Article16. Juni 2022 Cineman Redaktion
5 Gründe, die Netflix-Miniserie «Rein privat» zu schauen
Die spanische Miniserie «Rein Privat» könnte aktueller kaum sein – es ist eine Geschichte über die Heuchelei, wie Männer und Frauen in selber Situation bewertet werden und wie Opfer sich dafür verteidigen müssen, zu Opfern gemacht worden zu sein.
Artikel von Peter Osteried
Man kann nicht alles sehen, gute Gründe, ein Programm einzuschalten, sind darum immer hilfreich. Deswegen sind hier 5 Gründe, um «Rein Privat» zu zu gucken.
1. Aktuelles Thema
Die Serie könnte aktueller nicht sein. Erzählt wird von einer Politikerin names Malen, die sich für das Bürgermeisteramt in Bilbao bewirbt. Inmitten ihrer Kandidatur wird ein Video veröffentlicht, dass sie am Strand beim Sex mit einem Mann zeigt, der nicht ihr Ehemann ist. Ein Skandal, der ihre politische Karriere eigentlich beenden würde. Aber sie ist nicht gewillt, den Erwartungen ihrer Partei zu entsprechen. Sie kandidiert weiter.
Die Serie greift sehr viele Themen auf. Rache-Pornos im Internet, aber auch wie eine Partei darauf reagiert, wenn eine der Ihren dermassen im Rampenlicht steht. Die Art, wie chauvinistisch und sexistisch vor allem Männer reagieren. Und natürlich die Heuchelei, nach der ein derartiges Video einer Frau immer mehr schadet, als einem Mann. Diese Serie ist echter Diskussionszündstoff!
Die Serie greift die Doppelmoral auf, derer sich ein Grossteil der Menschen bedient.
2. Hauptdarstellerin Itziar Ituño
Die Rolle der Politikerin, die um ihr politisches Überleben kämpft, ist das erste grosse Projekt, das Itziar Ituño nach der extrem erfolgreichen Serie «Das Haus des Geldes» übernommen hat. Sie steht im völligen Gegensatz zur «Inspectora», die damals zuerst gegen den «Professor» und seine Leute agiert, dann aber als «Lissabon» ein Teil der Truppe wird.
Beiden Rollen ist gemein, dass Itziar Ituño starke Frauen spielt, die sich nicht einschüchtern lassen. Aber: In der Rolle der Politikerin zeigt die Schauspielerin noch etwas mehr Verletzlichkeit. Sie befindet sich zwar auch in einer Ausnahmesituation, aber in einer, die eben gänzlich anders ist, als wenn man die grösste Bank Spaniens ausrauben will. Itziar Ituño spielt sehr subtil, sie zeigt den Schmerz, den dieses Video ihr bereitet, und versucht zugleich, stark zu sein. Eine der besten Szenen kommt früh, als sie sich bei einer Pressekonferenz vor die Kameras stellt und erklärt, dass sie sich nicht schämt, wohl aber jene sich schämen sollten, die dieses Video online gestellt haben.
3. Wie man mit einem peinlichen Video umgeht
Die Serie konzentriert sich nicht nur auf die Figur der Politikerin, sondern stellt auch andere Frauen in den Mittelpunkt, denen es genauso ergeht, wie ihr. Die eine hat ihre Schwester verloren, weil diese sich nach dem Öffentlichmachen eines solchen Videos umgebracht hat. Die andere hat in ihrer Firma einen Spiessrutenlauf zu absolvieren. Die Tochter der Politikerin muss erkennen, dass bei «sexueller Freizügigkeit» die Öffentlichkeit die reinste Sippenhaft betreibt.
Kurz gesagt: Es sind vier Frauenschicksale, die hier parallel erzählt werden, aber das eine gleiche Thema haben: Wie Frauen in der Öffentlichkeit mitgespielt wird, nachdem derartige Videos oder Fotos online gingen. Allgemeingültige Lösungen, wie man darauf reagiert, gibt es nicht. Man kann es totschweigen, man kann so tun, als würde es einen nicht berühren, man kann auch in die Offensive gehen und die Polizei einschalten. Aber was auch immer man tut, der Schaden ist letztlich längst angerichtet.
4. Doppelmoral
Die Serie greift die Doppelmoral auf, derer sich ein Grossteil der Menschen bedient – in der Partei der Politikerin, aber auch der Öffentlichkeit. Der Konsens ist, sie sei eine «Schlampe». Weil sie Sex hatte? Weil sie ausserehelichen Sex hatte? Aber wer von ihren Anklägern ist denn wirklich frei von Schuld? Und wieso muss Sex überhaupt irgendwie anrüchig betrachtet werden? Es ist die reinste Heuchelei, die hier vielleicht ein wenig überspitzt erscheint. Sieht man sich jedoch an, wie die Öffentlichkeit bei ähnlich gelagerten «Ereignissen» wie dem Johnny-Depp-Amber-Heard-Prozess agiert und wie eine ganze Horde von Online-Trollen mit Memes und «witzigen» Beiträgen die sozialen Medien flutet, dann ist es eben doch nicht so überspitzt.
Das macht dann auch den Sprengstoff dieser Serie aus. Denn sie legt den Finger dorthin, wo es weh tut, indem sie aufzeigt, wie die Gesellschaft ist. Sie hält jedem und jeder einen Spiegel vor – und diese Konfrontation mit der eigenen Gesellschaft wird jedem nicht unbedingt gefallen.
Die Serie hält jedem und jeder einen Spiegel vor – und diese Konfrontation mit der eigenen Gesellschaft wird jedem nicht unbedingt gefallen.
5. Krimi-Element
Die Serie dreht sich nicht nur um die gesellschaftliche Frage, wie solche Videos wirken, sondern hat auch ein starkes Krimi-Element, denn der Mann, mit dem die Politikerin am Strand schlief, agierte im Auftrag. Das ist ein Element, das nicht von der ersten Folge an greift, sich aber im Mittelteil der Serie immer stärker entwickelt und so auch für zusätzliche Spannung sorgt. Die Serie funktioniert damit auf mehreren Ebenen, darf aber längst nicht als klassisches Krimiformat gelten. Es ist nur eine weitere Nuance dieser Geschichte(n). Alles andere wäre wohl auch unglaubwürdig. Wenn das Sexvideo einer Politikerin veröffentlicht wird, dann muss da zwangsläufig mehr dahinterstecken. Das mag ein Klischee sein, es ist aber eben auch ein wichtiges erzählerisches Element.
Ist es notwendig? Man hätte die Serie sicherlich auch ohne diesen Krimi-Plot erzählen können, er schadet aber auch nicht, da damit auch ein Mysterium aufgebaut wird, an dessen Klärung man schliesslich auch interessiert ist.
4 von 5 ★
«Rein Privat» (im Original: «Intimidad») (8 Folgen, je ca. 50 min) ist ab sofort auf Netflix verfügbar.
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