen Slang aus Kalabrien wie sein Vater. Er ist nicht viel gereist, er weiss eigentlich nicht viel über sein Land. Er weiss ironischerweise aber – wie auch im Film zu sehen – viel über das alltägliche Leben der schwarzen Bevölkerung, durch seine Arbeit im Nachtclub und weil er in der Bronx lebt.

Eloquenz trifft auf Strassenslang: Don Shirley und Tony Lip waren sich wortwörtlich nicht immer einig.
Eloquenz trifft auf Strassenslang: Don Shirley und Tony Lip waren sich wortwörtlich nicht immer einig. © Ascot Elite

Viggo Mortensen: In einem gewissen Sinn ist er dieser Problematik deshalb mehr ausgesetzt als Dr. Shirley. Er hat aber nicht wirklich viel gewusst – er hat nicht einmal realisiert, wie vorurteilsbehaftet seine Denkweise ist. Zu dieser Zeit war es aber ganz gewöhnlich, gewisse Begriffe zu verwenden. Er merkt nicht, dass seine Annahme darüber, was Schwarze essen, welche Musik sie hören, wie sie reden, verletzend sein kann. Tony Lip und Don Shirley waren zu Beginn sehr unterschiedlich: Für Shirley war Tony ein vorurteilsbeladener Ignorant, von dem er nichts würde lernen können.

Mahershala Ali ist so nett als Person, wie er talentiert ist als Schauspieler.– Viggo Mortensen

Ein schöner Aspekt an der Geschichte ist, dass sie beide voneinander lernen. Tony empfindet Don Shirley als reservierten, kühlen Menschen und lernt mit der Zeit, dass dieser gute Gründe dafür hat. Das findet er aber nur heraus, weil er Zeit mit ihm verbringt. Beide denken wohl zu Beginn, dass es eine lange Reise werden würde. Ich mag Geschichten, die solche Kontraste thematisieren – und den Prozess, Gemeinsamkeiten an sich zu entdecken.

Haben eine gute Chemie: Mahershala Ali (links) und Viggo Mortensen in «Green Book - Eine besondere Freundschaft».
Haben eine gute Chemie: Mahershala Ali (links) und Viggo Mortensen in «Green Book - Eine besondere Freundschaft». © Ascot Elite

Mahershala Ali spielt im Film Ihren Gegenspieler, Dr. Shirley, mit dem Sie eine wirklich gute Chemie haben. Wie war die Zusammenarbeit mit ihm?

Viggo Mortensen: Wir haben uns ein etwa Jahr, bevor wir mit den Dreharbeiten begonnen haben, per Zufall kennen gelernt. Ich habe seine Arbeit bewundert, wir waren damals beide bei gewissen Preisverleihungen nominiert. Darum sind wir uns bei Events immer wieder über den Weg gelaufen, und eines Abends sind wir zusammen in einer Ecke gelandet und haben etwa eine halbe Stunde – für diese Art von Event also lange – miteinander geredet, über die Familie und das Leben. Er ist ein cooler Typ – er ist so nett als Person wie er talentiert ist als Schauspieler.

Wir haben es beide schön gefunden, uns näher kennengelernt zu haben. Und mehr aus Spass, dass es toll wäre, eines Tages etwas zusammen zu machen. Dann war für uns beide der nächste Job dieser Film – ein Glücksfall! Beim Proben mit Peter Farrelly wussten wir deshalb schon, dass wir uns gut verstehen würden. Er ist super offen, grosszügig und präzise. Lustige Momente funktionieren im Film auch darum so gut, weil Mahershalas Reaktionen auf Tonys unangebrachten Aussagen herrlich sind.

Ein ungleiches Paar: Tony Lip und Don Shirley machen Mittagspause während ihrer Reise durch die Südstaaten.
Ein ungleiches Paar: Tony Lip und Don Shirley machen Mittagspause während ihrer Reise durch die Südstaaten. © Ascot Elite

Peter Farrelly hat Ihnen auch viele Freiheiten für eigene Inputs gelassen.

Viggo Mortensen: Das stimmt, er schafft eine sehr gelassene Atmosphäre am Set. Ein bisschen wie David Cronenberg, mit dem ich auch schon einige Male zusammengearbeitet habe. Sie sind sehr gut vorbereitet, wissen genau, was sie wollen, sind aber auch bescheiden und clever genug zu wissen, dass eine gute Idee von irgendwoher kommen kann. Nicht nur von den Schauspielern, sondern von allen am Set. Es herrschte eine äusserst kreative Stimmung beim Dreh.

Gibt es ein Beispiel von einem Ihrer Vorschläge?

Viggo Mortensen: Ich will jetzt nicht angeben... (überlegt) es waren Wörter, Aussagen oder gewisse Verhaltensweisen. Wir haben uns auch häufig mit Nick Vallelonga [Drehbuchautor und Sohn von Tony Lip, Anm. d. Red.] besprochen, um abzuklären, ob dies Dinge sind, die sein Vater wirklich getan hätte. Auch Mahershala hat viel von sich eingebracht, gewisse Ausdrücke oder ein spezifisches Wort. Manchmal habe ich auch lustige Dinge vorgeschlagen – zum Teil fanden die Leute, dass es zu viel war, aber manchmal fanden sie es auch gut (schmunzelt). Es war auf jeden Fall nicht so, dass das Drehbuch fix stand und man nichts mehr abändern konnte.

Haben Sie selbst durch den Film etwas über Rassismus gelernt?

Viggo Mortensen: Ich will nicht zu viel vom Film verraten, aber die Szene im Kleiderladen, die fand ich sehr subtil und gleichzeitig effektiv. Weil die Leute alle so freundlich sind; niemand wirkt wie ein schrecklicher Mensch – eigentlich war es aber ein wirklich furchtbarer Moment.

«Green Book - Eine besondere Freundschaft» ist ab dem 31. Januar in den Deutschschweizer Kinos zu sehen.

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