Regisseur Maurizius Staerkle Drux gibt einen persönlichen Einblick in den Entstehungsprozess seines filmischen Werks «L'art du silence». Das dokumentarische Portrait zeigt die Lebensgeschichte von Pantomimenkünstler Marcel Marceau, dessen Weggefährten und seine Familie. Drux's persönlicher Zugang zur Thematik und wie es ihm gelang die Stille im Film festzuhalten und spürbar zu machen, fesselt und berührt zugleich. «L'art du silence» läuft seit dem 19. Mai 2022 im Kino!
Interview von Zoë Bayer
Über den Antrieb ‹Stille› mit dem Medium Film zu erzählen:
Ich denke, wir haben schnell ein zu oberflächliches Verständnis für Stille. Wenn ich erzähle, dass ich einen stillen Film mache, sagen 99% der Leute ‹Mach einfach den Ton ganz aus, dann hast du die Stille›. Dann denke ich mir danke, auf diese Idee bin ich auch gekommen.
Mir und uns Filmern geht es allen ähnlich mit der Pantomime. Wenn man erzählt, dass man sich eine Pantomime ansehen möchte, denken sich alle, warum nicht lieber ein Konzert oder eine Theater? Mich reizte es enorm, einen Film zu machen, den ich mit «Stille» betitel, der dann aber alles andere als still ist. Ich versuche dabei nachzuvollziehen, wann bei uns Stille genau entsteht und wann nicht.
Dieser Film ist auch ein Labor, was dies angeht und ich wusste, dass ich die gleiche Herausforderung mit der Pantomime habe. Ich habe einen natürlichen Zugang zu dieser Thematik, da ich selber in diesem Spannungsfeld bin, da mein Vater gehörlos ist. Deshalb interessiert es mich zu antizipieren, wie es für Menschen ist, die nichts hören, im Gegensatz zu mir als Hörender, auch weil dies ein wichtiger Aspekt meines Berufes ist.
‹Das Lachen und das Weinen gehören dem Menschen›. Solche Gegensätze so nahe zueinander zu setzen, das finde ich sehr interessant.
Und genau so interessiert mich der Clinch, wenn Marcel Marceau sagt ‹Das Lachen und das Weinen gehören dem Menschen›. Solche Gegensätze nahe zueinander zu setzen, das finde ich sehr interessant. Denn da entsteht etwas, ein Konflikt und man muss Stellung beziehen als Zuschauer und auch als MacherInnen. Deswegen fühlte es sich gut an, alles in einen Topf zu geben, im Wissen, dass es extrem viele Zutaten und Ebenen sind und man sich dabei schnell verzetteln kann, das war die Herausforderung.
Wie mein Vater in den Film kam
Mein Vater stand zu Beginn bei «Anmerkungen zur Regie» drin, aber war im Film nicht zu sehen. Für mich war es völlig klar, dass mein Vater nicht im Film vorkommen wird. Ich wollte nicht, dass jemand denkt, dass jetzt noch ein Vater-Sohn Film kommt (lacht). Auch nach einem sehr weiten Rohschnitt, als der Film schon gut funktioniert hat und auch das Sounddesign schon stand, war mein Vater immer noch nicht im Film, das war ein langer Weg.
Dann kam Covid, andere Dreharbeiten und schlussendlich war es meine Cutterin Tania Stöcklin, die mir sagte, dass sie bis heute nicht vergisst, wie ich ihr zu Beginn des Projekts von meinem gehörlosen Vater erzählt habe, über den ich überhaupt einen Zugang zur Pantomime fand. Sie ermutigte mich, dies mehr zu integrieren und auszuprobieren. Mittlerweile finde ich es auch wichtig und schön, denn ich wollte den Film ja aus diesem Blickwinkel machen und nicht sagen ‹Oh, ich bin ein unendlicher Fan von Marcel Marceau, endlich braucht es einen Film über ihn›. Ich finde natürlich schon, es braucht einen Film über ihn, aber mich interessiert diese Subjektivität und ich finde es auch wichtig, den ich kannte Marcel Marceau zuvor ja nicht, also ist es ein subjektiver Blick, den ich darauf werfe.
...sonst bin ich über das Sounddesign im Film drin, das ist wie meine Stimme.
