Kritik20. März 2019 Irina Blum
«Wir»: Jordan Peeles Zweitling führt in düstere Horror-Gefilde
«Get Out», das Regiedebüt des als Komiker bekannt gewordenen Jordan Peele, schlug 2017 ein wie eine Bombe: Der Mix aus Grusel, Satire und Rassismus-Parabel überzeugte Kritiker und Zuschauer gleichermassen. Dass der humorige Schocker kein Glücksschuss war, beweist der afroamerikanische Filmemacher nun mit seiner zweiten Arbeit.
Filmkritik von Christopher Diekhaus
Nachdem sie im Jahr 1986 auf einer Kirmes im kalifornischen Santa Cruz in einem Spiegelkabinett Schreckliches gesehen hat, bereitet die kleine Adelaide (Madison Curry) ihren Eltern grosse Sorgen. In der Gegenwart zieht es die inzwischen erwachsene Ehefrau und Mutter (nun gespielt von Lupita Nyong’o) mit ihrem Gatten Gabe (Winston Duke) und ihren Kindern Zora (Shahadi Wright Joseph) und Jason (Evan Alex) für einen Urlaub an eben jenen Ort zurück.
Jordan Peele nimmt sich ein klassisches – um nicht zu sagen ausgelutschtes – Motiv des Horrorkinos vor.
Schon kurz nach ihrer Ankunft im Ferienhaus beschleicht Adelaide jedoch ein ungutes Gefühl, das sich in der ersten Nacht bewahrheitet. Plötzlich stehen vier unheimliche Gestalten vor dem Anwesen und verschaffen sich gewaltsam Zutritt. Was noch grauenvoller ist: Die ungebetenen Gäste sind den Wilsons wie aus dem Gesicht geschnitten.
In seinem zweiten Spielfilm als Regisseur und Drehbuchautor nimmt sich Jordan Peele ein klassisches – um nicht zu sagen ausgelutschtes – Motiv des Horrorkinos vor. Eine Familie will in einem Ferienhaus die Seele baumeln lassen, muss sich aber aus heiterem Himmel aggressiven Eindringlingen erwehren.
Das bestens vertraute Muster des sogenannten Home-Invasion-Films erfährt durch das Auftauchen der Doppelgänger allerdings eine originelle Abwandlung, die handfestes Unbehagen erzeugt. Immerhin wird von einer Sekunde auf die andere die Identität der Protagonisten brüchig. Und noch dazu stellt sich die Frage, warum die in Rot gekleideten Ebenbilder in einen mörderischen Rausch verfallen.
Was will man von einem Horrorthriller mehr verlangen?
Die bereits im Prolog wirkungsvoll aufgebaute Gruselstimmung entlädt sich nach dem Einbruch in das Haus der Wilsons auf fulminante Weise. Intensive und bizarre Gänsehautmomente sind garantiert. Wie in seinem Debüt füttert Peele seine Handlung jedoch ebenso mit witzigen Dialogen und Begebenheiten. Auch wenn die Komik in einigen Momenten vielleicht etwas zu stark in den Vordergrund drängt, verleiht sie dem Film eine eigenständige Note, die man in vielen anderen Horrorwerken vergeblich sucht.
Kritisieren könnte man, dass am Ende nicht alle Ideen sauber ineinandergreifen und der erschütternde Abschlusstwist fast ein wenig auf der Strecke bleibt. Die raffinierte Inszenierung, die suggestive Kameraarbeit, der clevere Musikeinsatz, die zahlreichen popkulturellen Anspielungen und der verrätselte thematische Unterbau machen «Wir» allerdings zu einem irritierend-faszinierenden Erlebnis.
Hinter der vermeintlich schlichten Doppelgänger-Bedrohung breitet sich eine ambitionierte Auseinandersetzung mit den Konflikten und Ängsten der zerrissenen US-Gesellschaft aus, die nach dem Kinobesuch zu lebhaften Diskussionen animiert und den Wunsch nach einer zweiten Sichtung umgehend befeuert. Was will man von einem Horrorthriller mehr verlangen?
4 von 5 ★
«Wir» ist ab dem 21. März 2019 in den Deutschschweizer Kinos zu sehen.
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