Article1. Mai 2024 Cineman Redaktion
Filmwissen: Ryan Gosling: Stille Helden mit komplexer Männlichkeit
Nach ARTE ist er Hollywoods Halbgott, für andere ist Ryan Gosling der Inbegriff komplexer Maskulinität. Bücher und wissenschaftliche Abhandlungen erscheinen über ihn, abgerundet von einem populären Internet-Meme. Zum Kinostart von «The Fall Guy» werfen wir einen genaueren Blick auf das schauspielerische Ausnahmetalent.
von Michael Gasch
Grosse Sprünge in Hollywood
In Ontario, Kanada, aufgewachsen landete Ryan Thomas Gosling mit 13 Jahren im Mickey Mouse Club. Es war die erste Anlaufstelle für seine spätere Karriere als Schauspieler. Nachdem er in diversen Fernsehserien auftrat, landete er 2001 in der Produktion «Inside a Skinhead». Der Film wird ein kleiner Hit im Indie-Kino und ein Sprungbrett für seine nächsten Projekte. Heutzutage werden aber wohl nur die wenigsten mit seinem Frühwerk vertraut sein, wohingegen die letzten Titel mit ihm allem Anschein nach jede:r gesehen hat. Nach «La La Land», «Blade Runner 2049» und zuletzt «Barbie» hat der kanadische Schauspieler mittlerweile einen Status inne, den nur wenige Stars für sich beanspruchen können. Wie Brad Pitt oder Leonardo DiCaprio kann auch er sich das Beste vom Besten aussuchen. Jeder streitet sich um ihn, die Welt liegt ihm zu Füssen.
Die Sprünge von «Wie ein einziger Tag», «Lars und die Frauen», «Blue Valentine», über «Crazy, Stupid, Love», «Drive», «The Place Beyond the Pines», «The Big Short» bis hin zum neuen Hit «The Fall Guy», erwecken stets den Eindruck eines sukzessiven Aufwärtstrends. Immer erfolgreicher werden die Filme mit ihm, immer überragender sein Ruf. Seit einigen Jahren reicht es daher schon aus, wenn eine Neuproduktion angepriesen wird mit «Der neue Film mit Ryan Gosling». Ein Phänomen, bei dem der Schauspieler den Film und der Film den Schauspieler begünstigt.
Die Rolle des Mannes
Es ist an vielen nicht vorbeigegangen, dass dies auch an den Männerfiguren liegt, welche Gosling porträtiert. Gebrochene Männer, einsame Wölfe, sogenannte Sigma-Males – es gibt eine auffällige Schnittmenge beim Blick auf «Drive», «Only God Forgives», «Blade Runner 2049». Markante Männlichkeit trifft auf Ambivalenz, die sich zwischen Zurückgezogenheit und dem Verlangen, ein "Held" sein zu wollen, einpegelt. Dies geht auch aus der wissenschaftlichen Abhandlung «The Sound of Silence: Ryan Gosling, Expressionism and the Silent Hero in 21st-Century Film» hervor, in der der stille Held (silent hero) analysiert wird. Es ist wenig verwunderlich, wenn sich viele Männer in diese Filmfiguren regelrecht hineinflüchten, um nach den Filmen der Welt stärker entgegentreten zu können. Es ist allerdings alles andere als selbstverständlich, wenn ein Schauspieler dem Publikum neben guter Unterhaltung auch mentale Stärke mit auf den Weg gibt.
Unzählige "Literally Me"-Videos gibt es bereits, in denen sich tiefgründig, fast schon kontemplativ damit auseinandergesetzt wird. Vereinfacht ausgedrückt, liegt die Aussage des Memes darin, gern wie Gosling zu sein. Die Einsicht ist oftmals schwer, wenn in den lustigeren Video-Variationen jemand ihn daran erinnern muss: «Du bist nicht Ryan Gosling!». Das Phänomen liegt also auf der Hand: Während andere Schauspieler mit ihren Rollen regelrecht verschmelzen (bestes Beispiel: Keanu Reeves als Neo («Matrix») oder Robert Downey Jr. als «Iron Man»), ist es bei Gosling etwas anders. Durch komplexe Rollen erschafft er sich immer wieder neu und bleibt nicht an einer einzigen Figur haften. Freilich verkörpert er ebenso starke Männerfiguren, bleibt aber jederzeit am längeren Hebel und behält die Kontrolle über sich, seine Figuren, sein ganzes Umfeld.
Vielseitiges Schauspiel
Ryan Gosling wäre nicht Ryan Gosling, würde er hin und wieder auch in andere Welten eintauchen. Er funktioniert genauso gut im romantischen («La La Land») wie tragischen Kino («Blue Valentine»), in feinfühligen Filmen («Lars und die Frauen») oder in Romanzen, denen man leichtfertig eine klischeehafte Überzeichnung vorwerfen kann («Wie ein einziger Tag»). Seine Vielseitigkeit kulminierte zuletzt in der Verkörperung des Ken («Barbie») und dem nicht gerade seltenen Nachruf, er sei das Beste in der quietschbunten Produktion.
Diese Filme, wie auch solche mit Lachfaktor wie «The Nice Guys», «The Big Short» sowie der aktuelle Hit «The Fall Guy» vervollständigen seine Vielseitigkeit, können aber nicht darüber hinwegtäuschen, wie einflussreich und kulturell prägend seine Männerrollen sind, mit denen er massives Identifikationspotenzial für das Publikum bietet. Ryan Gosling bedeutet also nicht nur hervorragendes Schauspiel und eine grandiose Vielseitigkeit, sondern steht gleichermassen für den modernen Mann.
Was bringt die Zukunft?
Dass Ryan Gosling bereits 2014 mit «Lost River» sein Regiedebüt vorgelegt hat, wird oftmals vergessen. Nicht minder atmosphärisch als die grossen Filme seines Mentors und Freundes Nicolas Winding Refn entstand ein moderner Neo-Noir-Thriller, der die wichtigsten Aspekte seiner Jahrzehnte umspannenden Arbeit als Künstler gut zusammenfasst. Er entscheidet sich in den meisten Fällen gegen Redundanz, Einfachheit, Happy Ends und seelenlose Produktionen.
Ob es irgendwann noch einen Film geben wird, bei dem er erneut die Regie übernehmen wird, bleibt abzuwarten. Bis dahin müssen wir uns mit den nächsten grossen Filmen vergnügen, die in den kommenden Jahren bevorstehen. «Project Hail Mary», eine Science-Fiction-Romanverfilmung, bringt dabei die besten Voraussetzungen mit, um grandios einzuschlagen. Es handelt sich nach «Der Marsianer» um die nächste Romanadaption von Andy Weir. Somit schliesst sich der Kreis, denn erneut schlüpft Gosling in die Rolle eines gebrochenen Mannes, noch dazu im Weltraum, unterwegs im Rahmen der grössten Mission der Menschheit. Erneut geht es nach «Aufbruch zum Mond» in die Tiefen des Alls, erneut steht eine Geschichte bevor, welche die Eigenschaften Ryan Goslings benötigt.
Der grosse Schauspieler hält somit zurecht einen besonderen Status in Hollywood inne, dem ihm vermutlich keiner so schnell streitig machen wird. Mann wie Frau liebt ihn, es ist fast schon unerheblich, welche künftigen Filme mit ihm folgen. Oder um es mit den Worten auszudrücken, die in «Drive» fallen: „Es gibt nichts, was er nicht kann!“
«The Fall Guy» ist seit dem 01.05.2024 im Kino zu sehen.
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