Ich finde, es muss einfach seine natürliche Form finden. Wir haben sehr viel ausprobiert mit meiner Familiengeschichte und der von Marceau. Damit diese Parallelen in der Exposition nicht verwirren, haben wir uns die Frage gestellt, wie man dies am besten und elegantesten Lösen kann und schlussendlich war es eine Texttafel. Man sieht nur einmal noch kurz meine Hand oder hört mein Flüstern, aber sonst bin ich über das Sounddesign im Film drin, das ist wie meine Stimme.
Über den Zugang zur Familie von Marcel Marceau
Der Ursprung war schon, dass ich die Pantomime von meinem Vater kannte und dann diese Frau der jüdischen Botschaft in New York kennengelernt habe, die mir erzählte, dass Marceau sie gerettet hat, was mich natürlich wundernahm. Den da steckt hinter dem Bild der Pantomime eine ganz andere und ernste Geschichte. Da er nicht mehr lebt, war klar, dass ich an seine Nächsten herantreten musste, da war aber noch nicht die Idee, diese zu filmen.
Die Familie hat mich dann sehr nett eingeladen zum Essen und wir sprachen einfach miteinander, obwohl man noch nicht weiss wohin die Reise geht. Das Problem war, sie haben nie ‹Ja› gesagt und ich habe auch bemerkt, dass sie regelmässig Anfragen bekommen und Leute empfangen, welche einen Film machen möchten, und sie protegieren dies extrem, da sie wissen, dass der Name noch eine Strahlkraft hat.
Das Schwierige und zugleich Gute war, dass sie [Familie Marceau] nie ‹Ja›, aber auch nie ‹Nein› gesagt haben.
Das Schwierige und zugleich Gute war, dass sie [Familie Marceau] nie ‹Ja›, aber auch nie ‹Nein› gesagt haben. Ich habe natürlich auch nie Fragen gestellt, die man nur mit ‹Ja› oder ‹Nein› hätte beantworten können (lacht). Dann war manchmal eine unausgesprochene Sympathie zwischen uns und dann haben wir uns kennengelernt und uns immer wieder gesehen. Es war wie eine ehrliche Chance um auch neue Sachen zu entdecken und sie haben gesagt, dass sie einfach eine ehrliche Auseinandersetzung wollen und wenn es ihnen etwas gibt, dann sind sie dabei.
Der entscheidende Moment war wahrscheinlich, als ich den Enkelsohn von Marceau, Louis Chevalier kennengelernt habe und dachte, das ist der Charakter, der mich gefesselt hat, ohne zu diesem Zeitpunkt sein Geheimnis zu kennen. Über ihn ist dann etwas entstanden und das war dann schon ein Prozess von zwei, drei Jahren.
Bis zur Premiere hat die Familie den Film nie gesehen. Das war mir sehr wichtig, auch gerade bei Künstlerporträts. Der Anspruch beim Drehen war für mich immer, es zu schaffen an die wahren Dinge und den Kern heranzukommen, wobei die Leute sich aber immer wohlfühlen müssen. Sie wussten aber auch, dass es keine Rohschnittabnahme geben wird, das zu kommunizieren und das Vertrauen war die Hauptchallenge.
Die Verwendung und der Umgang mit Archivmaterial des verstorbenen Protagonisten
Ich fand die Idee der Verwendung des Archivmaterials immer interessant, also generell. Wenn man etwas von früher erzählen möchte, dann zeigt man einfach das Archiv als Authentifizierungseffekt, um zu zeigen, ‹Das war wirklich so!› . Ich habe mir die Frage gestellt, kann man mit Archivmaterial auch in die Zukunft springen, denn das hat auch gut zum Konflikt von Louis gepasst. Er meinte: ‹Alle sagen, du bist der Enkelsohn von Marceau und haben Erwartungen, aber eigentlich bin ich auch wütend auf meinen Grossvater, denn er hat mir nichts beigebracht, das habe ich alles selber gemacht›. Da konnte ich mit dem Archivmaterial etwas bauen, dass nebst der Abbildung der Vergangenheit auch einen Bezug zur Zukunft schafft, weil Marceaus Vergangenheit einen direkten Einfluss auf Louiss Leben hat.
