Article29. März 2023

Arbeit ist das halbe Leben: Das Büro in Film und Serie

Arbeit ist das halbe Leben: Das Büro in Film und Serie

Als Setting eines Films oder einer Serie bietet sich das Büro schon deshalb an, weil hier täglich Menschen mit ganz unterschiedlichen Temperamenten und Ambitionen aufeinanderprallen. Die einen wollen hoch hinaus, die anderen sich so wenig wie möglich anstrengen, was natürlich zu Konflikten führen muss. Von den kleinen und grossen Dramen, die an diesem Ort im Kino und im Fernsehen immer wieder ausgetragen werden, möchten wir im Folgenden berichten.

Ein Artikel von Christopher Diekhaus

1. «Being John Malkovich» (1999)

Der Aktenschrank als Tor in den Kopf eines Hollywood-Stars

Nach der Drehbucharbeit an diversen Fernsehserien katapultierte sich US-Autor Charlie Kaufman mit seinem Skript für die Komödie «Being John Malkovich» schlagartig an die Spitze der kreativsten Stimmen abseits des Mainstreams. Bei ihm wird das Büro zu einem kafkaesken Schauplatz, gelegen in einer absurd niedrig gebauten Etage eines New Yorker Hochhauses. Genau hier stösst der Protagonist Craig Schwartz (John Cusack), ein gescheiterter Puppenspieler, hinter einem Aktenschrank auf eine kleine Tür, durch die er in den Kopf des Schauspielers John Malkovich (als er selbst) gelangt. Die Möglichkeit, in einen fremden Körper einzutauchen, fasziniert ihn – und bringt ihn schon bald in arge Schwierigkeiten.

Viel origineller und schräger als hier kann man die Themen Identität und Starkult nicht beackern. Kaufman und Regisseur Spike Jonze legen einen vor Einfallsreichtum nur so übersprudelnden Film mit cleveren Dialogen vor, aus dem auch die schwungvoll agierenden Darsteller eine echte Leinwandperle machen.

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2. «The Office» (2001-2003)

Eine saukomische Fettnäpfchenparade

Würde man heute in einem stark polarisierten Klima, in dem kleine Äusserungen binnen Sekunden einen riesigen Shitstorm produzieren können, eine Serie wie die britische Mockumentary «The Office» noch durchwinken? Etwas vorsichtiger wären die Entscheider wahrscheinlich allemal. Glücklicherweise gelang es Ricky Gervais und Stephen Merchant vor mehr als 20 Jahren, die BBC von ihrem Konzept zu überzeugen. Verpasst hätten wir sonst eine Sitcom, die alltäglichen Sexismus, beiläufigen Rassismus, Opportunismus und andere soziale Fehltritte im Büroumfeld auf herrlich komische, aber auch schmerzhaft realistische Weise aufspiesst.

Gervais höchstpersönlich spielt den Protagonisten David Brent, der eine Zweigstelle einer grossen Papierfabrik leitet. Seine Versuche, sich beliebt zu machen und vor anderen zu glänzen, gehen regelmässig gewaltig in die Hose. Deutlich länger als das preisgekrönte Original lief übrigens die US-Adaption mit Steve Carell, die ebenfalls einige Auszeichnungen einheimsen konnte.

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3. «Stromberg» (2004-2012)

Die deutsche Antwort auf «The Office»

Ärger drohte den «Stromberg»-Machern, da sie in der ersten Staffel nicht kenntlich gemacht hatten, dass die Serie von der BBC-Mockumentary «The Office» inspiriert worden war. Hier wie dort begleitet ein Kamerateam die Hauptfigur auf ihrem von zahlreichen Rückschlägen und Fettnäpfchen gekennzeichneten Weg durch den täglichen Bürodschungel. Die angedrohte Urheberrechtsklage konnten die Verantwortlichen letztlich abwenden, wobei nicht ganz klar ist, ob sie dafür noch mehr anbieten mussten als den ab der zweiten Staffel in den Abspann eingebauten Hinweis auf die britische Originalversion.

Die Querelen hinter den Kulissen sagen freilich wenig über die Qualität der Sitcom aus, in der Christoph Maria Herbst als sich selbst überschätzender, sein Fähnchen nach dem Wind hängender Arschlochchef in einer Versicherungsabteilung brilliert. Komik und Tragik werden überzeugend ausbalanciert. Die Dialoge sind für deutsche Fernsehverhältnisse erstaunlich pointiert. Und immer wieder findet man seine eigenen Erfahrungen aus der Arbeitswelt im Verhalten der Figuren gespiegelt. 2014 schickte Schöpfer Ralf Husmann einen kongenialen Kinofilm nach, der auch deshalb entstehen konnte, weil zahlreiche Fans an einer Crowdfunding-Kampagne teilnahmen.

