Article8. November 2023 Cineman Redaktion
Filmwissen: David Fincher: Abgründig-präzises Spannungskino made in Hollywood
Sein Name taucht in diversen Bestenlisten auf und seine Leinwandwerke haben nicht selten die Kassen klingeln lassen. Seit Ende der 1990er-Jahre zählt David Fincher zu den festen Grössen der US-amerikanischen Kinoindustrie, deren Konventionen er in seinen oft düsteren Regiearbeiten gerne unterwandert. Die Veröffentlichung seines neuen Films «The Killer» bei Netflix gibt uns Gelegenheit, etwas genauer auf seine aussergewöhnliche Karriere zu schauen.
von Christopher Diekhaus
Fincher, der Autodidakt
Rückblickend scheint der Weg des 1962 geborenen David Fincher schon in seiner frühen Kindheit vorgezeichnet. Immerhin lebt nach dem Umzug seiner Familie nach Kalifornien ein gewisser George Lucas in der Nachbarschaft – jener «Star Wars»-Schöpfer, für dessen Effektschmiede Industrial Light & Magic der filmbegeistere Fincher Anfang der 1980er-Jahre unter anderem als Kameraassistent tätig ist. Sein Interesse schwenkt allerdings schnell in Richtung Regie um. Als Mitbegründer einer Produktionsfirma für Werbestreifen und Musikvideos verantwortet er in der Folgezeit diverse Projekte. Die Praxisarbeit in engen budgetären und zeitlichen Grenzen ist, so betont er später immer wieder, seine Form der Filmschule gewesen. Fincher ist Autodidakt und hat seinen Beruf nicht auf klassischem Weg erlernt.
Dass Hollywood ein Haifischbecken ist, spürt der aufstrebende Regisseur bei seinem Wechsel ins Spielfilmfach. «Alien 3 – Die Wiedergeburt» (1992) soll der Startschuss zu einer erfolgreichen Karriere werden, fühlt sich für Fincher jedoch vor allem wie ein zermürbender Kampf an. Einmischungen von Studioseite und handfeste Drehbuchprobleme torpedieren einen reibungslosen Ablauf – weshalb der kreative Kopf noch heute erstaunlich negativ auf den fertigen Film blickt. Der dritte Teil der Scifi-Horror-Reihe rund um Ellen Ripley (Sigourney Weaver) mag schwächer als seine beiden Vorgänger sein. Trotzdem entwirft er ein eigenwilliges apokalyptisches Szenario, das zu einem roten Faden im Schaffen Finchers wird.
Düstere Weltsicht
Nach der Debütenttäuschung spielt der junge Filmemacher zunächst mit dem Gedanken, sich wieder auf Werbe- und Musikvideoarbeiten zu konzentrieren. Glücklicherweise landet in dieser Zeit allerdings ein schonungslos nihilistisches Drehbuch von Andrew Kevin Walker auf seinem Schreibtisch. Mit «Sieben» (1995), dem daraus resultierenden Leinwandalbtraum, schafft Fincher nichts weniger als ein oft kopiertes Meisterwerk des Serienkillerkinos. Die Geschichte um zwei charakterlich grundverschiedene Grossstadt-Cops, die einen Mörder jagen, der in seinen Taten die sieben Todsünden nachstellt, spielt in einer schwach ausgeleuchteten, von Dauerregen geplagten Welt und zeichnet das Bild einer in Lethargie erstarrten Gesellschaft.