Bei den meisten Archivaufnahmen hatte es keinen Ton. Früher packte man da einfach Musik darüber und jetzt gibt es neue Plug-ins, welche mithilfe der Künstlichen Intelligenz Musik und Stimmanteil trennen können. So nahm ich aus anderem Archivmaterial den Ton von Marceau, um sozusagen ans ‹Echte Atmen› von ihm zu kommen, und baute dies dann in meine Foley's (Geräusche welche in der Postproduktion aufgenommen werden, z.B.: Schrittgeräusche) von dem tatsächlich verwendeten Archivmaterial ein.
Da wusste ich, dass der Ton ein Schlüssel für mich sein kann, meine Verbindung zu ihm.
Das heisst, das Atmen ist von ihm schon echt in dieser Sekunde, aber mit den Plug-ins konnte ich es extrahieren, aus einem anderen Archiv und durchs Bauen wieder echt machen. Es ist synthetisiert, es sind halt Relikte, die ich von ihm habe. Das Archiv ist auf der ganzen Welt irgendwo verstreut und bis wir das beieinanderhatten, ging es ewig. Ein Jahr lang hatten wir drei Leute, die das alles zusammengekratzt haben.
Beim Archivmaterial, das im Waisenhaus spielt, war der Soundtrack zur Hälfte kaputt und iZotope (Audiosoftware) kann mathematisch aus dem, was vorhanden ist, das Fehlende hochrechnen. Dies muss man dann schon integrieren und das ist subjektiv und faszinierend, was mir aber auch grosse Lust gemacht hat, mich mit Archivmaterial auch auf der Tonebene auseinanderzusetzen.
Parallel zur Montage auch Vertonen
...was man ja nicht machen sollte (lacht). Das initiierende war schon, dass ich gemerkt habe, dass immer mehr Leute diesen Film wollten und ich dies ernst nehmen wollte. Anscheinend gibt es ein riesen Bedürfnis danach, nicht mehr so klassisch zu trennen: Zuerst Montage und dann in die Vertonung. Ich musste also meinen eigenen Zugang zum Material finden.
Da über vielem Archivmaterial wirklich schlimme Musik gelegt war, hab ich als erstes den Ton abgestellt und selbst die Foley's erstellt, um in die Haut von Marceau zu schlüpfen. So konnte ich eine Art Verbindung zu meinem Protagonisten aufbauen, den ich ja nicht einfach treffen konnte. Da wusste ich, dass der Ton ein Schlüssel für mich sein kann, meine Verbindung zu ihm.
Highlights in der Vorbereitung und den Dreharbeiten
Dass mein Vater in den Film gekommen ist, war eine schöne Überraschung, aber auch alle Begegnungen, die ich durch den Film machen konnte. Ich suchte lange nach Leuten, welche damals von der Résistance Kinder geschmuggelt haben und dann habe ich ihn einfach gefunden, das hat mich mega überwältigt.
All diese intensiven Gespräche, die man zuvor zusammen hat, sind nicht im Film. Ich habe ihn sicher 5 bis 6-mal besucht, bis ich das Gefühl hatte, ich habe diesen Menschen auf irgendeine Art ein bisschen kennengelernt. Das ist es, was mich interessiert und das ist schon sehr speziell und überraschend und macht auch einfach Freude, wenn man merkt, das ist ab da dann Teil von deinem Leben.
...dass es oft mit Kleinigkeiten in unserem Leben zu tun hat und dass es immer auch eine Frage des Blickwinkels ist
Für mich ist es auch ein Highlight, dass man sich selber immer wieder überraschen kann. Wenn man in dem Filmbeschrieb ‹Pantomime› liest, denkt man zuerst ‹Oh Schreck, Hilfe, auf keinen Fall!› Und wenn man dann erfährt, dass es gar nicht zwingend um das ‹Was› , sondern das ‹Wie› geht, bekommt dies eine andere Bedeutung.
Ich habe zum Beispiel über Umwege in Amerika von Rob Mermin (Gründer des Circus Smirkus und ehemaliger Schüler von Marceau) gehört. Als ich dann erfahren habe, dass er Parkinson hat, versteht man erst, was dies auch mit seiner Berufung für ihn bedeutet und plötzlich als ich da war, hatte das so ein anderes Gewicht für mich. Es hat mich sehr berührt, weil es auch zeigt, dass es oft mit Kleinigkeiten in unserem Leben zu tun hat und dass es immer auch eine Frage des Blickwinkels ist, wie man auf Sachen schaut und gar nicht so sehr die Sache selbst und das Bewerten.
Seit dem 19. Mai 2022 im Kino
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