Review18. Dezember 2020
Netflix-Kritik «Ma Rainey’s Black Bottom»: Wer ist hier der Boss?
Die kraftvollen Darbietungen von Viola Davis und Chadwick Boseman treiben den neuen Netflix-Film «Ma Rainey’s Black Bottom» an. Grosse Filmkunst bietet die Adaption des gleichnamigen Theaterstücks von August Wilson aber leider nicht.
Filmkritik von Christopher Diekhaus
Die Nachricht vom Tod des Schauspielers Chadwick Boseman erschütterte im August 2020 die Filmwelt. In der Öffentlichkeit war bis dahin nicht bekannt, dass der mit der Rolle des Marvel-Superhelden Black Panther international berühmt gewordene Afroamerikaner unter einer fortgeschrittenen Darmkrebserkrankung gelitten hatte. Von seiner Ausdrucksstärke überzeugen kann sich das Publikum nun noch einmal in der Bühnenverfilmung «Ma Rainey’s Black Bottom», die dem mit 43 Jahren viel zu früh verstorbenen Mimen gewidmet ist.
Boseman verkörpert hier einen jungen, heissblütigen Trompeter namens Levee, der in der Begleitband der vor allem unter Schwarzen beliebten Blues-Sängerin Ma Rainey (Viola Davis) spielt. Gemeinsam mit seinen Kollegen Cutler (Colman Domingo), Toledo (Glynn Turman) und Slow Drag (Michael Potts) betritt er im Jahr 1927 das Chicagoer Studio des Plattenproduzenten Sturdyvant (Jonny Coyne), in dem Ma Rainey auf Drängen ihres Managers Irvin (Jeremy Shamos) einige ihrer bekanntesten Stücke aufnehmen soll. Während sich die vier Bandmitglieder bereits in einem Probenraum im Keller warmmachen, lässt Ma Rainey noch auf sich warten, was für erste Aufregung sorgt.
Oscar-Preisträgerin Viola Davis verleiht der sogenannten «Mutter des Blues» eine raumgreifende Präsenz.
Nach ihrem verspäteten Eintreffen gibt sie Irvin und Sturdyvant unmissverständlich zu verstehen, dass sie einzig ihrem Bauchgefühl und ihrer Vorgehensweise vertraut. Eine von Levee abgewandelte Version ihres Songs «Ma Rainey’s Black Bottom» will sie unter keinen Umständen performen und fordert stattdessen, dass ihr stotternder Neffe Sylvester (Dusan Brown) das Intro spricht. Diskussionen und technische Probleme erhitzen die Gemüter immer weiter.
«Ich mache hier nichts ohne meine Coca Cola!» Mit Sätzen wie diesen zeichnet das von George C. Wolfe («Das Glück an meiner Seite») inszenierte kammerspielartige Drama die real existierende Südstaatenunterhalterin Ma Rainey als selbstbewusste, keinem Konflikt aus dem Weg gehende Diva. Oscar-Preisträgerin Viola Davis (prämiert für ihre Darbietung in «Fences», ebenfalls basierend auf einem Theaterstück von August Wilson), die bereits diverse Male in starken Frauenrollen zu sehen war, verleiht der sogenannten «Mutter des Blues» eine raumgreifende Präsenz.
Jederzeit merkt man der Netflix-Produktion ihre Bühnenherkunft an.
Die Entschlossenheit und die Unverfrorenheit, mit der Davis die Forderungen der Sängerin vorträgt, sind einschüchternd und wirken auf den ersten Blick schrecklich exzentrisch. Hinter ihrem polternden Auftreten scheint allerdings ein glasklares Verständnis für ihren Part als schwarze Künstlerin in der Musikbranche durch. Ma Rainey ist sich bewusst, dass weisse Produzenten wie Sturdyvant sie verachten, sobald sie ihre Arbeit getan und ihre Rechte an den dargebotenen Stücken abgetreten hat. Genau deshalb kostet sie die Macht, die sie im Vorfeld besitzt, in vollen Zügen aus.
In den Vordergrund spielt sich zudem Chadwick Bosemans Levee. Eine fiktive Figur, die als Gigolo und grossen Zielen nachjagender Draufgänger etabliert wird. Anders als seine eher pragmatischen Bandmitstreiter, die einfach nur ihren Job verrichten wollen, träumt er von echter Kunst und lässt sich offen über die in seinen Augen nicht mehr zeitgemässe Musik Ma Raineys aus. Sein Gehabe erscheint zunächst reichlich grossspurig und bringt ihm den Spott der übrigen Musiker ein. Irgendwann offenbart sich aber ein handfestes Trauma, das die Haltung des Ehrgeizlings verständlicher macht.
Nicht nur in Ma Raineys Auseinandersetzungen mit ihrem Manager und dem Plattenboss spiegelt sich die Herabwürdigung der Afroamerikaner wider. Auch die zunehmend aufgebrachten Gespräche zwischen Levee, Cutler, Toledo und Slow Drag im Probenraum heben immer wieder darauf ab, was schwarze Menschen in einer von Weissen dominierten Gesellschaft erleiden und erdulden müssen. Wichtige Punkte, die allerdings häufig zu thesenhaft und nicht sehr filmisch präsentiert werden.
Ständig sehen wir Leuten dabei zu, wie sie sich unterhalten und Dinge aus ihrem Leben erzählen. Einprägsame Bilder liefert «Ma Rainey’s Black Bottom» dazu aber meistens nicht. Jederzeit merkt man der Netflix-Produktion ihre Bühnenherkunft an. Nach erstaunlich schlanken 90 Minuten, die mit einem Schlag in die Magengrube enden, fragt man sich überdies, ob es nicht sinnvoll gewesen wäre, Davis ein paar Auftritte mehr zu schenken und die Zahl der Musikeinlagen ein wenig hochzuschrauben.
3 von 5 ★
«Ma Rainey’s Black Bottom» ist ab sofort auf Netflix verfügbar.
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