Pessimistisch ist der Blick auf das soziale Miteinander auch in anderen Arbeiten des Regisseurs, häufig gepaart mit handfester Kritik an unserer kapitalistischen Konsumkultur. An oberster Stelle steht hier natürlich Finchers vierter Spielfilm «Fight Club» (1999), in dem Edward Norton als freudloser Büroangestellter aus der Alltagsmühle ausbricht und sich in brachialen Faustkämpfen wieder zu spüren lernt. Antriebsfeder ist ein Anarchist (Brad Pitt), der die Ordnung durcheinanderwirbeln will und sich am Ende als Imagination des Protagonisten entpuppt. «The Game» (1997) wiederum erzählt von einem gefühlskalten Investmentbanker (Michael Douglas), der nur noch für Geld und Zahlen lebt. Erst durch ein Reality-Spiel, das bedrohliche Ausmasse erreicht, beginnt er, sein rücksichtsloses Verhalten zu hinterfragen.
Auch wenn dieser Film nach der überraschenden Schlusswendung eine Hollywood-typische Läuterung andeutet, liebt es Fincher generell, mit Konventionen, Regeln und Sehgewohnheiten zu spielen. Seine Figuren sind meistens keine klassischen Sympathieträger und haben gewaltige Probleme, mit ihrer Umwelt zu interagieren. In «The Social Network» (2010) wird Mark Zuckerbergs (Jesse Eisenberg) Aufstieg vom Campus-Aussenseiter zum Tech-Superstar als zackig inszenierte, mit furiosen Dialogen gewürzte Rachestory geschildert. «Gone Girl» (2014) seziert die toxische Beziehung eines Barbetreibers (Ben Affleck) und seiner manipulativen Ehefrau (Rosamund Pike), die am Ende unter denkbar perfiden Umständen zementiert wird. Herausforderndes Zentrum des Biopics «Mank» (2020) ist der im zwischenmenschlichen Bereich alles andere als sensible Drehbuchautor Herman J. Mankiewicz. Und «The Killer» folgt einem Auftragsmörder (Michael Fassbender), der sich eigentlich nicht emotional mitreissen lassen will, nach einem verpatzten Einsatz jedoch persönlich motivierte Vergeltung übt.
Fincher, der Perfektionist
Schon ein flüchtiger Blick auf David Finchers Filmografie reicht aus, um eine Dominanz des Thrillers auszumachen. Im Spannungsgenre kann er seinem Faible für das Böse im Menschen und das Destruktive in der Gesellschaft nach Belieben frönen. Eine von Finchers Stärken ist dabei die Dramaturgie. Sei es die knifflig-rätselhafte Mörderjagd in «Sieben», der an den Nerven zehrende Überlebenskampf einer von Einbrechern bedrängten Mutter (Jodie Foster) und ihrer Tochter (Kristen Stewart) in «Panic Room» (2002) oder das Eintauchen in die Abgründe einer grossbürgerlichen schwedischen Familie in «Verblendung» (2011). Auch «The Killer» erzeugt durchaus einen Sog, obwohl die Auftragsmörder-räumt-auf-Geschichte eigentlich ein alter Hut ist. Selbst der auf Tatsachen basierende Thriller «Zodiac» (2007), ein weiterer Serienkiller-Stoff, ist enorm packend, obwohl er finale Antworten konsequent verweigert.
Wer einen Film von David Fincher sieht, erkennt sofort, dass hier ein Regisseur mit einem Händchen für das Audiovisuelle am Werk ist. Seine Bilder sind, wie jüngst in «The Killer» zu sehen, stylisch, präzise, sorgsam komponiert. Die Schnitte sitzen. Und die Musik trägt zum Pulsieren der Leinwand bei. Zu spüren bekommen seine Akribie und seinen Perfektionismus nicht zuletzt die Darstellenden. Szenen lässt Fincher zum Teil zigmal wiederholen, um einen möglichst natürlichen, authentischen Ausdruck zu erhalten. Mit ihm zu drehen, kann offenbar ganz schön anstrengend sein. Wahrscheinlich aber ist es die Mühe wert, wenn am Ende dabei so faszinierende Darbietungen entstehen wie Michael Fassbenders enigmatisch-stoische Performance in «The Killer».
«The Killer» ist seit dem 26. Oktober im Kino zu sehen und erscheint am 10. November auf Netflix.
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