Kritik27. Dezember 2019

«You - Du wirst mich lieben»: Auch in der zweiten Staffel der Stalker-Serie dominiert die Faszination am Bösen

«You - Du wirst mich lieben»: Auch in der zweiten Staffel der Stalker-Serie dominiert die Faszination am Bösen
© Netflix

Weil sie auf dem amerikanischen Kanal Lifetime nicht besonders lief, zeigte Netflix letztes Jahr die erste Staffel von «You - Du wirst mich lieben» – und erreichte damit ein Millionenpublikum, das rege darüber diskutierte, ob man sich mit einem Psychopathen wie der Hauptfigur überhaupt identifizieren dürfte. Nun liefert der Streaming-Dienst mit einer zweiten Staffel Nachschub.

Serienkritik von Peter Osteried

Die Serie kommt aus der erfolgreichen Schmiede von Greg Berlanti, der zur Zeit einer der umtriebigsten und erfolgreichsten Fernsehproduzenten ist. Berlanti hat die Serie zusammen mit Sera Gamble (Showrunnerin bei «Supernatural» und Macherin von «The Magicians») erschaffen – auf Basis des Romans von Caroline Kepnes, die auch als Produzentin fungiert. Die Autorin hat einen ungewöhnlichen Roman abgeliefert. Einen, der eine eigentlich typische Stalkinggeschichte erzählt – jedoch nicht aus Sicht des Opfers, sondern von der Perspektive des Stalkers.

© Netflix

In der ersten Staffel sieht der Buchhändler Joe (Penn Badgley) die Studentin Beck (Elizabeth Lail) in seinem Laden. Ein kurzes Gespräch folgt und er weiss, dass sie die Richtige für ihn ist. Er folgt ihr nun auf Schritt und Tritt, um mehr über sie zu erfahren. Er beobachtet sie, er bricht bei ihr ein, er klaut ihr Handy, er kommt ihr näher. Und auf Beck wirkt er eigentlich auch ganz sympathisch. Aber Joe ist ein gefährlicher Mann, denn zwischen Beck und sich lässt er nichts kommen. Weder ihren Ex-Freund noch ihre beste Freundin. Und wenn es sein muss, dann greift Joe zu drastischen Mitteln.

Das irritierend Gute an der Serie ist, dass man den Kerl eigentlich ganz sympathisch findet.– Cineman-Kritiker Peter Osteried

Als Zuschauer hört man vom ersten Moment an, was Joe denkt – und wie er sich die Liebe in seinem Kopf zurechtlegt. Denn er ist sich sicher, dass Beck ihn liebt. Das ist ein faszinierender Ansatz, der «You - Du wirst mich lieben» von ähnlich gelagerten Stoffen abhebt. Denn normalerweise dringt man nicht so tief in die Psyche eines Stalkers ein. Zugleich spielt die Serie anfangs mit der Frage, ob es nicht eigentlich sie ist, die nicht ganz normal ist, aber es dauert in den insgesamt zehn Folgen der ersten Staffel nicht lange, bis man sich festlegt und weit über den Straftatbestand von Stalking hinausgeht.

© Netflix

In Rückblicken erfährt man mehr darüber, wie Joe wurde, wer er ist – und wie das Leben mit seiner früheren Freundin aussah. Das irritierend Gute an der Serie ist, dass man den Kerl eigentlich ganz sympathisch findet, obwohl sein Verhalten grundlegend abstossend ist. Penn Badgley spielt das ziemlich gut, während Elizabeth Lail als seine Angebetete ausgesprochen süss ist – und auch das eine oder andere Geheimnis hütet.

Gamble war schlau genug, nicht einfach nur eine Wiederholung des bisher Gesehenen zu präsentieren.– Cineman-Kritiker Peter Osteried

Die erste Staffel ist spannend und läuft auf ein sehr definitives Ende hin, aber Berlanti und Gamble hatten frühzeitig Ideen, wie sich das Ganze fortsetzen lässt. Auch die zweite Staffel besteht aus zehn Folgen; Gamble war aber schlau genug, nicht einfach nur eine Wiederholung des bisher Gesehenen zu präsentieren.

Joe ist in der neuen Staffel gezwungen, New York zu verlassen und unter neuer Identität als Will in Los Angeles ein neues Leben zu beginnen. Doch diese Identität zu erlangen, zieht einen Rattenschwanz an Problemen nach sich. Und natürlich findet Joe wieder ein Objekt der Begierde: die Bäckerin Love Quinn (Victoria Pedretti). Nun könnte die Serie einfach dieselbe Geschichte noch einmal abspielen, es wird jedoch ein anderer Weg beschritten.

© Netflix

Denn so sehr Joe auch ein Psychopath sein mag, so sehr ist er sich doch bewusst, was er seiner vorherigen Obsession angetan hat – und das möchte er bei Love verhindern. Er ist wie ein Drogensüchtiger, der auf Entzug, aber gleichzeitig ständig von der Droge umgeben ist. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen, aber einer, der von Penn Badgley faszinierend gespielt wird, zumal es noch eine Nebenhandlung gibt, in der er seinen „Wert“ beweisen und ein junges Mädchen vor einem potenziellen Vergewaltiger beschützen will.

Die zweite Staffel besteht erneut aus zehn Folgen. Auch wenn man den Kniff der Serie mittlerweile kennt, ist die Umsetzung faszinierend, weil «You - Du wirst mich lieben» den Einblick in einen Menschen gewährt, dem man eigentlich gar nicht nahekommen will. Und doch ist der ausschlaggebende Punkt dieser Stalker-Serie, dass eine klare Einordnung schwergemacht wird. Man müsste Joe hassen, aber irgendwie mag man ihn, und das sogar dann noch, wenn man weiss, wozu er wirklich fähig ist.

Es ist dann vielleicht auch die Faszination des Bösen, der man sich nicht erwehren kann: Nicht der Glaube an die grosse Liebe hält einen als Zuschauer bei der Stange, sondern vielmehr ein Blick in menschliche Abgründe, der hier mit hoher Eleganz und Schönheit geboten wird.

4 von 5 ✭

Die zweite Staffel von «You - Du wirst mich lieben» läuft ab sofort auf Netflix.

Ist dieser Artikel lesenswert?


Kommentare 0

Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.

Login & Registrierung