Review16. Januar 2020 Irina Blum
Netflix-Kritik «Auge um Auge»: Ein Krankenpfleger auf Rachefeldzug
Wie weit würde man gehen, wenn man sich an seinem Feind rächen könnte – vor allem dann, wenn dieser völlig wehrlos ist? Dieser Frage widmet sich das spanische Thriller-Drama «Auge um Auge», welches nach seiner Veröffentlichung in den spanischen Kinos nun auch bei uns auf Netflix zu sehen ist.
Filmkritik von Waldemar Witt
„Auge um Auge und die ganze Welt erblindet.“ Dieser berühmte Satz findet vor allem in «Auge um Auge» (Originaltitel: «Quien a hierro mata») in einem aussergewöhnlichen Szenario Anwendung. Dort stellt sich der neue Patient von Altenpfleger Mario (Luis Tosar) als der berüchtigte spanische Drogenboss Antonio Padín (Xan Cejudo) heraus.
Abseits der Tatsache, dass der alte, an den Rollstuhl gefesselte Mann für diverse kriminelle Taten verantwortlich ist, hat Mario eine persönliche Rechnung mit dem Drogenbaron offen. Der eigentlich gutherzige Mario erkennt in seiner neuen Position nun eine einmalige Chance auf Rache.
Es sei direkt zu Beginn gesagt, dass «Auge um Auge» wahrlich kein Film ist, der für jede Art von Zuschauer geeignet ist. Der spanische Thriller präsentiert sich bereits von Minute eins an als grösstenteils sehr melancholischer Film mit grauer Farbpalette und einem relativ langsamen Erzählfluss, der erst ab der zweiten Hälfte anfängt, ein wesentlich schnelleres Tempo an den Tag zu legen.
Auf eine abschliessende Lektion in Sachen Vergebung lässt der Film lange warten.
Zwar ist «Auge um Auge» dank des sehr schwerwiegenden melancholischen Tons und dem dazu passenden, trübsinnigen Umgang mit der Thematik ein durchaus eindrucksvolles Drama mit Nachhall. Vor allem hinsichtlich des Endes liegt der Film jedoch schwer auf dem Magen, und der Geschichte um die Beziehung zwischen Mario und Drogenboss Antonio wird zwar der Grossteil der Laufzeit des Films gewidmet, eine grosse Veränderung beziehungsweise Entwicklung der Figuren selbst bleibt jedoch leider aus.
Zu sehr lässt der Film in seiner zunächst recht vorhersehbaren Handlung auf eine abschliessende Lektion hinsichtlich Vergebung und Erkenntnis warten, die in einer sehr radikalen Art und Weise im Finale des Films in Erscheinung tritt. Dies mag zwar im Grossen und Ganzen zum eher düsteren Ton des Films passen, hat jedoch die Wirkung, dass sich die Beziehung zwischen Mario und Antonio im Kreis dreht, und die Kernhandlung des Films nur sehr langsam voranschreitet.
Abhilfe schafft hier der zeitgleich verlaufene und überraschenderweise spannendere Sub-Plot des Films, welcher sich auf die Söhne von Drogenbaron Antonio konzentriert: Kike (Enric Auquer) und Toño (Ismael Martínez). Die Versuche der beiden Söhne, die Drogengeschäfte ihres Vaters fortzuführen, und das sich daraus entwickelnde Chaos bringen dabei nicht nur eine überraschende Prise Action mit sich, sondern fügen sich im Rahmen einiger Wendungen vor allem in der zweiten Hälfte des Films in die Handlung rund um die heimlichen Rachepläne Marios ein.
Vereinzelte Szenen gewinnen durch die starke schauspielerische Leistung an Intensität.
Einigen Drehbuchschwächen zum Trotz sind die schauspielerischen Darstellungen der gesamten Besetzung hervorzuheben. Vor allem Hauptdarsteller Luis Tosar als Mario und Enric Auquer als Kike stehlen ihren Kollegen einige Male die Show, wodurch vereinzelte – teils sehr schockierende – Szenen durch ihre schauspielerische Leistung entsprechend an Intensität gewinnen.
«Auge um Auge» ist abgesehen von einigen Thriller-Elementen hauptsächlich ein langsames und durchaus sehr melancholisches Drama, welches seine Thematik um die Ausübung und die Konsequenzen von Rache mit tonal passenden und teils schockierenden Szenen schmückt. Zwar kitzelt der Film durchwegs gute schauspielerische Leistungen aus seiner Besetzung heraus, doch auch diese können nicht vollständig über die Tatsache hinwegtrösten, dass es beim Film schlussendlich bei der Figurenentwicklung hapert und es an Tiefgang im Umgang mit seiner Kernthematik fehlt.
2.5 von 5 ★
«Auge um Auge» ist ab sofort auf Netflix verfügbar.
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