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4. «Der letzte Angestellte» (2010)

Das Grauen des Liquidators

Zermürbt von jahrelanger Arbeitslosigkeit und psychischen Problemen tritt der Jurist David Böttcher (Christoph Berkel) einen neuen Job an, der ihm ganz und gar nicht behagt: Eine insolvente Firma gilt es aufzulösen und dafür alle Mitarbeiter von ihrer Entlassung zu informieren. Als eine Angestellte (Bibiana Beglau) wütend auf seine Nachrichten reagiert und ihm später nachstellt, bekommt es der einfühlsame Mann mit der Angst zu tun. Zu Recht, denn schon bald nehmen unheimliche Ereignisse ihren Lauf.

Die krankmachenden kapitalistischen Anforderungen, die Auswüchsen der moderne Arbeitswelt verhandelt Regisseur und Drehbuchautor Alexander Adolph in einer Geschichte, die Charakterstudie und Geisterhorror kombiniert. Erzählerisch mag hier nicht alles aufgehen. Die kalten, ungemütlichen Bilder, vor allem der leeren Büroräumlichkeiten, und das feinfühlige Spiel des Hauptdarstellers verleihen dem Film aber atmosphärische Qualitäten, die manch reinrassiger Gruselbeitrag vermissen lässt.

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5. «The Double» (2013)

Jesse Eisenberg im Ringen mit sich selbst

Basierend auf Fjodor Dostojewskis berühmter Novelle «Der Doppelgänger» erzählt Filmemacher Richard Ayoade in seiner grotesken Thriller-Parabel «The Double» vom Zerbröseln der Identität in einer zunehmend vom ökonomischen Denken geprägten Gesellschaft. Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist der schüchterne, von seinem Chef konsequent übersehene Büroangestellte Simon (Jesse Eisenberg), dessen einzige Freude in der Anbetung seiner Kollegin Hannah (Mia Wasikowska) besteht.

Als eines Tages der selbstbewusste James (ebenfalls Jesse Eisenberg) seinen Dienst antritt, reagiert Simon zunächst geschockt, ist ihm der Fremde doch wie aus dem Gesicht geschnitten. Geschickt spielt der Film mit der universellen Angst, nicht einzigartig zu sein, und vermittelt über sein sparsam-düsteres Szenenbild ein Gefühl umfassender Trostlosigkeit. Die Herausforderung, zwei gegensätzliche Figuren plastisch zu gestalten, meistert Jesse Eisenberg mit grosser Intensität.

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6. «The Wolf of Wall Street» (2013)

Eine wilde Börsenorgie

Wer hätte das gedacht!? In einem Alter, in dem viele Menschen schon längst ihren Ruhestand geniessen, drehte Hollywood-Legende Martin Scorsese mit «The Wolf of Wall Street» einen orgiastischen, irrwitzig flotten Trip durch den Alltag des real existierenden Börsenmaklers Jordan Belfort. In der Darstellung dieses grössenwahnsinnigen Betrügers geht Leinwandsuperstar Leonardo DiCaprio mitunter an körperliche Grenzen und scheint sich für die 2016 erfolgte Oscar-Auszeichnung für «The Revenant – Der Rückkehrer» (2015) schon einmal warmzulaufen.

Die Büros des Protagonisten werden in Scorseses dreistündiger (!) Filmbiografie zu einem Ort obszöner Partyausschweifungen und enthemmter Motivationsreden, die einen mehrfach laut losprusten lassen. Gleichzeitig bleibt einem ob der Menschenverachtung, die hier gelebt wird, aber auch immer wieder das Lachen im Halse stecken. Selbst wenn man manches an «The Wolf of Wall Street» kritisieren kann, passt die vibrierend-hochtourige Inszenierung bestens zum abgehobenen Schneller-Weiter-Höher-Leben viele Börsenplayer.

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7. «Mayhem» (2017)

Die Entfesslung eines blutigen Bürokampfs

Vor Corona erdacht und gedreht, bekommt Joe Lynchs brachiale Actionkomödie «Mayhem» im Angesicht unserer jüngsten Pandemieerfahrungen eine beunruhigende Note. Alles kreist hier um einen Virus, der Menschen dazu veranlasst, ihre Impulskontrolle völlig aufzugeben. Die Folge: Selbst kleine Streitereien können plötzlich in Mord und Totschlag enden. Befallen von dem gefährlichen Erreger wird eine erfolgreiche Anwaltskanzlei, die mit höchst zweifelhaften Methoden operiert. Während der verhängten Quarantäne schliesst sich der abservierte Angestellte Derek Cho (Steven Yeun) mit der Kreditnehmerin Melanie Cross (Samara Weaving) zusammen, um den Bossen mal richtig die Leviten zu lesen.

