Critique26. Mai 2023 Cineman Redaktion
Cannes 2023: «Killers of the Flower Moon»: König Scorseses Rückkehr an die Spitze
Martin Scorsese, der seit 1986 nicht mehr bei den Filmfestspielen in Cannes dabei war, kehrt an die Côte d'Azur zurück, um ausser Konkurrenz das mit grosser Spannung erwartete Werk «Killers of the Flower Moon» zu präsentieren. In diesem Film treffen zum ersten Mal seine beiden Lieblingsschauspieler Leonardo diCaprio und Robert de Niro aufeinander.
«Killers of the Flower Moon»: König Scorseses Rückkehr an die Spitze
Martin Scorsese | 206 min.
Ein Text von Kevin Pereira
Oklahoma, 1920. Ein Stamm von Native Americans, die Osage, entdeckt, dass in ihrem Land eine reiche Ölreserve schlummert. Die Entdeckung bringt ihnen zwar sofort gewaltigen Reichtum ein, doch sie bringt auch viele Neider mit sich. William Hale ist einer von ihnen und sein Plan, die Indigenen auszunehmen, steht fest: Er will seinen Neffen Ernest Burkhart manipulieren und ihn mit der Einheimischen Mollie Kyle verheiraten.
Die Geschichte von «Killers of The Flower Moon» hat Martin Scorsese im Grunde genommen schon oft verfilmt: Es handelt sich um eine Variation des Rise and Fall, für den einige seiner Filme emblematisch sind: «Goodfellas», «Wie ein wilder Stier», «Casino». Aber auch wenn die Erzählmechanik wohlbekannt ist, erfährt sie bei «Killers of The Flower Moon» erhebliche Verzerrungen: Der Untergang ist hier nicht mehr ein Zeitpunkt des Aufstiegs, sondern der Aufstieg selbst. Anders als in seinen früheren Filmen weigert sich Martin Scorsese, den Höhepunkt des Aufstiegs darzustellen, den Moment vor dem Zusammenbruch, in dem seine Figuren regressiv in Müssiggang schwelgen.
In dieser Hinsicht ist «Killers of the Flower Moon» sicherlich das melancholischste Werk des Filmemachers – und vielleicht auch das pessimistischste. Um sich davon zu überzeugen, genügt es, sich die Art und Weise anzusehen, wie der Filmemacher die Familie darstellt. Oft als Ort der Erlösung oder Versöhnung hochstilisiert, wird die Familienzelle hier von Anfang an genau umgekehrt gefilmt: als Ort der falschen Vertrautheit, aber der wahren Manipulation. Der Grundpfeiler der Familie hat seinen Glanz verloren.
Auch das erste Gespräch zwischen William Hale (Robert de Niro) und seinem Neffen zeigt, dass Scorsese die Familienbande mit einem enttäuschten Blick betrachtet. Als Ernest Bunhhart (Leonardo DiCaprio) seinen Onkel nach langen Jahren der Abwesenheit wiedertrifft, erlaubt sich dieser einen Gag, der seine reptilienhafte Niedertracht zum Ausdruck bringt: «Du kannst mich Onkel nennen oder du kannst mich König nennen». An dieser Stelle sei auf die Rückkehr von Robert de Niro zu alter Form hingewiesen, der hier seine beste Rolle seit sehr langer Zeit spielt.
Lily Gladstone beeindruckt mit ihrem Auftritt, der schon jetzt die Entdeckung des Jahres ist, und es wäre schön gewesen, wenn ihre Figur etwas mehr Raum in der Geschichte eingenommen hätte. Auf der anderen Seite ist DiCaprio mit seiner durchwachsenen Leistung zu bemängeln, dessen monolithische Darstellung grösstenteils auf einem versteinerten Gesicht beruht. Dieser kleine Vorbehalt, der letztlich kaum ins Gewicht fällt, sollte jedoch nicht das Wesentliche vergessen lassen: «Killers of The Flower Moon» ist ein riesiges Testament (in dieser Hinsicht rührt die Schlusssequenz zu Tränen), das in der Filmographie des Meisters einen besonderen Platz einnehmen wird – unbestreitbar.
5 von 5 ★
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