Article17. Juni 2024 Cineman Redaktion
Filmwissen: «House of the Dragon»: Wie feministisch ist die Serie wirklich?
Das «Game of Thrones»-Prequel «House of the Dragon» bietet nicht nur grandiose Schauwerte, sondern auch viel Diskussionsstoff und Material für tiefere Auseinandersetzungen. Zum Start der zweiten Staffel haben wir einen Blick in die Wissenschaft gewagt und verraten dir, was die Feminismusforschung über «House of the Dragon» zu sagen hat.
von Michael Gasch
Darum geht’s: 200 Jahre vor den Geschehnissen aus «Game of Thrones» wird die Targaryen-Familie von Intrigen geplagt. Es entbrennt ein familiärer Bürgerkrieg, bekannt als der Tanz der Drachen, verbunden mit einem brutalen Machtkampf um den Eisernen Thron. Im Zentrum stehen Prinzessin Rhaenyra Targaryen (Emma D'Arcy), Prinz Daemon Targaryen (Matt Smith) und Alicent Hohenturm (Olivia Cooke).
Was machen gute Serienrollen aus?
Vielen Film- und Serienfans ist es wohl nicht entgangen, dass heutzutage immer genauer und kritischer auf Figurenzeichnungen geblickt wird. Die Darstellung von Frauenrollen wird dabei besonders unter die Lupe genommen und oft steht die Frage im Raum: Handelt es sich um vielschichtige, ambivalente Frauenfiguren oder doch um altbekannte Stereotype oder eindimensionale Charaktere, die nur peinlich wirken?
Vor diesem Hintergrund werden die Erwartungen des Publikums immer grösser, denn wer will schon platt geschriebene und eintönige Charaktere sehen? Eine tiefergehende Analyse bietet sich an, um herauszustellen, was gut geschriebene Figuren auszeichnet.
Zuerst jedoch ein Blick auf die indonesische Publikation «Gender Bias Discourse Analysis on the Character Rhaenyra Targaryen in House of the Dragon» von Nadhif Arnellyka, Anggian Lasmarito Pasaribu und Alila Pramiyanti, in der eine linguistische Analyse auf Wort- und Satzebene im Kontext der Genderforschung vorgenommen wurde. Konkret steht die Frage im Raum: Wie fällt das Frauenbild der Protagonistin Rhaenyra Targaryen aus?
Untersucht wurden Geschlechtervorurteile (Gender Biases), aus denen ein ungerechtes Verhalten gegenüber einem Geschlecht (in den meisten Fällen Frauen) resultiert. Beispiele dafür sind: (1) Stereotype, (2) Unterordnung (Machtungleichgewicht zwischen Mann und Frau), (3) Marginalisierung, (4) Doppelbelastung (das Argument ist, dass Frauen mehr leisten müssen als Männer) und (5) das Erfahren von Gewalt. Nach den Autor:innen handelt es sich um eine patriarchale Welt, in der «House of the Dragon» spielt. Wenig verwunderlich konnten vor diesem Hintergrund alle Elemente weiblicher Unterdrückung festgestellt werden, immerhin weist die Serie nicht gerade wenig mittelalterliche Strukturen auf.
Altbackene oder doch progressive Darstellungen?
Nach dem Lesen dieser Publikation stellen sich weitere Fragen. Vor allem: Sind diese Elemente starre Gegebenheiten oder ist es nicht doch der Fall, dass sich Rhaenyra Targaryen im Laufe der Geschichte mit aller Kraft diesen Strukturen entgegenstellt? Ist die Unterdrückung überhaupt Bestandteil ihres Wesens oder doch nur ein narrativer Rahmen, der jede Menge Potential für Persönlichkeitsentfaltung bietet? Und letztlich: Ist «House of the Dragon» tatsächlich so “altbacken“, wie es nach dieser Analyse scheint? Ist es nicht viel mehr eine progressive Darstellung, wenn sich eine Frau, die eine ausgewogene und vielschichtige Charakterzeichnung aufweist, behaupten will?