Was die Inhaltsangabe verspricht, löst der Film auch ein: Lynch drückt das Gaspedal konsequent durch, spickt seinen Splatter-Reigen mit kreativ-schrägen Einfällen und verwandelt das Anwaltsbüro in einen Ort, an dem nur noch das Recht des Stärkeren gilt. Das Bemühen, rücksichtslose Businesspraktiken satirisch zu attackieren, tritt, wenig verwunderlich, gegenüber dem wilden Chaos immer wieder in den Hintergrund – und funktioniert unter dem Strich bloss in Ansätzen.

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8. «The Assistant» (2019)

Eine Sezierung der Ausbeutung in der Medienbranche

Kaffee kochen, kopieren, die Kinder des Chefs bespassen: Klaglos verrichtet die in einer Filmproduktionsfirma als Junior-Assistentin arbeitende Jane (Julia Garner) ihre Aufgaben. Als sie in der Personalabteilung die Kultur der sexuellen Belästigung und der Ausbeutung innerhalb des Unternehmens zur Sprache bringt, merkt sie, dass niemand ernsthaft daran interessiert ist, das toxische Klima zu verändern.

In ihrem Spielfilmdebüt «The Assistant» beweist die Australierin Kitty Green einen präzisen, schonungslosen Blick für die Machtstrukturen in der Unterhaltungsbranche. Das Besondere an diesem stillen, aber aufwühlenden #MeToo-Beitrag: Die Handlung ist verdichtet auf einen einzigen Arbeitstag im Leben der von Julia Garner stark gespielten Hauptfigur, die von einer Karriere im Filmbusiness träumt und sich selbst der Kultur des Wegschauens beugt. Erschreckend ist vor allem, dass Strukturen wie die hier beschriebenen nach wie vor florieren.

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9. «Severance» (2022-heute)

Zwischen absurder Komik und Unbehagen

Mark (Adam Scott) arbeitet für einen Grosskonzern, der eine bahnbrechende Methode entwickelt hat, um Beruf und Privatleben, im wahrsten Sinne des Wortes, zu trennen. Im Gehirn werden die Erinnerungen an den häuslichen Alltag und das Büro durch einen chirurgischen Eingriff konsequent entkoppelt. Nichts aus dem einen Bereich schwappt in den anderen hinüber und beeinträchtigt ihn. Die scheinbar so gut abgestimmte Work-Life-Balance hat allerdings ihre dunklen Seiten.

Auf den Spuren eines David Lynch wandelnd, serviert uns diese zwischen absurder Situationskomik und diffusem Grauen pendelnde Thriller-Serie eine hochinteressante Geschichte, die fragwürdige Entwicklungen in der heutigen Arbeitswelt treffend zuspitzt. Besonders lobenswert sind die eigenwillige, oft sterile Retroausstattung der aseptischen Firmenräumlichkeiten und die generell wohldurchdachte Bildsprache. Eine der treibende Kräfte hinter der Kamera ist übrigens Ben Stiller, den wir sonst eher mit durchweg lustigen Stoffen in Verbindung bringen.

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10. «The Consultant» (2023)

Christoph Waltz als diabolischer Sanierer

Nach dem unverhofften Tod ihres Chefs staunen Elaine (Brittany O’Grady) und Craig (Nat Wolff) nicht schlecht. Denn plötzlich steht mit dem mysteriösen Regus Patoff (Christoph Waltz) ein noch vor dem Ableben angeheuerter Unternehmensberater auf der Matte und reisst die Führung an sich. Schnell deutet sich an, dass der neue Lenker finstere Absichten verfolgt.

Unbestreitbar hat die für Amazon entwickelte Serie einen sehr engen Fokus und degradiert die meisten Figuren zu platten Stichwortgebern. Das lustvoll durchtriebene Spiel des zweifachen Oscar-Gewinners Christoph Waltz sorgt aber für zahlreiche herrlich abgründige Momente. Und auch die Mischung aus Thriller-Spannung, fantastischem Touch und satirischen Einlagen wertet die Geschichte auf, in der es nicht zuletzt um eine exzessive Jobfixierung und Machtmissbrauch geht.

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