Critique19. Februar 2024

Berlinale 2024: «Les Paradis de Diane»: Pflichten der Mutterschaft

Berlinale 2024: «Les Paradis de Diane»: Pflichten der Mutterschaft
© Berlinale | 2:1 Film

Es ist einer der am meisten erwarteten Schweizer Filme der 74. Berlinale. Regisseur:innen Jan Gassmann und Carmen Jaquier erwecken eine Emanzipationsgeschichte zum Leben, die von einer düsteren Dorothée de Koon getragen wird. Eine gelungene Überraschung!

«Les Paradis de Diane»: Pflichten der Mutterschaft

Carmen Jaquier, Jan Gassmann | Schweiz | 97 Min.

Text übersetzt aus dem Französischen

Mitten in der Nacht springt eine junge Frau in einen Bus und fährt los. Sie heisst Diane (Dorothée de Koon) und hat gerade ihr erstes Kind geboren. Auf der Flucht vor der Entbindungsstation und ihrem Partner begibt sie sich auf eine gefährliche Reise in ihr Inneres. Am frühen Morgen wacht sie in einem Badeort in Spanien auf. Ihr Körper führt sie unaufhörlich zu dem Kind zurück, das sie gerade geboren hat. Bald lernt sie auf ihren Wanderungen Rose (Aurore Clément) kennen. Zwei einsame Seelen, die sich langsam aneinander annähern.

Mit ihren individuellen Projekten («Foudre», «99 Moons» oder auch «Europe, she loves») haben Carmen Jaquier und Jan Gassmann Entdeckungsreisen an der Seite von Frauen unternommen, um das Erwachen und die Last der Sexualität zu ergründen. Der Film «Les Paradis de Diane», der dieses Jahr in der renommierten Panorama-Auswahl in Berlin vorgestellt wird, wird zu einer Schnittstelle, an der sich die Filme der beiden Schweizer Persönlichkeiten nicht nur begegnen, sondern auch ins Thema der postnatalen Störungen eintauchen. Der Film zeigt, dass der gesellschaftliche Druck auf Frauen, die fast per Definition ihre Mutterrolle akzeptieren sollten, immer grösser wird.

Passend zu ihrer Figur betritt die Musikerin Dorothée de Koon hier in ihrer ersten Hauptrolle Neuland. Die Künstlerin ist fast in jeder Einstellung zu sehen und verleiht dieser Frau auf der Flucht auf wunderbare Weise Leben, während in der Schweiz die Sirenen heulen und sie beschwören, zurückzukehren. Die Dialoge sind spärlich und unterstreichen das Gewicht des Ungesagten. Jan Gassmann und Carmen Jaquier beobachten den Körper, seine Veränderungen und den Seelenschmerz, der dabei entsteht. Inmitten der schmachtenden, jazzähnlichen Partituren von Marcel Vaid finden Dianes Wanderungen sogar den Charakter eines Film noir.

«Was geschehen ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden», hören wir bei einem Spaziergang am Strand. Die Worte werden von der ikonischen Schauspielerin Aurore Clément («Apocalypse Now», «Paris, Texas») gesprochen, der das Regieduo die Rolle einer Vertrauten mit mystischen Zügen zuweist. Und um die komplexe Beziehung dieser beiden Frauen zu vervollständigen, beschwören Carmen Jaquier und Jan Gassmann die Lyrik und die "inneren Landschaften" von Agnes Varda herauf. «Les Paradis de Diane» ist eine blutleere, nächtliche, sexualisierte, hypnotische, verängstigte, stumme, schroffe und schliesslich in ihrer Ungelöstheit berührende Studie. Es ist einer dieser seltenen Filme, die über das Filmerlebnis hinaus die gesellschaftlichen Umgangsformen hinterfragen und aufrütteln.

4 von 5 ★

«Les Paradis de Diane» erscheint am 14. März in den Kinos der Deutschschweiz.

Eine Zusammenstellung aller Texte der 74. Berlinale findest du hier.

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