Interview15. Februar 2023 Cineman Redaktion
Interview: Ursula Meier über «La Ligne»: «Ich habe in der ganzen Schweiz nach diesem Ort gesucht»
Im Rahmen eines Treffens beim Zürich Film Festival sprach die Schweizer Regisseurin über ihren neuen Spielfilm «La Ligne», der ab dem 16. Februar im Kino zu sehen sein wird. Das Drama wurde in Le Bouveret gedreht und dreht sich um eine explosive Frauenfamilie.
Interview von Marine Guillain, übersetzt von Maria Engler
Nach der Berlinale im Februar 2022 wurde «La Ligne» auf verschiedenen Festivals gezeigt, von Istanbul über Thessaloniki, Busan, Sao Paulo, Montreal bis hin zum ZFF in Zürich. Auf dem letztgenannten Festival im September 2022 konnten wir Ursula Meier interviewen, die zehn Jahre nach dem erfolgreichen Film «L'enfant d'en haut» ihr Comeback auf der Kinoleinwand gab. In «La Ligne» darf die 30-jährige Margaret (erhaben: Stéphanie Blanchoud) nach einem heftigen Streit ihrer Mutter (Valéria Bruni Tedeschi) und ihrem Haus nicht näher als 100 Meter kommen. Doch diese aufgezwungene Distanz steigert ihren Wunsch, sich ihrer Familie zu nähern, und sie campiert jeden Tag an dieser unsichtbaren Grenze…
Cineman: Ursula Meier, Sie haben Ihren letzten Film vor fast zwei Jahren, im Winter 2021, in Le Bouveret gedreht. Ganz in der Nähe von Monthey, wo Sie «L'enfant d'en haut» gedreht haben. Wie haben Sie die Kulisse für «La Ligne» ausgewählt?
Ursula Meier: Die Recherchearbeit war sehr lang, aber spannend. Ich bin von einer imaginären Welt ausgegangen. Ich stellte mir ein Haus in der Nähe einer Strasse vor, mit sehr breiten Strassen im amerikanischen Stil. Meine Aufnahmeleiterin, Agnès Godard, und ich haben in der ganzen Schweiz nach diesem Ort gesucht und sind während des Lockdowns durch das Land gereist, aber wir haben ihn nicht gefunden!
Le Bouveret ähnelt dieser Beschreibung nicht wirklich…
Nein, denn dann haben wir versucht, ein Haus zu finden, das sich an einem sehr heterogenen Ort befindet. Das brachte mich zurück in den Kanton Wallis, einen Ort, den ich sehr gerne filme. In Le Bouveret gab es die Bahnlinie, die Hochhäuser, den Jachthafen, die Berge und natürlich den Kanal, der die Idee der Linie verstärkt... es war sehr heterogen und alles lag sehr nah beieinander. Agnes und ich haben buchstäblich unsere Schritte gezählt, um zu sehen, wohin wir in einem Radius von 100 Metern kommen würden!
Warum haben Sie sich dafür entschieden, im Winter zu drehen?
Es war wichtig, dass es im Winter spielte, damit die Figur Margaret in der Kälte, in einem feindlichen Klima warten muss. Wir haben nicht in der richtigen Reihenfolge gedreht, deshalb war es schwierig, diese Linie zu handhaben, sie musste entfernt und wieder angebracht werden. In Bouveret hat es auch zweimal geschneit, was die Montage erschwert hat. Und Covid hat die Dinge extrem kompliziert gemacht...
Was war am schwierigsten für Sie?
Die Distanz zu den Schauspielern. Normalerweise mag ich es, sie zu berühren und ihnen nahe zu sein, deshalb habe ich mich wirklich gefragt, wie ich meine Darsteller am besten führen könnte, wenn ich eine Maske trage. Aber irgendwie wurde ich auf Distanz gehalten, so wie die Figur im Film, und ich dachte mir, dass mir wie ihr eine Abstandspflicht auferlegt wurde.
Nach «Home» und «L'enfant d'en haut» stellen Sie die Familie erneut in den Mittelpunkt Ihres Films: Warum?
Die ursprüngliche Idee war, eine gewalttätige weibliche Figur in den Mittelpunkt zu stellen. Es stellte sich heraus, dass der Ursprung der Gewalt in der Familie liegt, also kam ich auf dieses Thema zurück. Ich finde es spannend, dass die Familie eine Gruppe ist, in der alle einen ganz bestimmten Platz haben. In «La Ligne» hat Margaret zwei Schwestern, und jede hat ihr Bestes getan, um sich selbst zu verwirklichen und ihren Platz im Verhältnis zu einer Mutter zu finden, die ebenso gescheitert wie egozentrisch ist.
Eine Mutter, drei Schwestern... Die Besetzung ist überwiegend weiblich, ebenso wie das Team hinter der Kamera, mit Agnès Godard und Stéphanie Blanchoud, die das Drehbuch mit Ihnen zusammen geschrieben hat: Ist das bewusst so gewählt?
Ich habe immer mit vielen Frauen zusammengearbeitet, einfach weil ich ihre Arbeit schätze. Ich fand es interessant, von einer weiblichen Familie zu erzählen, mit dieser Mutter und den Schwestern, von denen eine Zwillinge bekommt! Das sind starke Charaktere. Die Besetzung der Männer war daher noch schwieriger, da diese Rollen gleichzeitig diskret und präsent sein sollten.
Die männlichen Darsteller sind Benjamin Biolay, der Margarets Ex spielt, Dali Benssalah als neuer Freund der Mutter und der aus Lausanne stammende Thomas Wiesel, der den Ehemann der älteren Schwester, gespielt von India Hair, verkörpert... In Ihren bisherigen Filmen spielten Isabelle Huppert, Olivier Gourmet, Léa Seydoux, Fanny Ardent... Alle wollen mit Ihnen zusammenarbeiten, oder?
Hahaha, ich weiss nicht. Ja, es stimmt, ich habe grosses Glück. Für «La Ligne» habe ich mir für die Rolle der Mutter wirklich Valeria Bruni Tedeschi vorgestellt, und sie war bereit mitzumachen. Was Benjamin Biolay betrifft, so hat er sich zum ersten Mal bereit erklärt, die Rolle eines Musikers zu spielen.
Und wir haben noch nicht über die wichtigste Figur im Film gesprochen: die Musik, die eine ganz besondere Rolle spielt…
Die Musik ist das einzige schöne Erbe, das die Mutter an ihre Töchter weitergegeben hat; die Mutter gab es an Margaret weiter, die es ihrer jüngeren Schwester Marion vermittelte. Stéphanie ist zwar Sängerin, aber sie war zunächst zurückhaltend. Aber schliesslich erklärte sie sich bereit, im Film zu singen. Und Benjamin Biolay komponierte schliesslich eigens für den Film ein Stück, das ich überwältigend fand («Le passé», verfügbar auf allen Musikstreamingplattformen, Anm. d. Red.). Es war wichtig, dass die Musik in der Geschichte eine so grosse Rolle spielt, denn nur durch die Musik kann Margaret sich ausdrücken und sich für ihre Gefühle öffnen.
Weitere Informationen zu «La Ligne»
Ab dem 16. Februar im Kino zu sehen.
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