Eine gute Ergänzung bietet die Analyse «Reine double, période trouble – House of the Dragon : donner une voix à la chronique pseudo-historique» der Medienwissenschaftlerin Marie Kergoat, die holistischer auf das Leben in der mittelalterlichen und aus heutiger Sicht sichtlich rückständigen Welt blickt. Der “female gaze“, mit dem weibliche Individualität festgehalten wird, zieht sich nach ihr wie ein roter Faden durch die Geschichte, was sich neben Rhaenyra Targaryen auch bei weiteren Figuren zeigt:
«Es ist also nicht die Beziehung zwischen Rhaenyra und Alicent, die sich selbst zerstört, sondern vielmehr die äussere Welt, voller Regeln, die ihre Weiblichkeit bestrafen, die ihnen bestimmte Lebenswege und drastische Entscheidungen aufzwingt, wenn sie ihren Platz und folglich ihre Stimme behalten wollen. […] «House of the Dragon» bietet eine echte Metamorphose seiner Hauptfiguren [...] von Episode zu Episode wird die junge Prinzessin immer monströser.»
Unberechenbar und vielschichtig
Beim Blick auf die Strukturen dieser fiktionalen Welt lässt sich sicherlich nicht gerade wenig Patriarchat ausmachen, was sich immer wieder anhand der Dialoge zeigt: «Für Männer mag die Ehe nur ein politisches Arrangement sein. Für Frauen ist sie ein Todesurteil. [...] Männer würden eher das ganze Reich niederbrennen, bevor sie eine Frau auf den Eisernen Thron setzen.»
Frauenfeindlichkeit lässt sich «House of the Dragon» aber beileibe nicht vorwerfen, da es beim Blick auf die erste Staffel ebenso ambivalente Zeilen gibt. Dafür ein paar Beispiele: «Wäre sie [Rhaenyra] eine mächtige Königin oder wäre sie nur weibisch? [...] Jeder in meinem kleinen Rat ist auf den eigenen Vorteil bedacht. [...] Jeder von uns ist zur Verderbtheit imstande. [...] Dass es keine Königin gibt, läge nur an Traditionen». Solche Beispiele trüben demnach ein wenig das Bild, ganz geschweige von vereinzelten Momenten, in denen Frauen ein Hauch Respekt erhalten: «Daemon ist nicht geschaffen, die Krone zu tragen, aber ich glaube du [Rhaenyra] bist es». Mit der Thematisierung von Gleichberechtigung, der elaborierten Darstellung weiblicher Charaktere sowie dynamischen Transformationsprozessen erscheint die Serie feministischer als erwartet.
«House of the Dragon» befindet sich aufgrund dieser Rahmenbedingungen im stetigen Wechsel zwischen patriarchalen Strukturen und starken Figurenzeichnungen, die sich jenen Begebenheiten entgegenstellen. Nach «Game of Thrones» kristallisiert sich erneut das Ungleichgewicht zwischen den Mächten und Geschlechtern als zentrales Motiv heraus, so wie auch Lug, Trug, Intrigen und Mord erneut zu narrativer Unberechenbarkeit und spannenden Figurenkonstellationen führen. Bei Rhaenyra Targaryen sowie dem Grossteil aller Charaktere kommt es daher immer wieder zur Abwägung zwischen Egozentrismus, Pragmatismus und Kompromissen, was die Serie so vielschichtig und unvorhersehbar macht. Die Trennung in gut und böse, in schwarz und weiss, lässt sich beiden Serien nur schwer vorwerfen, vielmehr sind es Grautöne, mit denen die Figuren gezeichnet werden, sofern es sich nicht gerade um Joffrey Baratheon handelt (seid gegrüsst, «Game of Thrones»-Fans).
Gerade die Frage, wie Figuren, egal ob Mann oder Frau, ihre Ziele erreichen, macht «House of the Dragon» interessant, was in Staffel 2 noch weiter ausgebaut wird. Wir wollen an dieser Stelle auf Spoiler verzichten, doch so viel sei gesagt: Neben überraschenden Wendungen und Drachenkämpfen, die ihresgleichen suchen, ergründet die neue Staffel noch intensiver seine Charaktere, inklusive einer weiteren Frau, die bisher links liegen gelassen wurde. Wenn die Psychogramme der Figuren in einer Fantasy-Serie ebenso eindrucksvoll sind wie die monströsen Kreaturen, die in Staffel 2 noch epischer durch die Luft gleiten, dann ist das wahrlich ein grosses Lob.
Die zweite Staffel von «House of the Dragon» ist seit dem 17. Juni auf Sky Show verfügbar.
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